URI: 
       # taz.de -- Öko-Energie zu teuer: Grünes Schrumpfen ist angesagt
       
       > Eine neue Studie weist nach, dass „grünes Wachstum“ eine Illusion ist.
       > Denn Öko-Energie, die unsere Technik antreibt, hat schlicht zu hohe
       > Kosten.
       
   IMG Bild: Viel Platz für Wind- und Sonnenkraft: Ein Windpark in der Nähe der marokkanischen Kleinstadt Tarfaya
       
       Klimaschutz scheint einfach: Man muss nur auf Ökoenergie setzen. Doch
       leider ist es nicht trivial, genug Ökoenergie zu mobilisieren.
       Energieexperten schätzen, dass Deutschland etwa 2.000 Terawattstunden (TWh)
       an Ökostrom benötigen würde, wenn „grünes Wachstum“ möglich sein soll. Das
       wäre rund 4-mal so viel Strom, wie Deutschland heute verwendet.
       
       Diese Mengen kann die Bundesrepublik nicht komplett erzeugen. Selbst wenn
       so viele Solarpaneele und Windräder wie möglich installiert würden, kämen
       wohl nur 1.200 heimische Terawattstunden heraus. Die restlichen 800 TWh
       müssten importiert werden.
       
       Wirtschaftsminister Robert Habeck [1][ist daher kürzlich nach Namibia
       gereist], um dort ein Projekt anzustoßen, das 10 Milliarden Dollar kosten
       soll. Mit Sonne und Wind soll grüner Wasserstoff produziert und dann in
       Ammoniak umgewandelt werden. 2027 soll die erste Fuhre nach Deutschland
       gehen, um hier Dünger und andere Chemikalien klimaneutral herzustellen.
       
       Die Idee hat Charme: Namibia ist mehr als doppelt so groß wie Deutschland,
       hat aber nur knapp 2,6 Millionen Einwohner – und damit viel Platz für
       Windräder und Solarpaneele. [2][Zugleich würde auch Namibia Ökostrom
       erhalten], denn „eine Art von grünem Energie-Imperialismus“ schließt Habeck
       aus.
       
       Bleibt die Frage: Wie teuer wird die gesamte Produktion? Es sagt wenig,
       dass ein Projekt 10 Milliarden Dollar kosten soll. Um die Energiewende zu
       kalkulieren, ist wichtig, wie teuer die einzelnen grünen Energie-Einheiten
       im Vergleich zu den fossilen Varianten werden.
       
       Lange gab es nur vage Schätzungen – bis im Dezember [3][eine Studie
       erschien], die das Bundeswirtschaftsministerium gefördert hat. Gerechnet
       wurden Modelle für das nördliche Afrika und den Nahen Osten, wo die
       Bedingungen ähnlich günstig wie in Namibia sind: Die Sonne scheint fast
       immer, und in den Wüsten leben kaum Menschen, die sich an den Solarpaneelen
       oder Windrädern stören könnten.
       
       Immerhin: Theoretisch ließe sich genug Strom erzeugen, um ganz Europa zu
       versorgen. Doch der Rest ist schwierig. Denn der Wüstenstrom lässt sich
       nicht einfach nach Norden transportieren, weil Stromleitungen zu teuer
       wären. Um aber per Schiff oder Pipeline nach Europa zu gelangen, muss der
       Strom umgewandelt werden – erst in grünen Wasserstoff und dann in
       synthetische Kraftstoffe oder andere Basisprodukte. Schon dabei geht eine
       Menge Energie verloren. Zudem lässt sich Wasserstoff nur erzeugen, wenn
       Süßwasser vorhanden ist, das aber in Wüsten bekanntlich fehlt.
       
       ## Hohe Energiekosten
       
       Also muss Meerwasser entsalzt werden, was erneut Energie kostet. Ein
       weiteres Problem: Um grünes Kerosin oder andere Energieträger zu erzeugen,
       wird Kohlenstoff benötigt. Klimaneutral ist dies jedoch nur, wenn dafür
       CO2 aus der Luft gefiltert wird, weil auch wieder CO2 entsteht, wenn grünes
       Kerosin verfeuert wird. Leider kostet es erneut viel Energie, CO2 aus der
       Luft zu holen.
       
       Die neue Studie hat daher errechnet, dass ein Liter grünes Kerosin 2030
       zwischen 1,92 und 2,65 Euro kosten dürfte. Bis 2050 sollen die
       Herstellungskosten auf 1,22 bis 1,65 Euro fallen. Diese Preise wirken
       zunächst nicht besonders teuer – schließlich müssen Fluggesellschaften
       momentan etwa 2,81 Dollar pro Gallone Kerosin zahlen, wobei eine Gallone
       4,4 Litern entspricht. Das grüne Kerosin scheint also „nur“ 4-mal so teuer
       zu sein wie die fossile Variante.
       
       ## Marktpreise und Herstellungskosten verwechselt
       
       Doch dieser Vergleich führt in die Irre, weil Marktpreise mit
       Herstellungskosten verwechselt werden. Die Fluggesellschaften zahlen nicht
       nur für die Produktion des Kerosin, sondern finanzieren auch die enormen
       Gewinne der Ölstaaten – und die Spekulation an den Finanzmärkten. Das Öl
       selbst lässt sich relativ billig aus dem Boden holen. Im Nahen Osten liegen
       die Förderkosten bei etwa 10 Dollar pro Barrel (159 Liter), in den USA sind
       es rund 30 Dollar.
       
       Natürlich ist auch ein bisschen Aufwand nötig, um das Rohöl zu Kerosin zu
       raffinieren – aber insgesamt dürfte die Herstellung von grünem Kerosin etwa
       10- bis 40-mal so viel kosten wie die fossile Variante. Damit wird „grünes
       Wachstum“ zur Illusion.
       
       Stattdessen [4][ist „grünes Schrumpfen“ angesagt]. Denn die Energie treibt
       die ganze Technik an, die unseren Wohlstand produziert. Wird Energie knapp
       und teuer, muss die Wirtschaftsleistung sinken. Viele Klimaretter wollen
       nicht wahrhaben, dass es auf „grünes Schrumpfen“ hinausläuft. Sie führen
       gern zwei Argumente an, die aber beide falsch sind. Erstens: Nur die
       Marktpreise würden zählen, nicht die Herstellungskosten. Denn das hiesige
       Geld sei futsch, sobald wir unsere Ölimporte zahlen. Deswegen sei grünes
       Kerosin „nur“ 4-mal so teurer.
       
       ## Firmen müssten aufgeben
       
       Dieses Argument krankt daran, dass so getan wird, als würde das Geld auf
       ewig in Saudi-Arabien verschwinden. Das Geld kehrt jedoch nach Europa
       zurück, weil die Saudis hier Urlaub machen, Immobilien erwerben oder
       Luxuskarossen kaufen. Es behindert die weltweite Wirtschaftsleistung kaum,
       wenn die Saudis ihr billiges Öl überteuert verkaufen. Beim grünen Kerosin
       hingegen fallen echte Kosten an: Es werden weitaus mehr Rohstoffe, mehr
       Arbeit und mehr Energie benötigt, um eine Energie-Einheit zu gewinnen.
       
       Das zweite Argument lautet: Die fossilen Energien sind irgendwann genauso
       teuer wie die grünen Varianten, weil die CO2-Preise steigen. Doch damit
       wird kaschiert, dass die Unternehmen zusammenbrechen würden, wenn sie die
       echten Schäden des CO2 zahlen sollten – es sei denn, sie können zu billiger
       Ökoenergie wechseln. Wenn aber auch die Ökoenergie extrem teuer ist, müssen
       viele Firmen aufgeben. Es kommt zum „grünen Schrumpfen“.
       
       Das Wirtschaftsministerium dürfte es noch nicht bemerkt haben: Es hat eine
       Studie finanziert, die zwischen den Zeilen nachweist, dass [5][„grünes
       Wachstum“ eine Illusion ist].
       
       18 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Energiekooperation-mit-Namibia/!5896715
   DIR [2] /Investition-in-gruenen-Wasserstoff/!5896650
   DIR [3] https://wupperinst.org/fa/redaktion/downloads/projects/MENA-Fuels_Synthesebericht_Zusammenfassung_de.pdf
   DIR [4] /Klimaschutz-und-Wachstum/!5901734
   DIR [5] /Wachstum-und-Klimakrise/!5892098
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Grünes Wachstum
   DIR Erneuerbare Energien
   DIR Kolumne Finanzkasino
   DIR Wachstum
   DIR Grüner Kapitalismus
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Wasserstoff
   DIR Nordsee
   DIR Zukunft
   DIR Postwachstum
   DIR Wasserstoff
   DIR IG
   DIR IG
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Deutsche Importstrategie für Wasserstoff: Produktion im Herzen Afrikas
       
       Um bis 2045 klimaneutral zu werden, setzt Deutschland auf Wasserstoff. Der
       soll unter anderem aus Namibia kommen. Das geht nicht ohne Verwerfungen.
       
   DIR Kampf gegen Klimakrise: Grenzen des Fortschritts
       
       Ohne Fortschritt scheitert der Kampf gegen die Klimakrise. Doch wir müssen
       technologische Entwicklungen einhegen – und uns vom Wachstumsdogma lösen.
       
   DIR Klimasubventionen für Unternehmen: Förderung mit Haken
       
       Habecks Milliardensubventionen für grüne Produktion sind sinnvoll. Aber es
       fehlt eine Bilanz, wie viel Ökostrom Deutschland produzieren kann.
       
   DIR Windenergie in der Nordsee: Steife Brise für Europas Stromnetz
       
       Bislang ist das Offshore-Potenzial der Nordsee ungenutzt. Nun wollen
       Deutschland und die anderen Anrainer die See zum grünen Kraftwerk ausbauen.
       
   DIR Natürlicher Wasserstoff unter der Erde: Energie aus dem Erdkern
       
       Wissenschaftler:innen haben unter der Erdoberfläche mehr Quellen
       natürlichen Wasserstoffs entdeckt. Bringt das bald unendlich saubere
       Energie?
       
   DIR Degrowth Gegenargument: Umbauen statt schrumpfen
       
       Klimaschutz ist ohne Wachstum nicht möglich: Eine Auseinandersetzung mit
       den Degrowth-Thesen aus Ulrike Herrmanns aktuellem Buch.
       
   DIR Co-Chefin des Club of Rome über Europa: „Ich nenne das neokolonial“
       
       Mamphela Ramphele ist die Vorsitzende des Club of Rome. Sie kritisiert,
       dass der Green Deal der Europäer koloniale Strukturen nicht aufbricht.
       
   DIR Klimaschutz und Wachstum: Party like it's 1978
       
       Klimaschutz gelingt nur, wenn wir uns vom Wachstumsdenken verabschieden.
       „Grünes Schrumpfen“ wäre eine soziale Revolution.
       
   DIR Wachstum und Klimakrise: Illusion grünes Wachstum
       
       Ökoenergie wird nicht reichen, um unser Wirtschaftsmodell zu erhalten.
       Verschwendung ist keine Option mehr. Eine Entgegnung auf Malte Kreutzfeldt.