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       # taz.de -- Sportler unter „neutraler Flagge“: Wir waschen uns ein Team
       
       > Um Russland in den Weltsport zurückzuholen, wird von „neutralen Athleten“
       > geredet. In Wirklichkeit geht es darum, wer sich den Sport einverleibt.
       
   IMG Bild: Russland im Eishockey-Olympiafinale 2022 gegen Finnland
       
       Einerseits sagen Leute, die behaupten, sie sprächen für den Sport, alles,
       was sie tun, sei völlig unpolitisch und neutral. Andererseits schwurbeln
       diese Typen derzeit, russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler
       dürften doch an internationalen Wettbewerben teilnehmen, wenn sie nicht für
       ihre Staaten, sondern unter [1][„neutraler Flagge“] anträten.
       
       Neutrale Mannschaften! Das sind wohl solche, die viele neutrale Fans haben,
       die nicht nur mit ihren neutralen Anfeuerungsrufen auffallen, sondern auch
       so manch lustig-neutrale Schmähung des unfairen, weil parteiischen Gegners
       vortragen.
       
       Gerade der Begriff von der „neutralen Flagge“, den sich das Internationale
       Olympische Komitee (IOC) ausgedacht hat, ist lustig. Denn eine Flagge ist
       ja gerade dazu da, etwas zu symbolisieren. Wer eine Insel erobert, einen
       Berg erstmals besteigt oder auf dem Mond landet, markiert mit seiner Flagge
       seinen Besitz. Etwa so, wie Hunde das sogar ohne Lappen können.
       
       Das beantwortet eigentlich schon die Frage, wie diese „neutrale Flagge“
       aussieht: Die fünf olympischen Ringe sind drauf. Besitzer des Sports ist
       das IOC, so lautet die recht eindeutige Botschaft.
       
       Jüngst wurde der Antrag von sechs russischen Leichtathleten, als neutrale
       Sportler anzutreten, genehmigt. Wie man sich diese lustige Neutralität bei
       einer Mannschaftssportart vorstellen kann, war 2022 in Peking zu
       besichtigen. Nicht die Sbornaja spielte dort Eishockey, sondern ein
       ROC-Team, eine Auswahl des Russischen Olympischen Komitees, für das nicht
       die russische Hymne gespielt und nicht die russische Staatsflagge
       geschwenkt wurde. Trotzdem glauben bis heute viele Menschen, Russland habe
       1:2 im olympischen Finale gegen Finnland verloren. Merkwürdig.
       
       ## Fahnen sind bloß Wäsche
       
       Diese Regel mit den „neutralen Athleten“ müsste eigentlich auch für den
       Fußball gelten, wenn es 2024 in Paris zum olympischen Fußballturnier kommt.
       Nun ist aber für die Olympiaqualifikation der jeweilige Verband zuständig,
       in Europa die Uefa, und die hat russische Teams derzeit gesperrt. Dass sich
       Russland darum bemüht, [2][in Asien unterzukommen], öffnet aber keinen Weg
       zu Olympia, da der russische Verband bislang über einen Wechsel zum
       asiatischen Verband berät. Dort würde man Kritik, ein Land, das gerade
       einen Angriffskrieg führt, wolle doch bloß ein besseres Image, gewiss mit
       dem super Hinweis begegnen, Sport sei doch neutral.
       
       Der Satz „Das ist neutral“ bedeutet: Das gehört uns. „Diese Sportler oder
       Teams sind neutral“ heißt: Das reißen wir uns gerade unter den Nagel.
       
       IOC, Fifa, Uefa und wie sie alle heißen, tun nämlich so, als gehörte ihnen
       der Sport – und die Sportler. Sie reklamieren das mit dem gleichen Recht,
       mit dem Nationalstaaten behaupten, Sportler seien „unsere Athleten“,
       repräsentierten „unser Land“ und müssten bei „unserer Hymne“ mitsingen.
       Oder eben eine Fahne schwenken, die mal „neutral“ und mal „nationalfarben“
       ist.
       
       „We’re rooting for laundry“, hat der große US-Comedian Jerry Seinfeld den
       Sinn von Sport zusammengefasst, wir jubeln doch nur Wäsche zu. Ob Trikots
       oder Fahnen, er hat recht. Für Sportswashing bewährt sich aktuell
       Neutralseife.
       
       9 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
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