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       # taz.de -- Die Wahrheit: Putin on the Ritz
       
       > Programmänderung im deutschen Fernsehen: Statt eines „Brennpunkts“ kommt
       > die große Friedensshow im Ersten.
       
   IMG Bild: Moderiert jede Show und notfalls auch den Frieden: Barbara Schöneberger
       
       Bilder einer Waldlichtung. Ein Hirsch tritt aus dem Unterholz. Hymnische
       Musik. Ein Mann mit einem riesigen Kamerastativ über der Schulter. Er
       blickt dem Tier bewundernd entgegen. Der Titel „Andreas Kieling: Meine
       wilde Welt“ wird eingeblendet. Der Mann mit dem Stativ spricht jetzt direkt
       in die Kamera, hebt dazu einladend die Hände: „Es gibt viel zu entdecken.
       Kommen Sie mit in meine wilde Welt.“
       
       Hinter ihm der Hirsch. Man sieht, wie er sein Ding ausfährt, hört ihn
       brünftig röhren – doch denkste: Es ist Ingo Zamperoni, der die Hirschbrunst
       täuschend echt imitiert hat und jetzt neben den Tierfilmer tritt: „Sorry
       Andreas“, so der „Tagesthemen“-Schlaks gewohnt zuversichtlich, „wir ändern
       kurzfristig das Programm, senden aus aktuellem Anlass das Manifest des
       Friedens: ‚Putin on the Ritz‘.“
       
       Es folgt eine schnelle Serie faszinierend schrecklicher
       „Tagesschau“-Bilder: Bomben, Raketen, Explosionen, Zerstörung,
       Verzweiflung. Dazu Showgesang: „If you’re blue / And you don’t know / Where
       to go to / Why don’t you go / Where Donbass flits / Putin on the Ritz.“
       
       Der Sendungstitel fliegt ins Bild. Applaus. Die Stuttgarter
       Hanns-Martin-Schleyer-Halle ist wie eine dieser Metro-Stationen gestaltet,
       die den Menschen in Kiew oder Odessa seit einem Jahr als Schutzraum dienen.
       
       ## Hautenger Selenski-Look
       
       Das deutsche Publikum, verkleidet als ukrainische Schutzsuchende, sitzt
       begeistert applaudierend, teils sogar füßetrampelnd in den
       Bahnsteigkulissen. Einem U-Bahn-Waggon aus Pappmaché entsteigt sodann:
       „Verstehen Sie Spaß?“-Moderatorin Barbara Schöneberger – heute im hautengen
       Selenski-Look: Olivgrünes T-Shirt-Kleid mit ganz offenbar nichts drunter.
       Der Jubel schwillt ins Frenetische. Dazu ertönen Luftschutzsirenen.
       
       „Guten Abend, Stuttgart! Guten Abend bei ‚Putin on the Ritz‘ – obwohl …“,
       Schöneberger versucht mit beschwichtigenden Gesten für Ruhe zu sorgen,
       ‚Verstehen Sie Putin?‘ wäre auch kein schlechter Titel gewesen. Denn genau
       das müssen meine Kandidaten ja heute Abend …“, sie weist auf ein
       friedenstaubenartig geformtes Panel, auf dem, eingerahmt von Sahra
       Wagenknecht und Alice Schwarzer, die Erstunterzeichner Jürgen Todenhöfer,
       Martin Sonneborn, Margot Käßmann und Franz Alt sitzen und lachend ins
       Publikum winken, „… Putin verstehen und ihm im Namen unserer ukrainischen
       Freunde ein Friedensangebot machen …“, von der Hallendecke schwebt
       unterdessen ein ungefähr dreißig Meter langer Verhandlungstisch herab, „…
       das er nicht ablehnen kann.“
       
       Erneut aufbrausender Applaus. „Und hier ist er auch schon!“ Martialische
       Musik. Ein russischer T-72 kommt in die Halle gerattert mit niemand
       Geringerem als Wladimir Putin, der mit nacktem Oberkörper auf dem
       Geschützturm thront. Leichtfüßig springt der russische Präsident vom
       Panzer, eilt zu Schöneberger und küsst ihr formvollendet die Brüste –
       Werbeunterbrechung: „‚Putin on the Ritz‘, die große Friedensshow im Ersten,
       wird Ihnen präsentiert von Trigema. Seit 100 Jahren Made in Germany. Nur
       echt mit dem Trigema-Affen!“
       
       Zurück in die Halle, wo Putin sich derweil ein blutrotes Z-Shirt
       übergeworfen und am Verhandlungstisch Platz genommen hat. Ihm gegenüber
       sieht man Dr. Todenhöfer schwitzen. „Okay, Herr Präsident. Ich habe Ihnen
       jetzt schon die gesamte Ukraine, die Republik Moldau und halb Polen
       angeboten. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, würden Sie auch zu Litauen,
       Lettland und Estland nicht Nein sagen?“
       
       Putin nickt, grinst dazu Beifall heischend ins Publikum, das mit
       zustimmenden Rufen wie „Das meinen auch wir. Es ist Zeit, uns zuzuhören!“
       oder „Schaden vom deutschen Volk abwenden!“ reagiert. Nur vereinzelt auch
       Buhrufe.
       
       ## Berühmtes Zwinker-Smiley
       
       Todenhöfer: „Also, Sie werden verstehen, Herr Putin …“ – im Hintergrund
       sieht man, wie die Buhrufer von empörten Friedensfreunden zusammengetreten
       werden – „dass ich das gerade noch mit meinen Mitstreitern hier abstimmen
       muss.“ Schnitt auf das Panel mit den Petitionistinnen und
       Erstunterzeichnern. Man sieht Wagenknecht mit ihren Händen die Umrisse von
       Ungarn und Georgien formen, während Sonneborn immer wieder sein berühmtes
       Zwinker-Smiley andeutet. Frau Schwarzer indes scheint friedlich eingenickt
       zu sein.
       
       Dann ist Margot Käßmann dran, wird zur Außenwette vor die Halle geschickt.
       Ihre Aufgabe: „Top, es gilt, einen Waffenstillstand herzustellen – aber
       ohne Waffen“, wie Barbara Schöneberger ausdrücklich betont. Schon erklingt
       der Wette-verloren-Jingle.
       
       Anschließend darf sich auch noch Dr. Alt an einer Verhandlung versuchen.
       Der Autor von „Frieden ist möglich“ versucht es auf witzig. „Statt immerzu
       nur mit so schweren Waffen sollten Sie’s mal mit Verhandlungstischen
       versuchen“, trägt er Putin „eine ganz spezielle diplomatische Lösung“ an.
       „Aus großer Höhe abgeworfen könnte das von Selenski als ein immerhin
       symbolisches Entgegenkommen …“, doch weiter kommt Alt nicht.
       
       „My zanimayemsya etim uzhe dolgoye vremya“, wird er von Putin unterbrochen,
       was Schöneberger mit „Machen wir doch längst!“ übersetzt. Auf einem Screen
       ist zu sehen, wie aus einem russischen Bomber ein regelrechter Teppich von
       schweren Verhandlungstischen auf die Ukraine niedergeht. Am unteren
       Bildrand scrollen derweil die Namen sämtlicher Petitionsunterstützer durch.
       Der Beifall schwillt ins Unermessliche an. Aus, aus, die Show ist aus.
       
       15 Feb 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fritz Tietz
       
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