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       # taz.de -- Die Berliner SPD und die Koalitionsfrage: Zwischen Grünen und Giffey
       
       > Der Landesvorstand der Berliner SPD hat ihre Spitzenkandidatin nicht vom
       > Hof gejagt. Am Freitag starten die Sondierungen. Das Dilemma aber bleibt.
       
   IMG Bild: Links steht die eine Partei (Giffey), rechts steht Raed Saleh
       
       Berlin taz | Für den Moment haben sie sich wieder zusammengerauft.
       Personelle Konsequenzen, wie sie einige aus der SPD gefordert hatten,
       spielten auf der Sitzung des [1][SPD-Landesvorstands] am späten
       Montagnachmittag keine Rolle mehr. Stattdessen einigten sich die knapp 40
       Mitglieder des Gremiums auf ein gemeinsames Papier. Darin heißt es: „Wir
       werden die Einladung der CDU zu Sondierungsgesprächen annehmen, auch
       sprechen wir mit unseren bisherigen Koalitionspartnern über die mögliche
       Fortsetzung der Zusammenarbeit.“
       
       Klingt nach Formelkompromiss, ist es auch. Dennoch war die Debatte im
       wichtigsten Gremium der Berliner SPD nicht ganz so kontrovers wie viele
       erwartet hatten. Wie Teilnehmer berichten, hatte Giffey gleich zu Beginn
       der Sitzung, die um 16.30 Uhr startete, eine Art Vorwärtsverteidigung
       angetreten. „Ich klebe nicht an meinem Posten“, soll sie gesagt haben. Wenn
       die Partei jemand anders an der Spitze haben wolle, solle man es ihr sagen.
       
       Es hat ihr am Ende keiner gesagt. Nach der Ära Wowereit und Müller gibt es
       niemanden, der das Format hätte, Giffey als Regierungschefin oder
       Regierungschef nachzufolgen. Giffey weiß das, auch deshalb kam sie
       ungeschoren aus der Sitzung. Die Frage, ob Giffey diese Wahl politisch
       überleben würde, wurde an diesem Montagnachmittag beantwortet: vorerst ja.
       
       ## Keine Berlin-Partei mehr
       
       Kritik kam trotzdem auf. Schließlich hat die SPD, die im Wahlkampf 2021
       noch darauf gesetzt hatte, in den Außenbezirken Wählerinnen und Wähler
       zurückzugewinnen, gerade dort an die CDU verloren. Außerhalb des
       S-Bahn-Rings ist die Wahlkarte schwarz, in den Innenstadtbezirken
       größtenteils grün. Die SPD ist nicht mehr die „Berlin-Partei“, als die sie
       sich gerne sieht. Entsprechend schwankte die Diskussion auf der
       Vorstandssitzung, wie es hieß, zwischen Durchhalteparolen und
       grundsätzlicher Kritik.
       
       Kontroversen gab es vor allem darüber, welches Regierungsbündnis angestrebt
       wird. Giffey selbst schloss in ihrer Rede zu beginn nicht aus, den Anspruch
       auf das Rote Rathaus aufzugeben und als Juniorpartnerin mit der CDU des
       Wahlsiegers Kai Wegner zu koalieren. Auch einige Kreisverbände, vor allem
       die im Osten der Stadt, könnten ihr dabei folgen. Die Mehrheit der
       Mitglieder im Landesvorstand plädierte dagegen für eine Fortsetzung des
       Bündnisses mit Grünen und Linkspartei.
       
       Giffey selbst hatte betont, dass sie „Respekt vor dem Wahlergebnis habe“.
       Deshalb müsse die SPD auch zeigen, dass sie Veränderungen will. Wichtig
       seien ihr dabei die vier Themen Wohnungsbau, innere Sicherheit, Verwaltung
       und Verkehr.
       
       Bei Kai Wegner wird sie damit offene Türen einrennen. Noch ist zwar nicht
       ganz klar, wann genau die Sondierungen mit der SPD beginnen, doch die
       Positionen von Franziska Giffey und dem CDU-Chef liegen etwa in der
       Verkehrspolitik nicht weit auseinander. „Mit mir gibt es keine Politik
       gegen das Auto“, hatte Wegner vor der Wahl in einem Interview gesagt. Beim
       [2][Kandidatencheck im RBB] hatte Giffey wiederum betont: „Ich möchte auch,
       dass Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, auch in der Innenstadt
       unterwegs sein können.“ Auch beim Wohnungsbau, der inneren Sicherheit und
       der Verwaltungsreform gibt es viele Schnittmengen zwischen der CDU und
       Franziska Giffey. Das gilt erst recht für die Ablehnung eines möglichen
       Enteignungsgesetzes.
       
       Im Grunde zeigen diese Schnittmengen aber nur, dass die SPD eine gespaltene
       Partei ist. Anders als Franziska Giffey plädierte im Juni 2022 eine
       Zweidrittelmehrheit [3][auf einem Landesparteitag] gegen den Weiterbau der
       A100. Eine Mehrheit fand sich auch für das Enteignungsgesetz, so es
       verfassungskonform wäre. Auch die Verkehrswende findet in den
       mitgliederstarken Bezirken Mitte, Tempelhof-Schöneberg,
       Charlottenburg-Wilmersdorf viele Anhängerinnen und Anhänger in der
       Parteibasis. Ist die Regierende Bürgermeisterin und SPD-Landesvorsitzende
       in der falschen Partei?
       
       Noch hat sie keiner vom Thron gestoßen. Auf der Sitzung des Landesvorstands
       hatte niemand die Forderung erhoben, dass Giffey als Landeschefin
       zurücktreten sollte. Vom Tisch ist die Spaltung damit nicht. Und sie wird
       auch nicht weg sein, falls sich die SPD entschließt, das rot-grün-rote
       Bündnis fortzusetzen. Im Grunde wäre das dann sogar ein Viererbündnis: Eine
       Giffey-SPD, die nach rechts rücken und der CDU wieder Stimmen abjagen will,
       eine Mehrheits-SPD, die ihrem sozialen und linken Gewissen folgt, eine
       grüne Partei, die womöglich einen Senatsposten zusätzlich, etwa
       Stadtentwicklung, verlangt und auf Gleichberechtigung pocht, und eine
       Linkspartei, für die es, anders als bei SPD und Grünen, keine Alternative
       zu Rot-Grün-Rot gibt. Die Mehrheit der SPD befände sich in diesem Fall
       zwischen den Stühlen, vulgo zwischen Grünen und Giffey.
       
       Vor Berlin liegen spannende Sondierungen. Die CDU hat SPD und Grüne bereits
       zu ersten Gesprächen eingeladen, beide Termine sind für Freitag angesetzt.
       Ein weiteres Gespräch soll es Anfang kommender Woche geben. Angeführt wird
       die Delegation der SPD von den beiden Landesvorsitzenden Franziska Giffey
       und Raed Saleh.
       
       Der Ausgang dürfte nach wie vor offen sein. Denn für alle drei möglichen
       Koalitionen gibt es mehr Argumente, die gegen das jeweilige Bündnis
       sprechen, als dafür: Schwarz-Rot wäre wohl Giffeys Wunsch, könnte aber an
       der SPD-Basis scheitern, Schwarz-Grün als mögliche Präferenz von Kai Wegner
       an der Verkehrspolitik und der grünen Basis und Rot-Grün-Rot an den
       Fliehkräften, die einer Fortsetzung des Bündnisses mehr noch eingeschrieben
       sind als dem, das gerade abgewählt wurde.
       
       14 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://spd.berlin/partei/#landesvorstand
   DIR [2] https://www.rbb-online.de/fernsehen/programm/07_02_2023/1864033.html
   DIR [3] /Landesparteitag-in-Berlin/!5859313
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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