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       # taz.de -- Syrisch-russische Beziehungen: Mehrzweckkrieg im Nahen Osten
       
       > Russland führt seit 2015 Krieg gegen Aufständische in Syrien. Die
       > wichtigsten Ziele sind erreicht. Nun kann sich Moskau auf die Ukraine
       > konzentrieren.
       
   IMG Bild: Der russische und der syrische Präsident besuchen den Luftwaffenstützpunkt Hmeymim in der Provinz Latakia, Syrien, 2017
       
       Fragil, aber weitgehend ruhig: So lässt sich die Lage in Syrien
       beschreiben, über die [1][vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine]
       weniger Nachrichten zu vernehmen sind als zuvor. Der Grund für die Ruhe:
       Der russische Präsident Putin, der sein Militär 2015 nach Syrien schickte
       und es bis heute nicht vollständig abgezogen hat, hat seine wichtigsten
       Ziele erreicht. Das Assad-Regime hat mit russischer Unterstützung weite
       Teile des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht. Moskau konnte also
       den Schwerpunkt seiner militärischen Aktivitäten in die Ukraine verlegen.
       Die dortige Konfrontation beansprucht aktuell den Löwenanteil der
       russischen Militärkapazitäten.
       
       Ein Teil des russischen Truppenkontingents und Militärgeräts wurde
       vergangenes Jahr aus Syrien abgezogen, insbesondere die
       S-300-Flugabwehrraketensysteme. Diese wurden bereits in der Ukraine für
       Bodenangriffe eingesetzt. Mehrere Tausend russische Soldaten stabilisieren
       aber weiterhin die Lage in Syrien. Offizielle Angaben, wie viele Soldaten
       in Syrien geblieben sind, gibt es nicht. Im Herbst sprach Oleksiy
       Orestowitsch, Berater des ukrainischen Präsidenten, unter Berufung auf den
       ukrainischen Geheimdienst von 6.000 bis 11.000 Soldaten. Der russische
       Militärexperte Kirill Michailow geht von 3.000 bis 4.000 Soldaten aus.
       
       Michailow zufolge spielt das russische Kontingent aktuell keine große
       Rolle. „Sie patrouillieren in Regimegebieten, aber auch im Nordosten des
       Landes.“ Dort haben größtenteils kurdische Kräfte die Kontrolle, aber auch
       Assads Streitkräfte sowie die Türkei oder protürkische Kräfte kontrollieren
       Teile des Gebiets. Da die Gebiete nur schwer abgrenzbar sind, tauchen die
       Russen manchmal auch in kurdisch kontrollierten Zonen auf, was der
       Kurdenführung missfällt, ihr aber lieber ist als türkische Truppen. „Die
       Einheimischen sind von den russischen Patrouillen nicht begeistert“, sagt
       Michailow. „Kürzlich ist [2][ein Video] aufgetaucht, in dem gepanzerte
       Fahrzeuge mit einem Z, dem inoffiziellen Symbol der ‚Sonderoperation‘ in
       der Ukraine, mit Steinen beworfen werden.“
       
       Dutzende russische Kampfflugzeuge sind weiter in Syrien stationiert. Die
       meiste Zeit patrouillieren sie am syrischen Himmel. Mehrmals im Monat
       fliegen russische Flugzeuge außerdem Luftangriffe [3][in der
       nordwestsyrischen Rebellenhochburg Idlib]: entweder auf dortige
       Streitkräfte oder auf zivile Objekte.
       
       Darüber hinaus unterhalten die Russen im syrischen Tartus einen
       Marinestützpunkt, der als Reparaturstelle der Flotte und als Hafen für
       zivile Schiffe dient. Vor Kurzem lief dort aus der Ukraine gestohlenes
       Getreide ein. „Russische Marinesoldaten bewachen Stützpunkte in Syrien und
       sind froh, dass sie nicht in die Ukraine geschickt wurden“, sagt Michailow.
       
       ## Die sieben Ziele Russlands im Syrien-Krieg
       
       Mit seinem kostspieligen Einsatz in Syrien hat Russland mehrere Ziele
       verfolgt. In erster Linie wollte der Kreml einen weiteren Regimesturz
       infolge des Arabischen Frühlings verhindern. Aus Sicht Moskaus hätte ein
       Sturz des Assad-Regimes eine weitere Farbrevolution dargestellt, die im
       Falle Syriens auf dem Territorium eines langjährigen Verbündeten
       ausgebrochen war.
       
       Das zweite Ziel bestand darin, einen Kriegsschauplatz zu schaffen und so
       die EU und die Nato durch den Zustrom muslimischer Migranten zu schwächen.
       Russland zerbombte deshalb absichtlich Krankenhäuser, Schulen und
       Wasserleitungen.
       
       Drittens ist der Syrienkrieg für Russland ein Instrument, um Druck auf
       Israel auszuüben. Nicht nur offene Unterstützung, sondern bereits Russlands
       Nachsicht mit Iran und der libanesischen Hisbollah sind ein Albtraum für
       den jüdischen Staat. Der Druck trägt Früchte: Israel hat seit dem Angriff
       Russlands auf die Ukraine bis heute keine Waffen an die Ukraine geliefert.
       
       Das vierte Ziel ist innenpolitisch: Die Gräueltaten der russischen Armee
       sowie von Angehörigen [4][der Wagner-Organisation] in Syrien –
       einschließlich eines Videos über einen Mord mit Vorschlaghammern sowie
       einer Zerstückelung und Verbrennung eines Deserteurs – sind für die
       liberale Minderheit in Russland ein Hinweis, was passieren würde, sollten
       die Bürger sich gegen Putin erheben.
       
       Das fünfte Ziel ist auf einen anderen, den reaktionären Teil der russischen
       Bevölkerung gerichtet: Der Syrieneinsatz ist eine Art blutige Show. Je
       weniger Brot der chauvinistische Teil der russischen Gesellschaft hat,
       desto mehr füttert Putin ihn mit brutalen „Zirkusspielen“.
       
       Das 6. Ziel bestand darin, Waffen zu testen. Analytikern in der Ukraine war
       schon seit Beginn der russischen Intervention in Syrien 2015 klar, dass die
       Waffen später Tod und Verwüstung auch in der Ukraine bringen würden. Ein
       Beispiel sind die „Kalibr“-Raketen, die oftmals von denselben Schiffen im
       Kaspischen Meer abgeschossen werden – früher in Richtung Syrien, heute in
       Richtung Ukraine.
       
       Russlands siebtes Ziel war es, sich militärische Präsenz in Syrien zu
       sichern. Während des Kriegs erhielten die russischen Luftstreitkräfte von
       Damaskus die Erlaubnis, die Hmeimim-Basis im Westen Syriens neben dem
       Mittelmeerhafen von Latakia auf unbestimmte Zeit zu nutzen. Der
       Militärflugplatz dient heute als wichtiger Transitpunkt für russische
       Militäroperationen in Afrika. Trotz der riesigen Verluste für Russland in
       der Ukraine reicht der bewaffnete Arm des Kreml in fast alle Teile der
       Welt.
       
       Aus dem Russischen Barbara Oertel
       
       26 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=PW3o0Gti4zg
   DIR [3] /Winter-in-Syrien/!5904846
   DIR [4] /Wagner-Soeldnertruppe-in-der-Ukraine/!5908629
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Gogun
       
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       bekomme.