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       # taz.de -- Proteste in Iran: Volk und Prinz
       
       > Die Hoffnung auf einen raschen Sturz des iranischen Regimes hat sich
       > nicht erfüllt. Im US-Bürger Reza Pahlavi suchen manche jetzt ihren
       > Kronprinzen.
       
   IMG Bild: Reza Pahlavi, Sohn des Schahs Mohammad Reza Pahlavi, bei einer Solidaritätskundgebung in Washington
       
       Die Hoffnung so vieler, es werde kurzfristig zu einem Sturz des Regimes in
       Iran kommen, hat sich nicht erfüllt. Gleichwohl ist nichts wie zuvor; die
       Proteste haben das Land verändert, neue Allianzen der Solidarität
       hervorgebracht, die Bedeutung der Frauen unauslöschlich auf den Mauern
       verzeichnet. Über eine von Wut und Schmerz zerklüftete Landschaft wird sich
       keine Ruhe senken.
       
       Der entscheidende Hebel zum Sturz des Regimes wäre allerdings die
       Beteiligung jener breiten Bevölkerungskreise, die sich der Bewegung bisher
       nicht anschließen mochten. Das sind keineswegs nur Loyalisten, die durch
       Jobs und Vergünstigungen vom System profitieren. Abseits steht auch, wer
       Zweifel daran hegt, ob die eigenen Bedürfnisse nach einem Umsturz bessere
       Berücksichtigung fänden. Und natürlich gibt es auch Opportunisten: Sie
       warten auf deutliche Anzeichen für einen Zerfall des Machtapparats. Etwa
       die Superreichen; sie verlachen Islam und Geistlichkeit und sorgen sich
       einzig darum, wohin sie ihr Vermögen transferieren könnten.
       
       Aber dann sind da – und dies ist vielleicht das Wichtigste – die
       Konservativ-Religiösen und jene, die ihren Glauben gegen staatlichen
       Missbrauch verteidigen. Begegnungen mit ihnen haben mich am meisten über
       Iran gelehrt. Doch diese Menschen werden leicht übersehen, unter anderem
       weil die Diaspora zu diesen Kreisen weniger Verbindungen hat. Eine
       Bekannte, die dem Milieu familiär verbunden ist, schrieb mir unlängst aus
       Iran, der Streit um Orientierung habe sich tief in die privaten
       Verhältnisse eingegraben; die Polarisierung bringe Verwandte gegeneinander
       auf.
       
       Im Text einer [1][iranischen taz-Autorin] begegnete mir am selben Tag
       folgender Satz: „Der Islam ist seit 1.400 Jahren ein Zwang in Iran.“
       Ungewollt wird hier herabgesetzt, was geehrt werden soll. Der Philosoph
       Ramin Jahanbegloo, der in Delhi lehrt, schrieb einmal, es sei „eine der
       kulturellen Katastrophen der iranischen Gesellschaft“, die drei Schichten
       ihrer geistig-moralischen Substanz immer neu gegeneinander auszuspielen,
       nämlich vorislamisches Persertum, schiitische Identität und Modernismus.
       Das legt die Schlussfolgerung nahe: In einer Revolution, die das Verhängnis
       von 1979 nicht mit anderen Vorzeichen wiederholt, müssen all diese
       Identitätsschichten aufgehoben sein, in einer gewiss schwierigen Balance.
       
       Die Herrschenden der Islamischen Republik zu „Fremden“ zu erklären, die
       gegen das Volk Krieg führen, macht es eher schwer, das Beharrungsvermögen
       des Machtapparats zu verstehen. Auf Demonstrationen hierzulande begegnete
       mir in Gesprächen öfter die Redewendung vom Krebsgeschwür: das Regime ein
       Tumor, der herausgeschnitten werden müsse; dann werde der Volkskörper
       gesund. Das gute Volk – darin liegt die Sehnsucht nach einem Kollektiv, das
       Identifikation erlaubt, aber auch ein Abspalten von Schuld: Die
       Gesellschaft ist frei von Verantwortung für das, was seit 1979 geschehen
       ist.
       
       Diese Sicht ist mir in Iran nie begegnet. Eher hörte ich Klagen, wie sehr
       Moral und Anstand gelitten hätten und wie das staatliche Vorbild schäbiger,
       strafloser Korruptheit Nachahmer zeuge. Aus diesem Wissen speist sich
       übrigens die Angst, in einer Umbruchsituation könnten offene Rechnungen in
       nächster Nachbarschaft durch Selbstjustiz beglichen werden.
       
       Die Aktivistinnen der Diaspora und ihre Unterstützer haben getan, was sie
       konnten, um Solidarität zu mobilisieren – in der westlichen Welt. Aber die
       Fähigkeit dieses Teils der Welt, Geschehnisse außerhalb zu beeinflussen,
       wird überschätzt. Zum Vergleich: Die EU vermochte es durch ein Jahr
       koordinierter Sanktionen nicht, Putin so zu schwächen, dass er wenigstens
       an den Verhandlungstisch kommt.
       
       Um die Verurteilten in Teheran vor dem Henker zu retten, bräuchte es
       politischen Druck aus Indien, China, aus muslimischen Ländern. Ich höre,
       wie manche bitter auflachen – und ich teile die Bitterkeit. Aber so sind
       die Weltverhältnisse, jedenfalls in Bezug auf Iran. Dem Westen ist es auch
       nicht gelungen, das Teheraner Nuklearprogramm einzudämmen, obwohl dazu die
       Chance bestanden hätte. Trump setzte lieber auf maximum pressure und verhob
       sich daran. Nun deutet der israelische [2][Angriff auf eine Militäranlage
       in Iran] eine neue Phase an; sie dürfte den zivilen Aufstand eher
       erschweren, denn das Regime weiß solche Angriffe für sich zu nutzen.
       
       Eine inklusive Erinnerung, die den Widerstand gegen zwei Folterregime
       unterschiedlicher Natur integrieren könnte, hat sich im Exil wenig
       entwickelt. Die Schah-Ära wird im heutigen Blick geschönt; es gibt Enkel,
       die ihrem Großvater nicht glauben wollen, dass er in einem Schah-Gefängnis
       saß. Nur vor diesem Hintergrund ist erklärlich, dass der Sohn des 1979
       gestürzten Monarchen nun zur starken Figur innerhalb einer provisorischen
       Auslandsführung zu geraten scheint. Fast eine halbe Million Unterzeichner
       haben den US-Bürger [3][Reza Pahlavi], der sich von seinen Anhängern
       „Kronprinz“ nennen lässt, zu ihrem Repräsentanten erklärt.
       
       Die Pahlavi-Dynastie steht nicht nur für Repression, sondern für das
       Ersticken früherer iranischer Demokratiebestrebungen nach dem Sturz des
       beliebten Premiers Mossadegh. Der Dreiklang von Monarchie, USA und
       Unterdrückung brachte der Revolution von 1979 den massenhaften Rückhalt.
       
       Den Sohn trifft keine Schuld für Taten des Vaters. Aber er hat sich von
       dessen Politik nie distanziert, sich nie dazu erklärt. Wie kann so jemand
       Führungsfigur eines demokratischen Aufstands sein? Es gibt zwar Gegenwind
       und Gegenpetitionen. Aber Reza Pahlavi ist klug. So spricht er sich nicht
       nur für eine säkulare Demokratie und freie Wahlen aus, sondern er betont
       auch seinen muslimischen Glauben und wirbt um regimekritische Geistliche.
       Man könnte auch sagen: Er sieht, was bisher fehlt.
       
       1 Feb 2023
       
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