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       # taz.de -- Menschenrechte in Afghanistan: Taliban gegen Geburtenkontrolle
       
       > In Kabul und im Norden Afghanistans ist der Verkauf von Verhütungsmitteln
       > nun untersagt. Ein offizielles Verbot der Taliban gibt es aber bisher
       > nicht.
       
   IMG Bild: Die neue Normalität unter den Taliban: eine Frau mit Burka in Kabul im November 2022
       
       Berlin taz | Die in Afghanistan herrschenden Taliban scheinen nun für
       Frauen auch den Zugang zu Kontrazeptiva einschränken zu wollen. Das geht
       aus einem Bericht der [1][von afghanischen Frauen betriebenen
       Nachrichtenseite Rukhshana] hervor. Demzufolge hätten Taliban in der
       Hauptstadt Kabul sowie in der nordafghanischen Metropole Masar-i-Scharif
       den Kauf und Verkauf von Schwangerschaftsverhütungsmitteln untersagt, hieß
       es am Donnerstag.
       
       In beiden Städten hätten Taliban Arzneimittelhändler angewiesen, „den
       Verkauf von Tabletten, Ampullen und anderen Verhütungsmitteln zu
       unterlassen“. Händler sowie Hebammen bestätigten gegenüber Rukhshana, dass
       die Taliban etwa drei Wochen zuvor den Import und die Ausgabe von
       Kontrazeptiva jeder Art verboten hätten. Bei mindestens einem Kabuler
       Großhändler sei es zu Beschlagnahmen gekommen.
       
       Die Webseite zitierte mehrere Frauen, die angaben, dass Hebammen sich
       geweigert hätten, ihnen Kontrazeptiva zu geben. Eine Kabulerin namens
       Chadidscha berichtete, die Hebamme, die sie regelmäßig konsultiert hatte,
       habe ihr gesagt, die Taliban hätten angeordnet, dass keine hormonellen
       Verhütungsmittel mehr verabreicht werden dürften.
       
       Eine weitere Frau aus der afghanischen Hauptstadt sowie ein Ehepaar aus
       Masar-i-Scharif hätten bestätigt, dass viele Apotheken keine
       Verhütungsmittel mehr führten, weil ihnen von Taliban gesagt worden sei,
       der Verkauf sei untersagt. Wo sie unter dem Ladentisch oder von Ärzten
       privat weiter angeboten würden, habe sich der Preis verdoppelt.
       
       ## Unklar, welche Behörde die Anordnung erließ
       
       Laut taz-Informationen wurde in einem Distrikt nahe Masar einer
       Hilfsorganisation die Ausgabe von Kontrazeptiva verboten, aber es war
       unklar, ob das von den Taliban oder örtlichen Kreisen ausging.
       
       Aufgrund sozial wie religiös bedingter mangelhafter Aufklärung zur
       Schwangerschaftsvorbeugung kommen viele Afghaninnen [2][erst bei der Geburt
       mit dieser Möglichkeit in Berührung]. Hebammen sind so eine der
       Hauptquellen für Kontrazeptiva.
       
       Einer der Großhändler erzählte Rukhshana, dass nur „alle Arten
       Kontrazeptiva, die Frauen verwenden, verboten sind“. Kondome seien also
       ausgenommen.
       
       Es blieb unklar, welche Taliban-Behörde die Anordnung erlassen hat.
       Begründet wurde sie gegenüber Händlern und Hebammen mit dem Argument, die
       Anwendung solcher Mittel sei „haram“ – aus religiösen Gründen verboten. Ein
       schriftliches Verbot liegt bisher nicht vor.
       
       ## „Nur in Ausnahmefällen“ erlaubt
       
       Eine der raren offiziellen Stellungnahmen der Taliban zum Thema stammt aus
       dem Jahr 2009, von ihren damaligen Sprecher Kari Jusuf Ahmadi. Er sagte der
       humanitären Nachrichtenagentur Irin, dass Kontrazeptiva „nur in
       Ausnahmefällen“ und Kondome nur „auf Anweisung eines Arztes zur
       Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten“ verwendet werden sollten.
       „Kondome sind schlecht“, sagte er, da sie „Obszönität unter den Moslems
       verbreiten. Generell sollen Verhütungsmittel nicht dazu dienen, Geburten zu
       verhindern, denn der Islam spricht sich für mehr muslimische Kinder aus und
       bittet Paare, so viele Kinder wie möglich zur Welt zu bringen“.
       
       [3][Laut dem Weltbevölkerungsfonds] der Vereinten Nationen sterben in
       Afghanistan 638 von 100.000 Frauen bei der Geburt. In keinem asiatischen
       Land ist diese Zahl höher. Im Jahr 2001 – als die Taliban zuletzt an der
       Macht waren – betrug die Rate sogar 1.390 Tode pro 100.000 Geburten. Die
       Geburtenrate liegt bei durchschnittlich 6,3 Kindern pro Frau, jedes zehnte
       Kind wurde von einer Unter-18-Jährigen geboren.
       
       Die Vorgängerregierung hatte mit internationaler Unterstützung versucht,
       die Müttersterblichkeit und das rasante Bevölkerungswachstum durch
       erweiterte Beratungsangebote und kostenlose Vergabe von Verhütungsmitteln
       einzudämmen. Die Akzeptanz für moderne Kontrazeptiva war in dieser Zeit
       gewachsen. Laut UN verwendeten 2014 23 Prozent der verheirateten Frauen
       solche Methoden; 2003 waren es noch 10 Prozent gewesen.
       
       Allerdings gab es auch [4][Widerstand] aus regierungsnahen religiösen
       Kreisen. Reuters zitierte 2011 einen Professor für islamisches Recht an der
       Universität Kabul mit den Worten, es sei „nicht an uns (Menschen), die
       Reproduktion von Kindern zu kontrollieren“. Er sprach sich auch gegen
       Abtreibungen aus: „Der heilige Koran sagt uns, keine Kinder zu töten.“
       US-finanzierte Familienplanungsprojekte mussten eingestellt werden, nachdem
       die Trump-Regierung ab 2017 UN-Organisationen und ab 2019 nichtstaatliche
       Hilfswerke im Ausland nicht mehr förderte, die solche anboten.
       
       Das Gesundheitsministerium der Vorgängerregierung konnte sein Personal,
       darunter Ärzte an staatlichen Kliniken, nicht anweisen, Kontrazeptiva oder
       Sterilisation anzubieten, da die soziale Akzeptanz begrenzt war. Auch viele
       Ärzte sind der Ansicht, erst nach mehreren Geburten sollte, wenn überhaupt,
       verhütet werden. Meist war die Zustimmung des Ehemanns notwendig. Taliban
       bedrohten Geistliche, die Familienplanungsprogramme der Regierung
       unterstützten. Ein Schwangerschaftsabbruch war laut Gesetz nur bei
       Lebensgefahr für die Mutter zugelassen. Ansonsten drohten dafür bis zu fünf
       Jahre Haft.
       
       13 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://rukhshana.com/en/taliban-have-banned-the-sale-of-contraceptives
   DIR [2] https://www.reuters.com/article/health-us-afghanistan-birthcontrol-idUKTRE77M4MU20110823
   DIR [3] https://twitter.com/UNFPAAfg/status/1559782157081616385?s=20&t=9bVMbIW8nFZlZfRjcpDpVg
   DIR [4] https://www.unfpa.org/news/acceptance-family-planning-grows-afghanistan-myths-linger
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Ruttig
       
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