# taz.de -- Protestaktion gegen Abriss und Neubau: Rettet die West-Platten
> Rund um die Kurfürstenstraße in Berlin-Tiergarten sollen mehrere prägende
> Gebäude bald abgerissen werden. Irrsinn, findet eine Initiative.
IMG Bild: Groß, grau und multifunktional einsetzbar: Das vom Abriss bedrohte Verwaltungsgebäude an der Urania
Berlin taz | Ein Spaziergang auf der Kurfürstenstraße, die an den
Bezirksgrenzen Schönebergs und Mitte verläuft, ist eine architektonische
Zeitreise in das Westberlin der 70er und 80er Jahre:
Nachkriegs-Funktionsbauten mit vergilbten Beton- und Glasfassaden bestimmen
hier das Straßenbild – noch. Denn gleich fünf Gebäude aus der
Nachkriegszeit sollen in den kommenden Jahren abgerissen werden und durch
profitable Neubauten ersetzt werden. Und dagegen regt sich nun Widerstand:
Das sei [1][ökologischer und sozialer Irrsinn], findet das Kunst- und
Architekturkollektiv Ufo Ufo. Mit einem Protestfest am Samstag wollen sie
auf die Abrisspläne aufmerksam machen.
„Wir haben den Kiez in den Fokus genommen, weil hier bereits sehr viele
Neubaumaßnahmen stattgefunden haben“, erklärt Künstlerin und Architektin
Florine Schüschke, die Teil des Kollektivs ist, „die Mieten in der Gegend
sind in den letzten vier Jahren bereits um 25 Prozent gestiegen.“ Besonders
das Gebiet um die Kreuzung zwischen Kurfürstenstraße und An der Urania
wollen Investor:innen und Bezirk großflächig umgestalten. Die Hotels
Sylter Hof und President wurden von Investor:innen gekauft und sollen
bald abgerissen werden. Das 1967 errichtete Pressehaus Constanze an der
Kreuzung wurde bereits 2021 zurückgebaut, um Platz für ein 17-stöckiges
Hochhaus zu schaffen.
Doch private Investor:innen sind nicht die Einzigen, die an der
Kurfürstenstraße gerne die Abrisskugel schwingen wollen. Auch die
landeseigene Berliner Immobilien Management (BIM) will ein 1964 errichtetes
ehemaliges Verwaltungsgebäude abreißen. In einem Neubau sollen „Wohnen,
Gewerbe und Verwaltung auf Einzelhandel und Gastronomie“ treffen, heißt es
in einer Pressemitteilung der BIM.
„Für uns ist nicht nachvollziehbar, dass statisch funktionierende Gebäude
abgerissen werden“, kritisiert Schüschke. „Die öffentliche Hand sollte hier
wegweisend sein und auf Umbau setzen.“ Schließlich seien alle von der BIM
vorgeschlagenen Nutzungen auch im Bestand realisierbar.
## Lukrativer Abriss
Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise findet die Aktivistin Abriss,
der nicht unbedingt notwendig ist, nicht mehr akzeptabel. Sie weist darauf
hin, dass für [2][jeden Neubau enorme Mengen an CO2] freigesetzt werden.
Die auch als „graue Energie“ bezeichneten Emissionen, die bei der
Produktion von Beton, Stahl und beim Transport anfallen, ließen sich zu
großen Teilen vermeiden, wenn man die Bestandsgebäude einfach umbauen
würde. Dazu käme, dass ein Großteils des Bauschutts auf der Deponie lande.
Insgesamt sei die Bauindustrie für über 40 Prozent des gesamten
Abfallaufkommens in Deutschland verantwortlich, sagt Schüschke.
Schon länger im Fokus der Öffentlichkeit steht [3][der geplante Abriss des
LSD-Erotikshops] an der Kurfürstenstraße 151, der auch als Laufhaus für den
anliegenden Straßenstrich dient. Hier will ein Investor ebenfalls abreißen,
um ein 14-stöckiges Hochhaus zu errichten. Der Bezirk Mitte will aber nur 6
Geschosse, weswegen die Planungen derzeit feststecken.
„Abriss ist eine besonders lukrative Sache für Investoren“, sagt Niklas
Schenker, Sprecher für Wohnen und Mieten in der Linksfraktion. Mit Abriss
und Neubau ließen sich nicht nur die Geschossflächen auf einem Grundstück
maximieren, sondern auch deutlich höhere Quadratmeterpreise verlangen.
„Nach Abriss folgt teurerer Neubau. Das hat auch eine Verdrängungswirkung“,
sagt Schenker. In einem Kiez wie der Kurfürstenstraße, in der knapp ein
Drittel der Bewohner:innen von Transferleistungen lebten, hätte das
besonders dramatische Auswirkungen.
Trotz der immensen ökologischen und sozialen Auswirkungen gibt es derzeit
kaum politische Steuerungsinstrumente, um Abriss zu regulieren. Zwar soll
das Zweckentfremdungsverbotsgesetz den Abriss von funktionalem Wohnraum nur
bei Schaffung bezahlbaren Ersatzes ermöglichen. In der Praxis wird die
Regelung derzeit von den Gerichten kassiert.
## Moratorium gefordert
Bei Gewerbeflächen gibt es noch weniger Hürden. Hier könnte nur der
Denkmalschutz den Abrissplänen der Investor:innen im Weg stehen.
Allerdings stehen die wenigsten in der Nachkriegszeit errichteten Bauten
unter Denkmalschutz, obwohl Gebäude wie das von der Form- und
Farbgestaltung eigenwillige LSD-Gebäude zumindest unter Fachleuten hohe
Anerkennung genießen.
Schenker fordert daher ein Nachschärfen des
Zweckentfremdungsverbotsgesetzes und eine Neuregelung der Bauordnung. Die
soll dann Abriss deutlich erschweren. „Berlin braucht einen Abrissstopp“,
sagt er. Besonders einfach umzusetzen sei ein Abrissmoratorium bei den
landeseigenen Unternehmen wie der BIM. Dies müsse auch Bestandteil der
kommenden Koalitionsverhandlungen sein, meint Schenker.
23 Feb 2023
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## AUTOREN
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