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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Die volle Freiheit
       
       > Zum 85. Geburtstag der feministischen Filmemacherin Ula Stöckl zeigt das
       > Moviemento ihren Film „Sonntagsmalerei“ in einer neu restaurierten
       > Fassung.
       
   IMG Bild: Ula Stöckl, Standfoto
       
       Die Filmemacherin [1][Ula Stöckl wird nun 85 Jahre alt], aber an die Rente
       scheint sie deswegen nicht denken zu wollen. Noch immer unterrichtet sie an
       der University of Central Florida und an ihrem Geburtstag will sie nicht
       etwa ihre Ruhe, sondern kommt lieber als Ehrengast in das Berliner [2][Kino
       Moviemento], das zur Feier des Tages einen alten Film von ihr ausgegraben
       hat. „Sonntagsmalerei“ heißt dieser und ist eine Produktion aus dem Jahr
       1971 für das ZDF, die vor kurzem erst restauriert wurde.
       
       Erstaunlich ist an dieser zuvorderst die Erkenntnis, dass vor mehr als 50
       Jahren solch ein Film tatsächlich im Öffentlich-Rechtlichen ausgestrahlt
       wurde. Stöckl bekam für diesen volle künstlerische Freiheit und nutzte
       diese auch. Sie drehte mit Super-8, verzichtete auf eine kohärente Handlung
       und erzählte die Geschichte ihrer Hauptprotagonistin Eva, die damit
       beschäftigt ist, ihr Leben zu sortieren, im Stile eines filmischen
       Tagebuchs.
       
       Und wenn diese Eva am Münchner Viktualienmarkt sich nur schwer entscheiden
       kann, welche Käsesorten sie kaufen soll und dabei ständig weitere Kunden
       durchs Bild rennen, dann ist das halt so. Der Neue Deutsche Film wollte
       neue Wege gehen, Stöckl auch.
       
       Sie arbeitete am Beginn ihrer Karriere mehrfach [3][mit Edgar Reitz
       zusammen], der bald mit [4][seinem „Heimat“-Epos] weltberühmt wurde. Nach
       ein paar Kurzfilmen erschien 1968 ihr Kinodebüt „Neun Leben hat die Katze“,
       das als erster explizit feministischer Spielfilm der BRD gilt.
       
       Im selben Jahr gründete sie auch ihre eigene Produktionsfirma und drehte
       dann vor allem für das Fernsehen zig Filme, die sich mit patriarchalischen
       Machtstrukturen beschäftigten und damit, wie sich Frauen in diesen
       zurechtfinden müssen.
       
       Um diese Thematik kreist dann auch „Sonntagsmalerei“. Eva hat eine
       Beziehung zu einem verheirateten Mann, von dem sie aber nicht abhängig sein
       möchte. Also sucht sie sich noch einen Typen und versucht es mit der
       Polyamorie. Was sie dabei erlebt und was sie denkt, wird alles von der
       Kamera eingefangen.
       
       Der Film wirkt letztlich weniger wie ein Spiel- als vielmehr wie ein
       Dokumentarfilm, der vom Leben einer jungen Frau auf der Suche nach Freiheit
       berichtet. Diese kommt irgendwann zu der Überzeugung, dass sie sich weniger
       über ihre Typen definieren, sondern vor allem an sich selbst denken sollte.
       
       Sie räumt zwar irgendwann die Spülmaschine aus und sagt sich dabei, nun ein
       neues Leben beginnen zu wollen, ordentlicher geregelt als bisher. Rennt
       dann aber zum Shoppen von allerlei Klamotten, bis ihr das Geld ausgeht und
       sie sich bei einer Freundin etwas leihen muss. Ständig ist da die
       Zerrissenheit zwischen den gesellschaftlich vorgegeben Strukturen und dem
       Ausbruch aus genau diesen.
       
       Und immer hat Stöckl dabei die Befindlichkeiten der Frau im Blick, während
       die Männer mit ihren schrecklichen Siebzigerjahrenfrisuren zur Staffage
       degradiert werden, denen man mal zur eigenen Belustigung über ihr Bäuchlein
       streichelt wie einem Kleinkind.
       
       Eine ältere Dame, ganz offensichtlich Evas Mutter, wünscht ihr endlich eine
       Familie, Kinder und damit Sicherheit. Und wahrscheinlich ist es ihr
       Schwager, der da am Küchentisch sitzt und ihr ganz wichtig erklärt, dass es
       da einen Zusammenhang gebe mit ihrer Beziehung zu Hallodri-Typen und ihrer
       dauernden Geldnot.
       
       Von allen Seiten wird ihr erklärt, was sie falsch mache und was sie demnach
       besser machen sollte. Aber eigentlich wirkt Eva, die aus ihrem Leben ein
       Experiment macht, ganz zufrieden.
       
       1 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
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