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       # taz.de -- Die Wahrheit: Der Herr Papa im Badezimmer
       
       > Woke bis zum Abwinken, aber die Bioseife ist einfach nur steinhart. So
       > sind die Töchter von heute.
       
   IMG Bild: Nach dem Tod des Amerikaners George Floyd 2020 zeigen Menschen am Berliner Alexanderplatz ihre Anteilnahme
       
       Ich wünschte, sie würden sich endlich als „Jungs im falschen Körper“ outen,
       nonbinäre Neunamen annehmen oder wenigstens gegen das Patriarchat
       aufbegehren. Stattdessen machen sich meine pubertierenden Töchter die Haare
       schön.
       
       Da verspricht ein Trockenshampoo mit dem Untertitel „flirty flora“ einen
       „verspielten und blumigen Duft“, ein Schaumfestiger mit „Farbschutz-Formel
       und Glanz-Effekt“ wiederum „moderne Texturen“. Eine Sprühdose stellt
       „feinem Haar verführerisches Volumen und Halt“ in Aussicht, und zwar mit
       einem „Koffein-Vitalitäts-Komplex“. Ein „veredelndes Pflege-Spray“ sorgt
       dafür, dass das „entwirrte Haar“ sich nicht zufällig doch verwirrt. Ihre
       folglich bald „sehr trockene, raue & juckende Kopfhaut“ vertrauen die
       Zwölf- und die Vierzehnjährige einem „reparierenden CICA Bodybalsam“ nach
       „norwegischer Formel“ an.
       
       Als Ausgleich für diesen chemischen Overkill muss die gewöhnliche Seife
       ökologisch, biologisch, vegan und „in Handarbeit mit Liebe hergestellt“
       sein. Versehentlich lieblos hergestellte Seife wird vermutlich aussortiert.
       Jedenfalls experimentieren wir gerade mit Produkten aus Sheabutter,
       Traubenkernöl, ätherischem Kamillenöl und Lavendelblüten. Keine Ahnung, ob
       die Kinder diese bröseligen Klötze selbst herstellen oder von einer
       Hippie-Kommune auf Gomera beziehen.
       
       Ich war nur froh, dass an jenem schicksalhaften Tag überhaupt eine Seife
       oder „Seife“ auf dem Rand der Badewanne lag. Zunächst war ich sogar
       entzückt, dass sich das Ding bei Kontakt mit Wasser nicht sofort in seine
       Bestandteile auflöste. Im Gegenteil. Ich rieb hier und schrubbte dort, und
       es blieb hart wie ein Stein. Irgendwann kam mir das merkwürdig vor. Also
       rubbelte ich es eifrig zwischen meinen Handflächen. Es blieb trocken.
       Typisch!
       
       ## Blumig
       
       Dafür duftete es stark. Sehr stark sogar. Blumig, mit einer leicht ätzenden
       Note. Also wusch ich mich weiter überall, wirklich überall, geduldig und in
       der Hoffnung, dass diese superschonende Alternativseife doch noch die
       Eigenschaften ihres Vorbilds annehmen und ein wenig schäumen würde. Nichts
       dergleichen. Immerhin wurde der Duft aggressiver, je aggressiver ich die
       Seife bearbeitete. Bald verbreitete das Teil einen hartnäckigen Gestank,
       der beinahe als chemisch zu bezeichnen wäre und mir auf ominöse Weise
       bekannt vorkam.
       
       Die Kinder hörten wohl mein immer haltloseres Zetern und fanden sich,
       schuldbewusst, im Badezimmer ein. „Igitt!“, entfuhr es der Jüngeren:
       „Wonach stinkt es denn hier?“ Tatsächlich roch es inzwischen wie bei einem
       Unfall bei BASF. Finster hob ich die Seife hoch und sagte: „Das fragt ihr
       mich? Was ist das hier wieder für eine Bioscheiße, hm?“ Die Jüngere beugte
       sich hinab, kniff die Augen zusammen und sagte ruhig: „Das, Papa, ist ein
       Toilettenstein.“
       
       Das Wort „cringe“ fiel übrigens nicht. Dafür bin ich meinen Töchtern sehr
       dankbar.
       
       27 Jan 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Arno Frank
       
       ## TAGS
       
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