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       # taz.de -- Gerhard Polt in den Kammerspielen: Die Erben singen tralala
       
       > Der Humorist Gerhard Polt bringt sein neues Stück auf die Bühne der
       > Münchner Kammerspiele – gewohnt bitter, gewohnt böse behandelt er dabei
       > den Tod.
       
   IMG Bild: Gerhart Polt und seine musikalischen Begleiter in „A scheene Leich“
       
       Mehr braucht’s eigentlich nicht: eine Bühne, den Polt, ein paar gekonnt
       musizierende Mitglieder der Familie Well und ein dankbares Münchner
       Publikum. Ein Flop bei dieser Melange? Ausgeschlossen. So wurde denn auch
       die Premiere [1][des neuen Stücks von Gerhard Polt in den Münchner
       Kammerspielen] mit begeistertem Applaus, Pfiffen und dem anschließenden
       Kommentar einer euphorisiert das Theater verlassenden Zuschauerin bedacht:
       „Sag a mal, das war ja fulminant.“
       
       Endlich. Es ist dieses Wort in seinem doppelten Sinne, das wohl den Abend
       am besten beschreibt. Auf der einen Seite ist das letzte große
       Polt-Programm [2][„Ekzem Homo“] schließlich schon fast acht Jahre her. Auf
       der anderen Seite ist es die Endlichkeit, die der mittlerweile 80-jährige
       Kabarettist mit seinen Mitstreitern nun auf die Bühne des Schauspielhauses
       gebracht hat. „A scheene Leich“ heißt das neue Stück und behandelt den Tod
       in seinen Facetten.
       
       „A scheene Leich“ nennt der Bayer anerkennend bilanzierend eine, nun ja,
       gelungene Beerdigung, die es weder an Würde dem vorausgeeilten
       Protagonisten gegenüber fehlen lässt noch an einer lebensbejahenden
       Selbstbesinnung der Zurückgebliebenen. Letzterer sind vor allem
       Leichenschmaus und Bier zuträglich.
       
       Zur Kurzweil hat der Tod aka Boandlkramer in Bayern seit jeher getaugt, man
       denke nur an den [3][jahrzehntelangen Erfolg des „Brandner Kaspar“]. Bei
       Polt und seinen Bühnengefährten darf der Terminus der „scheenen Leich“
       jedoch durchaus ironisch verstanden werden, denn an Würde fehlt es hier
       hinten und vorne: Der Brenner Pius ist gestorben, der Chef des örtlichen
       Bestattungsimperiums. Und dass es ihm selbst bei der Ausübung seines
       Berufes stets weniger um die Würde seiner „Klienten“ als um den eigenen
       Profit gegangen ist, wird schnell überdeutlich.
       
       ## Zwei Schweizer und ein Laienchor
       
       Etwa in einer Szene, in der die angehenden Karrieristen des
       Bestattungsbusiness im Fachgebiet Urnen geschult werden. Hier doziert
       Schulungsleiter Polt nicht nur über die neuesten Urnenmodelle, sondern auch
       über den geistigen Ausnahmezustand der Menschen, die sich wegen eines
       Trauerfalles an die Pietas Ruhe GmbH & Co. KG wenden, und wie es diesen
       pekuniär auszunützen gelte. Einer Mitarbeiterin, die es geschafft hat,
       einen Marmorsarg im Wert von 72.000 Euro nach Liechtenstein zu verkaufen,
       wird denn auch der „silberne Sargnagel in Bronze“ verliehen. „Da sieht man
       wieder“, sagt der Dozent., „dass bei uns in der Bestattungsbranche der
       Humor nicht ausstirbt.“
       
       Gerhard Polt und [4][die Brüder Stofferl, Michael und Karli Well] haben
       sich für „A scheene Leich“ noch zwei Schweizer mit an Bord geholt: den
       Regisseur [5][Ruedi Häusermann] und den Schauspieler [6][Stefan Merki aus
       dem Ensemble der Kammerspiele]. Dazu einen Laienchor, der singt, spielt,
       musiziert und Kulissen umherschiebt.
       
       Die Wells selbst wiederum greifen zu Trompete, Akkordeon, Tuba, Klarinette,
       Harfe und auf allerhand Altbewährtes zurück, versehen etwa Klassiker aus
       dem Repertoire der [7][Biermösl Blosn] mit neuen, dem Sujet entsprechenden
       Texten. Sehr vergnüglich ein parodistisches Medley à la Comedian
       Harmonists. „Ein Heim, ein gutes Heim, das ist das Beste auf der Welt“,
       stimmen sie darin an. Oder: „Veronika, der Arzt ist da. Die Erben singen
       tralala.“
       
       ## „Wir bauen viel, aber wir hinterlassen nichts“
       
       Vorlage für die Geschichte, die letzten Endes mehr als Rahmenhandlung für
       eine lose Nummernrevue dient, war der [8][Skandal um ein Altenheim in Polts
       Wohnort Schliersee, den der Bayerische Rundfunk vor zwei Jahren aufgedeckt
       hatte]. Die Bewohner waren chronisch unterversorgt, bekamen noch nicht
       einmal genügend zu essen.
       
       Wunden wurden nicht behandelt, verwahrloste Menschen vegetierten vor sich
       hin und starben oft unter obskuren Umständen. In Polts sarkastischer
       Antwort auf den Skandal wird die dem Heim nachempfundene Seniorenresidenz
       Sonnenstrahl, quasi als Warteschleife, von Pius Brenner mit ins
       Bestattungsgeschäft integriert.
       
       Es ist gewohnt bitter, gewohnt böse, nicht immer appetitlich. Auch
       Erkenntnisse fehlen nicht: „Der Tod verdankt dem Leben seine Existenz“,
       konkludiert Polt, und ein andermal: „Wir bauen viel, aber wir hinterlassen
       nichts.“ Wortspiele rund um die Finalität des Lebens runden das Ganze ab.
       Das schönste: „Das neue Testament werden wir nicht anerkennen“, sagt der
       Anwalt von Brenners Ex-Frau auf der Beerdigung zu dessen junger Witwe –
       während der Pfarrer sich gerade in eine Lesung aus dem Neuen Testament
       hineinsteigert.
       
       Polt ist [9][ein Menschenbeobachter und -darsteller ganz besonderer Güte].
       Es ist schade, dass dies in der neuen Aufführung etwas zu kurz kommt.
       Vielleicht auch aus Ermangelung an so großartigen Partnerinnen, wie es
       [10][Gisela Schneeberger] in der Vergangenheit oft eine war. Den Vergleich
       mit früheren Stücken wie „Kehraus“, „Die Exoten“, „Diridari“ und
       [11][„Tschurangrati“] muss das neue Werk bei aller bescheinigter Fulminanz
       dann doch scheuen.
       
       Aber ist der ewige Vergleich mit früher nicht auch ein bisschen wohlfeil
       und ohnehin immer voller Verklärung? Wer schafft es schon, so hohe Maßstäbe
       zu setzen, dass er selbst keine Chance mehr hat, ihnen gerecht zu werden?
       Eine Gaudi ist die „Leich“ in jedem Fall. Braucht’s mehr?
       
       31 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.muenchner-kammerspiele.de/simple/programm/13705-a-scheene-leich
   DIR [2] https://www.br.de/mediathek/video/gerhard-polt-ekzem-homo-av:62f440cefb32c60008527a92
   DIR [3] https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/unter-unserem-himmel/der-brandner-kaspar-und-das-ewig-Leben-100.html
   DIR [4] https://well-brueder.de/
   DIR [5] http://ruedihaeusermann.ch/
   DIR [6] https://www.muenchner-kammerspiele.de/de/wir/161-stefan-merki
   DIR [7] https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bierm%C3%B6sl_Blosn
   DIR [8] https://www.br.de/nachrichten/bayern/altenheim-verdacht-auf-koerperverletzung-bei-88-bewohnern,SSUO80n
   DIR [9] /Kabarettist-Gerhard-Polt-wird-80/!5851441
   DIR [10] https://de.wikipedia.org/wiki/Gisela_Schneeberger
   DIR [11] https://yewtu.be/watch?v=1Qm8LFchAd4
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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