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       # taz.de -- Orthodoxe Kirche in Estland: Kirche im Vorwahlkampf
       
       > Die orthodoxe Kirche lädt zu einem Friedensgebet in Tallinn ein. Kurz
       > darauf sagt sie das Vorhaben ab – man habe sich politisch vereinnahmen
       > lassen.
       
   IMG Bild: Metropolit Jewgeni mit Kreuz in Tallinn
       
       Berlin taz | Im estnischen Innenministerium fand zuletzt ein eher
       ungewöhnliches Treffen statt: Vorgeladen war das Oberhaupt der
       estnisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchat (EPZMP), der Metropolit
       [1][von Tallinn] und ganz Estland Jewgeni. Grund für die Audienz am
       vergangenen Dienstag, der weitere folgen könnten, war die Ankündigung der
       EPZMP, sie lade am 22. Februar in die Tallinner Alexander-Newski-Kathedrale
       zu einem Friedensgebet ein. Der Gottesdienst sollte im Rahmen einer Aktion
       „Gemeinsam für den Frieden“ der Bewegung Koos (Zusammen) stattfinden –
       wohlgemerkt zwei Tage vor dem Jahrestag des Beginns von Russlands
       Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie dem estnischen Unabhängigkeitstag.
       
       Koos tritt im Verbund mit der Estländischen Vereinigten Linkspartei, die
       sich als Interessenvertreterin der russischen Minderheit versteht, bei der
       Parlamentswahl am 5. März an. In einem Video, das Anfang der Woche in den
       sozialen Netzwerken kursierte, hatten die Veranstalter potenzielle
       Interessent*innen mit Speis und Trank zu locken versucht. Zusätzlich
       sollten sie sich von einer Bühne zu der Frage äußern können, „wie die
       Menschen in Estland mit allen Flüchtlingen in Frieden und Harmonie leben
       können, die aus der Ukraine gekommen“ seien.
       
       Doch aus dem Stoßgebet wird nichts, die Kirche sagte ihre Beteiligung an
       der von der Koos initiierten Aktion ab. Zur Begründung heißt es auf der
       hauseigenen Webseite, man sei zum Opfer einer politischen Provokation
       geworden. Man habe geglaubt, es mit aktiven Bürger*innen zu tun zu
       haben, die aus hehren Motiven zu einem Gebet für den Frieden aufgerufen
       hätten. „Die Kirche beteiligt sich nicht an der Politik und kann die
       politischen Folgen und Aktivitäten einiger unverantwortlicher
       Akteur*innen nicht immer richtig einschätzen“, heißt es darin.
       
       Soviel Naivität verwundert. Denn die Ansichten der Koos, die unverkennbar
       auf Kreml-Kurs ist, sind bekannt. So wirbt einer der Koos-Chefs, Aivo
       Peterson, für eine Freundschaft mit Russland, kritisiert die Unterstützung
       für die Ukraine als inakzeptabel und diskutiert auf verschiedenen
       Plattformen über eine „Ukrainisierung“ Estlands. Im vergangenen November
       hatten einige Vertreter*innen von Koos an einer Talkshow des russischen
       Oberkreml-Propagandisten Wladimir Solowjow teilgenommen, wo sie sich über
       eine „wachsende Russophobie“ [2][in Estland ausließen.]
       
       ## In Moskau ist Kirill auf Kriegskurs
       
       Freundschaftliche Beziehungen zu Russland liegen offensichtlich auch
       Jewgeni am Herzen, der russischer Staatsbürger ist, vom Moskauer
       Patriarchat gewählt wurde und der EPZMP seit 2018 vorsteht. Kurz darauf
       tauchte er im Jahrbuch des estnischen Auslandsgeheimdienstes auf: So soll
       Jewgeni 2014die Halbinsel Krim kurz nach deren völkerrechtswidriger
       Annexion durch Russland besucht und sich im Propagandakrieg gegen die
       Gründung der eigenständigen orthodoxen Kirche in der Ukraine hervorgetan
       haben.
       
       Anders als Stephanos, Oberhaupt der Estnischen Apostolischen Orthodoxen
       Kirche – sie untersteht dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel und
       ist autonom – kommt Jewgeni keine Verurteilung des Moskauer Patriarchen
       Kirill, ja nicht einmal eine vorsichtige Distanzierung über die Lippen.
       
       Kirill ist hart auf Kriegskurs, er segnet russische Soldaten und predigt,
       ein heldenhafter Tod auf dem Schlachtfeld garantiere die Vergebung aller
       Sünden. Dennoch hält Jewgeni sein Credo aufrecht, dass seine Kirche
       außerhalb alles Politischen stünde. Dabei ist der Krieg gegen die Ukraine
       auch in Estland schon längst in den Gotteshäusern angekommen. Das gilt
       besonders in Zeiten des Wahlkampfes, in dem nicht nur die Koos um die
       Stimmen russischstämmiger Wähler*innen buhlt.
       
       Estlands Innenminister Lauri Läänemets brachte sogar eine Ausweisung von
       Jewgeni ins Gespräch. Sollte er rote Linien überschreiten, den Krieg in der
       Ukraine rechtfertigen, in Moskau geäußerte politische Positionen der
       Russisch-Orthodoxen Kirche gutheißen oder etwaige politische
       Veranstaltungen zusammen mit kremlfreundlichen Parteien organisieren, käme
       eine Ausweisung auf die Tagesordnung, zitiert ihn das estnische Webportal
       err.ee
       
       2 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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