URI: 
       # taz.de -- Agrarwissenschaftler über Ökolandbau: „Essen darf nicht zu teuer werden“
       
       > Die Umstellung auf Ökolandbau muss aktiv gefördert werden, sagt Hans
       > Marten Paulsen. Ein Gespräch über nachhaltige Handelsketten und
       > Biolebensmittel.
       
   IMG Bild: Zu teuer? Grünkohlernte auf dem Feld eines Biogemüsebetriebs bei Potsdam
       
       taz: Die Umsätze in der Bio-Branche sind 2022 [1][das erste Mal] gesunken.
       Die Menschen kaufen weniger Bio, weil alles teurer geworden ist. Wieso sind
       die Preise gestiegen? 
       
       Hans Marten Paulsen: Die Preise sind durch Engpässe auf dem Getreidemarkt
       und den Krieg in der Ukraine gestiegen. Die Erzeuger mussten Saatgut und
       Energie teurer einkaufen, beim Absatz herrschte Verunsicherung. Und auch
       die Verarbeitung der Produkte hat sich durch die hohen Energiepreise
       verteuert. Das hat sich auf den Konsum ausgewirkt. Alles ist teurer
       geworden und da haben die Konsumenten natürlich auch bei Lebensmitteln auf
       die Preise geguckt. Das mache ich auch.
       
       Wie können Bio-Lebensmittel trotz steigender Preise für jeden erschwinglich
       bleiben? 
       
       Der ökologische Landbau darf kein Premiumsegment bleiben. Aber das hängt
       auch von den Rahmenbedingungen für die konventionelle Landwirtschaft ab.
       Auch da werden die Schrauben angezogen: Die Vorschriften werden verschärft,
       viele schweinehaltende Betriebe steigen zum Beispiel schon aus, Düngung und
       Pestizideinsatz werden enger reguliert. Insgesamt werden deswegen auch
       konventionelle Produkte teurer. Vielleicht sind sie irgendwann so teuer,
       dass die negativen ökologischen Kosten eingepreist sind. Dann gleichen sich
       die Preise automatisch an die der Bio-Produkte an und Bio zu kaufen fällt
       dann leichter. Klar ist aber: Nahrungsmittel dürfen nicht zu teuer werden,
       sonst wird es schwierig für eine Gesellschaft.
       
       Bio wurde 2022 vermehrt in großen Supermärkten gekauft. Ist das gut? 
       
       Es gibt auch negative Seiten an dem Trend. Bioprodukte aus Supermärkten
       sind häufig weniger regional als die aus dem Fachhandel. Dort oder bei
       Hofläden gibt es häufig auch Erzeugergenossenschaften, die aus der Region
       Produkte beziehen und sichere Handelsketten aufbauen, damit man am Ende
       auch weiß, wo ein Produkt herkommt. Was man kauft, bekommt dadurch ein
       Gesicht und die Qualität kann besser überprüft werden.
       
       Bei großen Handelsketten ist das nicht so? 
       
       Dort läuft es ein bisschen anders. Da werden große Mengen eingekauft, aber
       man kickt auch [2][Landwirte] wieder raus, wenn Märkte wegbrechen oder
       günstigere Anbieter gefunden werden. Und das bedeutet natürlich eine
       gewisse Unsicherheit für die Landwirte. Über die gemeinschaftliche
       Vermarktung, zum Beispiel über Bioverbände, können Landwirte da mehr
       Verhandlungsmacht bekommen.
       
       Werden wir das von der Koalition aufgestellte Ziel von 30 Prozent
       Biolandwirtschaft bis 2030 erreichen? 
       
       Das ist total ambitioniert, das geht nicht von heute auf morgen. Es wird
       nur klappen, wenn die Politik massiv investiert in Beihilfen für Betriebe,
       die umstellen. Vor allem brauchen die Betriebe Planungssicherheit, sie
       müssen wissen, in was sie investieren sollen – und auf wie viel
       Unterstützung sie bauen können.
       
       Ist der Hebel auf der Nachfrage oder der Angebotsseite größer? 
       
       Das muss parallel gehen. Der erste Schritt ist sicher, dass die Umstellung
       auf Bio gefördert wird. Denn die Erfahrung zeigt, dass Landwirte und
       Landwirtinnen etwas ändern, sobald die politischen Rahmenbedingungen
       angepasst werden. Aber natürlich muss auch die Nachfrage stimmen. Dafür
       müssen die Konsumenten auch besser mitgenommen werden, zum Beispiel durch
       gute Angebote in Mensen und Kantinen, in Restaurants oder Werbekampagnen.
       Die Botschaft muss sein: Gesunde Ernährung mit Bio bedeutet eine gesunde
       Umwelt.
       
       Welche Möglichkeiten gibt es noch, Biolandwirtschaft zu fördern? 
       
       Auch über die Subventionen der EU können Landwirte gefördert werden, wenn
       sie nachhaltiger werden. Aber es muss noch deutlicher werden, dass die
       gemeinsame europäische Agrarpolitik auch auf Bio ausgerichtet ist. Denn das
       würde zum Beispiel geringere Nitrateinträge ins Wasser, höhere
       Artenvielfalt oder eine artgerechtere Tierhaltung bedeuten.
       
       Wo sollte man noch ansetzen? 
       
       Auch die [3][Mehrwertsteuersenkung] auf Bioprodukte könnte eine effektive
       Maßnahme sein. Darüber könnte der Konsum gezielt gesteuert werden. Und: Es
       muss an allen Ecken und Enden weiter geforscht werden! Momentan gibt es
       einfach zu wenige, die dezidiert zum ökologischen Landbau forschen dürfen.
       Universitäten ziehen sich zum Beispiel insgesamt aus angewandter
       Agrarforschung zurück. Dabei wäre regionale Forschung sehr wichtig, um
       Ökolandbau in der Fläche zu fördern, weil überall die Bedingungen anders
       sind. Deswegen sollten Förderprogramme aufgelegt, Exzellenzinitiativen ins
       Leben gerufen oder Stiftungsprofessuren für den ökologischen Landbau
       berufen werden.
       
       15 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Erstmals-weniger-Umsatz-mit-Oekoessen/!5915257
   DIR [2] /Biobauer-ueber-die-Kosten-der-Milch/!5877623
   DIR [3] /Obst-und-Gemuese-ohne-Mehrwertsteuer/!5849979
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Burggraf
       
       ## TAGS
       
   DIR Bio-Lebensmittel
   DIR Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
   DIR Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
   DIR Petition der Woche
   DIR Preisanstieg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Erstmals weniger Umsatz mit Ökoessen: Biomarkt schrumpft nach Coronaboom
       
       Der Bio-Umsatz ist 2022 erstmals gefallen: um 3,5 Prozent. Schuld ist die
       Inflation. Und dass Restaurants nach der Pandemie wieder öffneten.
       
   DIR Petition der Woche: Soll Bioessen steuerfrei sein?
       
       Der Verein „True Cost Economy“ fordert eine Mehrwertsteuersenkung auf
       Biolebensmittel. Ist das sozial gerecht?
       
   DIR Biobauer über die Kosten der Milch: „Zu wenig kommt in Betrieben an“
       
       Die Biomeierei „Hamfelder Hof“ hat bewusst die Preise erhöht, um noch
       höhere Tierschutzstandards umzusetzen. Doch nun sind da Pandemie und Krieg.