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       # taz.de -- Madonna bei Grammy-Awards: Who’s that girl?
       
       > Madonnas Grammy-Auftritt hat Debatten über kosmetische OPs und das Altern
       > ausgelöst. Sie zeigt, dass es Stars nicht immer um Schönheitsideale geht.
       
   IMG Bild: Madonna bei den Grammy Awards 2023 in Los Angeles
       
       Montag, 6. Februar 2023, es sind die 65. Grammy Awards: Die Top-Shots des
       Musikbusiness stehen vor den Kameras. [1][Beyoncé schreibt
       Grammy-Geschichte]. Lizzo trägt einen roten Cape-Look von Dolce & Gabbana.
       Harry Styles einen Glitter-Jumpsuit – und Madonna ein komplett neues
       Gesicht. Es gab letzten Montag in L.A. einige auffällige Looks. Wenige
       davon entfachten die Onlinedebatten so sehr wie Madonnas. „She looks good
       for her age“, sagte ein Twitter-User. „If her age is a 2700-year-old
       vampire who eats babies and small animals alive.“
       
       Madonna tritt also mit dem Gesicht voran eine Debatte darüber los, wie
       Altern in Hollywood aussehen darf. Spekulationen und Meinungen gibt es im
       Netz en masse. Aber eine geht noch, finde ich: Zuallererst – natürlich
       halte ich Madonnas Gesicht nicht für „natürlich“. Aber „Plastic Surgery“
       gibt es an ihr nicht erst seit diesem Februar. Denn Madonna ist eine
       Kunstfigur, seit Beginn ihrer Karriere. Sie hat es sich zur Gewohnheit
       gemacht, sich mit jedem Album neu zu erfinden. I mean – ihre Welttournee
       2004 hieß buchstäblich Re-Invention-Tour.
       
       Ein Trip durch ihre verschiedenen Gesichter: 1987, drei Jahre nach ihrem
       Durchbruch, startet Madonna ihre erste Welttournee. Sie ist Ende 20, laut
       und spricht provokante Themen an. Sogar der Papst ruft 1990 dazu auf, die
       Konzerte von Madonnas dritter Tournee zu boykottieren. In dieser Zeit
       beginnt sie auch mit Botox-Injektionen. Die Blond Ambition World Tour
       startet 1990. Die Justizbehörden drohen ihr in Toronto mit Verhaftung. Ihre
       erste OP, ein kleines Browlift, erregt dagegen kaum Aufsehen. Nach dem
       nächsten Album folgt das erste Full-Facelift. Immer noch ohne öffentliche
       Debatte.
       
       Die Drowned World-Tour startet 2001. Madonna ist jetzt 42. Besonders bei
       einem so niedrigen Gewicht wie Madonnas, wäre es jetzt eigentlich normal,
       im Gesicht an Volumen und Elastizität zu verlieren. Madonnas Gesicht aber
       wird immer voller. Unterspritzungen macht man 2000 noch vor allem mit
       Eigenfett – synthetische Filler wie Hyaluron werden erst 2006 für die
       kosmetische Chirurgie zugelassen. Nach ihrer Re-Invention-Tour kommt das
       zweite Face-Lift. Plus ein Neck-Lift. Plus eine Straffung von Ober- und
       Unterlidern.
       
       ## Keine neue Entwicklung
       
       Während der Promo für das nächste Album lieben die Medien ihren Look. Sie
       sei „Agedefing – mit 47 Jahren. Suspicious? Jetzt wird schon hin und wieder
       gefragt, ob sie nachhelfen lässt. Madonnas Antwort: „I am certainly not
       against plastic surgery; However, I am absolutely against having to discuss
       it.“ Hat sie oder hat sie nicht? So richtig kritisch wird die Debatte um
       Madonnas Gesicht erst in den 2010ern. Als Madonna vor der 9. Welttournee
       steht, kann man davon ausgehen, dass sie mindestens zehn Sachen machen
       lassen hat.
       
       Die nächsten Jahre klingen, als will sie auch die zwanzig voll machen:
       Ober- und Unterlidstraffung, Unterspritzungen an den Handrücken, Lipfiller,
       Botox, Laserbehandlungen. In den späten 2010ern kurz Fillern auflösen und
       danach das dritte Facelift. Werden größere Mengen Filler aufgelöst, ist das
       oft nötig. Viel Filler überdehnt das Gewebe. Nach dem Facelift, direkt neue
       Filler. Plus ein Wangenimplantat.
       
       Während der Madame X-Tour gibt es Schlagzeilen bei jedem Bild, das sie
       postet. Hatte sie ein Brazilian Butt Lift? Neue Brustimplantate? Noch mehr
       Filler? Auf ihren Instagram-Bildern wirkt sie surreal, fast alienesk. Was
       war jetzt nochmal mit den Grammys?
       
       Ich will sagen: [2][Was wir jetzt an Madonna sehen], ist keine neue
       Entwicklung. Es ist die Kombination aus all diesen Eingriffen der letzten
       Jahrzehnte.
       
       ## Abschied vom „natürlichen“ Look
       
       Aber Madonna verabschiedet sich schon seit den späten 2010er Jahren immer
       bewusster von einem „natürlichen“ Look. Natürlich kann es sein, dass es
       auch bei Madonna verpfuschte Eingriffe gab. Unbeabsichtigt kann ein
       überfüllter Look durch zu viel Hyaluronsäure entstehen. In Studien ist
       heute bestätigt, dass auch semipermanente Filler sich ablagern können. Auch
       „Fat Grafting“, transplantiertes Eigenfett, kann für Unterspritzungen
       verwendet werden. Hierfür werden Fettzellen aus dem eigenen Körper
       gewonnen, aufbereitet und unterspritzt. Das Ergebnis muss nicht erneuert
       werden. Aber keine Upsides ohne Downsides: Auch transferierte
       Bauchfettzellen werden sich in Zukunft verhalten wie Bauchfettzellen. Bei
       Gewichtszunahme wachsen Zellen auch am neuen Einsatzort. Auch so kann ein
       Gesicht plötzlich voller oder ungleichmäßiger werden als geplant.
       
       Ich glaube trotzdem nicht, dass Madonna ein Opfer von OP-Pfusch ist.
       Madonna hat im Verlauf ihrer Karriere immer wieder Fashion, Make-up und
       generelle Ästhetik eingesetzt, um immer wieder neue Persona zu schaffen –
       damit hat sie Kultstatus erreicht. Warum sollte sie nicht auch kosmetische
       Eingriffe einsetzen?
       
       Man könnte die aktuelle Entwicklung als logischen nächsten Schritt
       betrachten – vielleicht hat Madonna einfach ein weiteres Medium gefunden,
       um zu experimentieren. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass die
       Hollywoodstars der 2020er Plastic Surgery nur machen, um gängigen
       Schönheitsidealen zu entsprechen. Denn im Showbiz wird es immer wichtiger,
       sich von der Konkurrenz abzuheben.
       
       Die Debatte um Madonnas neues Gesicht wirft die Frage auf, warum wir
       Beautyeingriffe viel heftiger sanktionieren, wenn sie sich an gängigen
       Schönheitsidealen stoßen. Was Madonnas Surgeries nämlich von Heidi Klum,
       JLo & Co unterscheidet, ist nur, dass sie eines nicht sind: subtil.
       Vielleicht ist es schockierend, aber in der Summe werden an Madonna kaum
       mehr Eingriffe sein als an den meisten anderen Grammy-Gästen. Warum wird
       also bei denen nicht genauso gerufen, [3][dass doch jetzt bitte alle mal in
       mehr Würde altern sollen?]
       
       ## Gutschein für Schönheits-OP
       
       In ihrer Laudatio auf Kim Petras und Sam Smith, die einen Grammy mit nach
       Hause nahmen, sagte Madonna selbst: „Here’s what I’ve learned after four
       decades in music, – If they call you shocking, scandalous, troublesome,
       problematic, provocative or dangerous, you’re definitely onto something.“
       Skandalös und provokativ ist ihr Grammy-Gesicht sicher. Vielleicht ist
       Madonna also gerade wieder „onto something“.
       
       Die Grammys selbst scheinen zu Plastic Surgery eindeutigere Meinungen zu
       haben: Unter den Gastgeschenken für insgesamt über 60.000 Dollar waren ein
       automatischer Poolcleaner, eine unzerstörbare Sonnenbrille und – ein
       Gutschein im Wert von 10.000 Dollar. Für eine Schönheits-OP.
       
       Feline Dion twittert unter dem Namen [4][@thecommiemommy] über Plastic
       Surgery.
       
       9 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Grammy-Verleihung-in-Los-Angeles/!5913605
   DIR [2] /Die-fuenf-besten-Madonna-Songs/!5528524
   DIR [3] /Altersdiskriminierung-von-Frauen/!5714293
   DIR [4] https://twitter.com/thecommiemommy?lang=de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Feline Dion
       
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