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       # taz.de -- Cancel Culture in den Niederlanden: Absurdes Theater
       
       > „Warten auf Godot“ darf nicht gespielt werden, weil nur Männer
       > mitspielen. Das sei nicht gendergerecht, sagt die Theatergesellschaft.
       
   IMG Bild: Der irische Dramatiker und Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett
       
       Mit seinem Stück „Warten auf Godot“ hat der irische Autor Samuel Beckett
       einst eine neue Form geschaffen – das Theater des Absurden, das die
       sinnentleerte Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zeigt – und damit
       einen der größten literarischen Erfolge der Nachkriegszeit geschaffen. Das
       1949 fertig geschriebene und 1952 veröffentlichte Stück über zwei
       Obdachlose, die sich das Warten auf die Antwort an eine von ihnen gestellte
       Anfrage mit verrückten Spielen vertreiben, wird bis heute gern in allen
       Theatern der Welt gespielt. Oder auch nicht mehr.
       
       Im [1][niederländischen Groningen] wurde eine für März geplante Aufführung
       [2][vor Kurzem verboten]. Die Theatergesellschaft der Groninger Universität
       hatte nur Männer zum Casting für die fünf Männerrollen eingeladen: die
       beiden Obdachlosen Estragon und Wladimir, der Großgrundbesitzer Pozzo mit
       seinem Diener Lucky sowie ein junger Bote Godots. Das widerspreche den
       aktuellen Genderkriterien, bestimmte Menschengruppen dürften so von
       vornherein ausgeschlossen werden – so in etwa lässt sich die Kritik des
       Kulturzentrums der Universität, wo das Stück laufen sollte, zusammenfassen.
       
       ## Becketts Testament sieht nur Männer vor
       
       Kritiker:innen haben recht: [3][Menschen, warum auch immer, von
       vornherein, wovon auch immer, auszuschließen, geht nicht.] Bei „Warten auf
       Godot“ gibt es allerdings einen Haken: Beckett hatte testamentarisch
       verfügt, die Rollen ausschließlich mit Männern zu besetzen – die
       Erbengemeinschaft ist da unerbittlich. Samuel Beckett übt mit seinem Stück
       manifeste Kritik an den Zuständen der Welt nach 1945: Gewalt auf den
       Straßen, Menschenverachtung und Ausbeutung überall auf dem Globus (daher
       auch Pozzos „Sklave“), Wut über das Schweigen zu den Zuständen daran. Das
       Warten ist, wenn man so will, Sinnbild für die kritische Zurückhaltung bei
       der Aufarbeitung der Kriegs- und Nachkriegswelt.
       
       Damit gehört das Stück auch heute auf die Bühne. Dass darin nur Männer
       auftreten dürfen, kann man selbstverständlich kritisieren. Ebenso Becketts
       maskulinistische Begründung: Frauen haben keine Prostata. Nicht zulässig
       jedoch ist das Herausreißen des Stücks aus seinem [4][historischen
       Kontext.] Genderfragen spielten nach dem Krieg eine untergeordnete bis gar
       keine Rolle. Diese [5][Realität vergessen manche Genderkritiker:innen
       allzu of]t – und schaden damit sowohl ihrer positiven Sache als auch ihrer
       Glaubwürdigkeit. Und das ist, nun ja, absurd.
       
       8 Feb 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
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