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       # taz.de -- Medienskandal in Österreich: Das Wunschkonzert verstummt
       
       > Schon wieder ein Korruptionsskandal: Der Direktor des
       > Niederösterreichischen ORF tritt ab, um einem Untersuchungsbericht
       > zuvorzukommen.
       
   IMG Bild: Das ORF-Landesstudio Niederösterreich in St. Pölten
       
       Rücktritte sind in Österreich selten. Umso bedeutender ist der angeblich
       freiwillige Abschied von Robert Ziegler. Der bisherige Landesdirektor und
       frühere Chefredakteur des ORF-Studios Niederösterreich zog am 3. Februar
       die Reißleine und erklärte seinen Rücktritt. Nicht weil er von
       Schuldbewusstsein geplagt werde, sondern weil die „massive mediale
       Berichterstattung und die dadurch entstandene Belastung“ es ihm unmöglich
       gemacht hätten, „mit voller Kraft die Funktion des Landesdirektors
       auszuüben.“ Ziegler hat die Veröffentlichung eines kritischen Berichts über
       seine Amtsführung nicht abgewartet und ist damit seinem wohl sicheren
       Rauswurf zuvorgekommen.
       
       Der am Montag an ORF-Generaldirektor Roland Weißmann übergebene Bericht ist
       zwar noch nicht öffentlich, doch seit Wochen kursieren in den Medien
       Berichte über das Amtsverständnis von Ziegler, dessen Wirken nach Meinung
       der konservativen Tageszeitung Die Presse einem „Wunschkonzert“ für die
       regierende ÖVP gleichgekommen sei. Von einem „Klima der Angst“ in der
       Redaktion war die Rede. „Machtmissbrauch stand an der Tagesordnung“ geht
       aus den Protokollen von Zeugenaussagen hervor. Beiträge sollen auf Geheiß
       Zieglers nachträglich zugunsten der ÖVP bearbeitet, Mitarbeiter, die nicht
       auf Linie lagen, diffamiert worden sein.
       
       ## Politische Einflussnahme oder doch Unabhängigkeit?
       
       Der ORF ist seit seiner Gründung ein Werkzeug der Politik. Der
       Stiftungsrat, das 35 Mitgliedern starke Aufsichtsgremium, ist politisch
       zusammengesetzt. Die regierende ÖVP verfügt dort über eine bequeme
       Mehrheit, mit der sie 2021 mit Roland Weißmann einen Mann ihres Vertrauens
       als Generaldirektor installieren konnte. Allerdings schützt ein starkes
       Redaktionsstatut die einzelnen Redakteurinnen vor dem Zugriff der Politik.
       Kritische Berichte und schonungslose Interviews binden Zuschauer an die
       Öffentlich-Rechtlichen. Das gilt weniger für die Landesstudios, wo die
       politische Couleur des Landeshauptmanns merkbar auf die Berichterstattung
       abfärbt.
       
       Niederösterreich trieb das auf die Spitze. Dort regiert die konservative
       ÖVP seit dem Zweiten Weltkrieg und hatte [1][bis vor Kurzem] 20 Jahren lang
       eine absolute Mehrheit im Landtag. Bevor Ziegler 2015 zum Chefredakteur
       ernannt wurde, war er Mitglied des Stiftungsrates und des
       „ÖVP-Freundeskreises“ In solchen „Freundeskreisen“ organisieren sich die
       offiziell unabhängigen Mitglieder des Aufsichtsgremiums. Auch nach seiner
       Berufung ins Landesstudio nahm Ziegler regelmäßig an Sitzungen des
       „Freundeskreises“ teil. Als Chefredakteur trug er seinen Untergebenen auf,
       „die Hanni“ -Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner – ins Bild zu setzen. Die
       Opposition kam kaum zu Wort.
       
       ## ÖVP-Verlautbarungen ohne jeden Nachrichtenwert
       
       Im Sommer 2020 schickte er ein Kamerateam, das bereits einen von der
       Redaktion abgenommenen Beitrag geliefert hatte, zurück zum Musikfestival
       Grafenegg, um eine Wortspende der Landeschefin einzuholen. Die
       unentbehrlichen Worte lauteten: „Denn Kultur ist eine wichtige Lebensader
       für die Menschen als Kraftquelle, aber vor allem auch als touristischer
       Magnet. Und deswegen sind wir dankbar, dass Grafenegg 2020 stattfindet
       (nämlich erstmals nach der Pandemie, Anm.).“ Redaktionsmitglieder seien
       laut Beschwerden, des Öfteren angewiesen worden, meist ÖVP-nahe Personen zu
       interviewen, auch wenn wie im Fall des Musikfestivals jeder News-Wert zu
       vermissen war.
       
       Generaldirektor Weißmann sah sich vergangenen Dezember gezwungen, eine
       Ermittlungskommission einzusetzen. Sechs Wochen lang prüfte sie mögliche
       Verstöße gegen das Redaktionsstatut, die Programmrichtlinien,
       Compliance-Regelungen und das ORF-Gesetz. Um die 70 Mitarbeiterinnen wurden
       angehört. Viele sollen die Vorwürfe gegen Ziegler bestätigt haben. Aus
       Rücksicht auf die Landtagswahlen in Niederösterreich wurde das Ergebnis
       nicht vor dem 29. Januar veröffentlicht. Es dürfte vernichtend sein, denn
       noch vor der Übergabe am Montag trat Ziegler zurück.
       
       Schon [2][im vergangenen November] war ein hochrangiger ORF-Mann wegen
       politischer Einflussnahme zurückgetreten. TV-News-Chefredakteur Matthias
       Schrom zog die Konsequenzen aus einem im Zuge von Korruptionsermittlungen
       bekannt gewordenen Chatverlauf mit dem damaligen FPÖ-Chef und Vizekanzler
       Heinz-Christian Strache aus dem Jahr 2019. Da hatte sich Schrom nach einer
       kritischen Sendung über die FPÖ zugänglich für Straches Wunsch nach
       Absetzung bestimmter Redakteure gezeigt.
       
       7 Feb 2023
       
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   DIR Ralf Leonhard
       
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