URI: 
       # taz.de -- Der Staat als Vorbild: Ungeheuer ohne Zähne
       
       > Ist der Staat ein schlechtes Vorbild, weil er die vom Bürger
       > eingeforderte Grundsteuererklärung nun selbst verschludert? Kann sein,
       > ist aber auch egal.
       
   IMG Bild: Hier wohnen ungefähr 50 unfreiwillige Hilfsarbeiter:innen des Finanzamts
       
       Es stimmt schon: Der Gedanke liegt nahe, dem Staat seine beim
       Grundsteuerdesaster gehörig verpatzte Vorbildfunktion unter die Nase zu
       reiben. Besonders klug ist es aber nicht. Denn es sieht höchstens ein
       bisschen witzig aus, wie Finanzministerien, -ämter und Kommunen private
       Grundbesitzer:innen erst monatelang [1][wegen der
       Grundsteuererklärungen] auf Trab gehalten haben – um dann kurz vor
       Fristende im Januar für staatseigene Liegenschaften weiteren Aufschub
       auszuhandeln. Weil das alles viel zu kompliziert und aufwendig sei.
       
       Das Land Bremen etwa hat gerade mal zwei Drittel eingereicht. Auch
       Baden-Württemberg, Hamburg, Schleswig-Holstein und Sachsen hängen
       hinterher. Selbst der Bund als Vorbild der Vorbilder kriegt es nicht
       geregelt und fasst zurzeit die Abgabe im Herbst ins Auge: September, oder
       so. Mal gucken.
       
       Wer’s nicht mitbekommen hat: Die Höhe der Grundsteuern soll neu berechnet
       werden, wofür allerlei Daten ins System müssen. Genauer gesagt: an anderer
       Stelle ins System, denn vorliegen tun sie längst: Grundstücksgrößen,
       Nutzflächen der Gebäude, Lage, Flurstück, Grundbuchblatt … das alles ist
       dem Staat durchaus bekannt, muss jetzt aber eben von einer Tabelle in die
       andere, wofür man – weil es wie gesagt nervt wie Sau – die Bürgerinnen und
       Bürger in die Pflicht nahm.
       
       Vorstellen kann man sich das wie die Volkszählung in der Bibel, nur eben
       digital und etwas absurder, weil Volk und Quadratmeter eben längst
       durchgezählt waren. Das „Wie weiter“ hängt dann vom jeweiligen Land ab,
       dreht sich hier um „Bodenrichtwert“, dort ums „Wohnlagemodell“ – oder
       beispielsweise in Niedersachsen ums „Flächen-Lage-Modell“, was dem
       Auswürfeln vielleicht noch am nächsten kommt. Vielleicht auch nicht, ist
       ganz egal.
       
       Und natürlich ist es hochgradig peinlich, dass der Staat beim eigenen Grund
       und Boden nicht in die Pötte kam. Aber „Vorbildfunktion“, wie sie unter
       Grundeigentümer:innen im Plausch am frisch vermessenen Gartenzaun
       heißt – und bisweilen auch in Redaktionskonferenzen der taz? Von wegen
       „ausgerechnet Dings müsste doch bums!“.
       
       ## Ein ideeller Gesamtkindergärtner
       
       Diese Vorstellung vom Staat als ideellen Gesamtkindergärtner überzeugt
       nicht und macht auch ein bisschen betroffen. Was ist nur geworden aus den
       Monstern alter Zeiten: dem Leviathan, wie Thomas Hobbes den
       absolutistischen Staat beschrieb – oder Behemoth, Franz Neumanns
       institutionalisiertes Chaos im faschistischen deutschen Unstaat. „Ein
       schlechtes Vorbild“ kann dagegen nur abstinken.
       
       Der Staat spricht die Sprache der Gewalt, eine andere kennt er nicht – erst
       recht nicht die der Pädagogik. Andererseits passt es schon. Schließlich
       fällt auch die Gängelung säumiger Grundeigentümer:innen
       tatsächlich verhältnismäßig harmlos aus. So hatte das Handelsblatt im
       Interesse seiner Kernklientel [2][neulich mal nachgefragt], was nun
       eigentlich passiere, wenn wer die Frist verstreichen lasse. Die Antwort:
       Erstmal nichts. Ab Sommer gehen vielleicht Mahnungen raus, oder mal sehen.
       
       Vielleicht ist der Leviabehemoth träge geworden. Sicher spielt auch eine
       Rolle, dass es [3][ausnahmsweise die besitzende Klasse] ist, nach der er
       hier die Klauen ausstreckt. Erst mal jedenfalls. Denn sollten die Zahlen je
       erfasst sein, geht’s ja ans Bezahlen, wofür natürlich die Mieter:innen
       zuständig sein werden. Und dann dröhnt vielleicht wieder ein
       urtümlich-brachiales Brüllen aus der depperten Maske des schlechten
       Vorbilds.
       
       17 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Frist-verlaengert/!5887960
   DIR [2] https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/steuern/grundsteuererklaerung-wie-sie-die-frist-fuer-die-abgabe-jetzt-verlaengern-koennen/28941304.html
   DIR [3] /Der-Spiesser-ist-der-andere/!5873109
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Grundsteuer
   DIR Verantwortung
   DIR Staat
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR wochentaz
   DIR Grundsteuer
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Grundsteuer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Frist verlängert: Grundsteuer-Erklärung bis Januar
       
       Die Abgabe soll neu berechnet werden. Jetzt haben die
       Finanzminister*innen entschieden, den Eigentümer*innen mehr Zeit
       zu geben, um die Daten einzureichen.
       
   DIR Der Spießer ist der andere: Solidarität mit Eigenheimbesitzern
       
       Die Probleme von Hausbesitzern auf dem Land lassen viele Linke in der Stadt
       kalt. Dabei ist, wer ein Haus besitzt, noch lange nicht reich.
       
   DIR Änderung der Grundsteuer: Nebenkosten sind keine Nebensache
       
       Die Immobilienpreise steigen, doch für die höhere Grundsteuer sollen
       Mieter:innen aufkommen. Gerechter wäre die Besitzer:innen zahlen zu
       lassen.