URI: 
       # taz.de -- Wasserstoff in der Industrie: Milliarden für den grünen Stahl
       
       > Wie kann die Industrie schneller auf grünen Wasserstoff umsteigen?
       > Experten analysieren die Optionen für das Wirtschaftsministerium.
       
   IMG Bild: Damit hier klimaneutral produziert werden kann, muss der Staat zahlen: Stahlkocher bei Thyssenkrupp
       
       Berlin taz | Das Gros der Industrie in Deutschland setzt heute immer noch
       auf fossile Energie. Erdgas liefert so Prozesswärme in der
       Chemieproduktion, Kohle befeuert die Stahlherstellung. Doch in nur 22
       Jahren – 2045 – soll die Wirtschaft komplett mit Ökoenergie arbeiten,
       [1][vor allem grünem Wasserstoff.] Wie kann das funktionieren? Um die
       Unternehmen zu unterstützen, entwickelt das Bundeswirtschaftsministerium
       derzeit neue Politikansätze.
       
       Zwei dieser Instrumente – [2][Klimaschutzverträge] und grüne Leitmärkte –
       haben Fachleute nun analysiert und bewertet. Klaus Schmidt, Ökonom der Uni
       München, und Achim Wambach, Präsident des Zentrums für Europäische
       Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim, präsentierten das Gutachten am
       Mittwoch in Berlin. Beide gehören dem unabhängigen Beirat des
       Wirtschaftsministeriums an.
       
       Ihre Empfehlung: Lieber etwas mehr Wettbewerb in Gestalt grüner Leitmärkte
       riskieren, wobei zusätzliche staatliche Subventionen für Unternehmen im
       Rahmen von Klimaschutzverträgen sich wohl nicht ganz vermeiden lassen.
       
       Wie funktionieren die beiden Mechanismen? Klimaschutzverträge würde die
       Regierung beispielsweise mit Stahlherstellern wie Salzgitter oder
       Thyssenkrupp abschließen. Für den Ersatz des Brennstoffs Kokskohle durch
       „grünen“, mit Wind- und Sonnenstrom hergestellten Wasserstoff [3][sollen
       die Unternehmen staatliche Zuschüsse zu ihren Betriebskosten erhalten] –
       denn die klimaneutrale Stahlproduktion ist teurer als die konventionelle.
       
       ## Subventionen für Wind- und Sonnenkraftwerke
       
       Die Förderung führt dazu, dass „grüner“ Stahl großtechnisch hergestellt
       wird und die Zusatzkosten im Laufe der Zeit sinken. Dieses Verfahren
       funktioniert ähnlich wie die jahrzehntelange Bezuschussung von Wind- und
       Sonnenkraftwerken i[4][m Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes]. Wenn
       die staatlich unterstützte Stahlproduktion in einigen Jahren
       konkurrenzfähig geworden ist, müssten die Konzerne dann aber einen Teil der
       Förderung zurückzahlen. Dieser Mechanismus könnte auch für die Zement- und
       Chemieindustrie funktionieren.
       
       Der Beirat sieht jedoch Nachteile. „Die Unternehmen kennen ihre Kosten
       besser als der Staat“, sagte Ökonom Schmidt. Das heißt, sie stellten dem
       Staat zu hohe Rechnungen, Steuergeld würde vergeudet. Aber: Zum Teil könnte
       man das mit Ausschreibungen vermeiden, bei denen der teuerste Anbieter
       keinen Vertrag bekäme. Trotzdem äußerte Schmidt sich „skeptisch“.
       Gleichwohl vermutete er, „dass man an Klimaschutzverträgen nicht
       vorbeikommt“ – dann aber bitte nur im Rahmen weniger, zeitlich begrenzter
       Pilotprojekte.
       
       Besser findet das Beratungsgremium die Idee der grünen Leitmärkte. Dabei
       legt der Staat beispielsweise fest, dass die Wirtschaft 20 Prozent grünen
       Stahls einsetzen muss. So entsteht eine Nachfrage etwa in der
       Autoindustrie, auf die die Stahlerzeuger mit einem Angebot reagieren
       können. Damit das klappt, müssen die Unternehmen 20 Prozent der Stahlmenge
       mit Zertifikaten für grünen Stahl hinterlegen.
       
       Diese werden an einer speziellen Börse ähnlich der Strombörse gehandelt,
       wodurch sich ein Marktpreis für grünen Stahl ergibt. Er bildet die Kosten
       besser ab als eine Berechnung im Rahmen der Klimaschutzverträge. Die
       Regierung könnte so Milliarden an Subventionen sparen, meint der Beirat.
       Und empfiehlt, dem Instrument der grünen Leitmärkte den „Vorrang gegenüber
       den Klimaschutzverträgen“ zu geben.
       
       ## Ein „Mix“ von Maßnahmen
       
       Dadurch würden die „richtigen Preissignale“ an Hersteller und Verbraucher
       gesendet, erklärte Ökonom Wambach, „grüne Leitmärkte sollten zentral sein“.
       
       Praktisch könnte es darauf hinauslaufen, dass beide Mechanismen installiert
       werden. Im Wirtschaftsressort wird der gesamte Ansatz als „transformative
       Angebotspolitik“ bezeichnet. Man strebe einen „Mix“ von Maßnahmen an, sagte
       eine Sprecherin von Minister Robert Habeck (Grüne). Die Richtlinie zu den
       Klimaschutzverträgen sei bereits mit den Unternehmen und Verbänden
       diskutiert worden – und soll bereits im Sommer in Kraft treten.
       
       Aber auch die grünen Leitmärkte müsse man „vorantreiben“, so die
       Sprecherin. Es hat aber wenig Sinn, wenn Deutschland hier alleine aktiv
       wird. [5][Besser wäre eine gemeinsame Regulierung des europäischen oder
       sogar gleich des transatlantischen Marktes] für Stahl und weitere Produkte.
       Das dürfte auch ein [6][Thema bei Habecks aktueller Reise in die USA
       gewesen sein.] Die Europäische Union fürchtet eine Benachteiligung der
       hiesigen Industrie.
       
       8 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Import-von-gruenem-Wasserstoff/!5909175
   DIR [2] /Baerbock-Plaene-fuer-Firmen/!5779801
   DIR [3] /European-Green-Deal/!5912000
   DIR [4] /Ausbau-der-Erneuerbaren/!5910769
   DIR [5] /European-Green-Deal/!5909433
   DIR [6] /Streit-ueber-US-Subventionen/!5914374
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
       ## TAGS
       
   DIR Industrie
   DIR Nachhaltigkeit
   DIR Robert Habeck
   DIR Erneuerbare Energien
   DIR Transformation
   DIR Klimaneutralität
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Wasserstoff
   DIR Christian Lindner
   DIR Verkehr
   DIR Energiekrise 
   DIR USA
   DIR Ursula von der Leyen
   DIR Wasserstoff
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Umbau der fossilen Industrie: Grüner soll die Aussicht sein
       
       Die Klimaschutzverträge kommen – in Deutschland können sich Firmen um
       Subventionen bewerben. Die Bedingung? Sie müssen ihren CO2-Ausstoß
       reduzieren.
       
   DIR „Grüner“ Stahl in Großproduktion: EU erlaubt Hilfen für Thyssenkrupp
       
       Deutschlands größter Stahlhersteller will klimafreundlicheren Stahl
       produzieren. Das kostet Milliarden. Der Weg für Subventionen ist nun frei.
       
   DIR Klimasubventionen für Unternehmen: Förderung mit Haken
       
       Habecks Milliardensubventionen für grüne Produktion sind sinnvoll. Aber es
       fehlt eine Bilanz, wie viel Ökostrom Deutschland produzieren kann.
       
   DIR Habeck und Lindner streiten per Brief: Viel Spaß beim Bundeshaushalt 2024
       
       Grüne und FDP zeigen sich deutlich uneins in Sachen Finanz- und
       Haushaltspolitik. Und Pistorius braucht zusätzliche Milliarden für die
       Bundeswehr.
       
   DIR EU besiegelt Verbrenneraus: Europas neuer Autopilot
       
       Die EU stellt mehrere Weichen beim Straßenverkehr: Ab 2035 sind
       Verbrennungsmotoren verboten. Schädliche Abgase sollen schon vorher weniger
       werden.
       
   DIR Neue EU-Definition von Wasserstoff: „Grün“ auch mit Atomstrom
       
       EU-Kommission schlägt eine Einstufung von Wasserstoff als „grün“ vor, der
       mit Atomstrom produziert wurde. Das erinnert an den Streit um die
       Taxonomie.
       
   DIR Streit über US-Subventionen: Habeck rechnet mit Zugeständnissen
       
       Wirtschaftsminister Habeck trifft in Washington Amtskolleg:innen.
       Gesprächsthema sind US-Subventionen für grünen Technologien.
       
   DIR European Green Deal: Zum Nachteil kleiner Länder
       
       Die EU-Kommission will nationale Subventionen erlauben, um die grüne
       Transformation zu beschleunigen. Dabei riskiert sie die Solidarität unter
       den Mitgliedern.
       
   DIR Import von grünem Wasserstoff: „Australien ist energiereich“
       
       2030 könnte Deutschland ein Drittel seines grünen Wasserstoffs selbst
       herstellen, so Ministerin Stark-Watzinger. Der Rest soll importiert werden.