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       # taz.de -- Modell Staatsschulden für das Klima: Getauschter Naturschutz
       
       > Belize war fast bankrott, als eine NGO dem Land viel Geld geliehen hat.
       > Nun muss es Auflagen erfüllen. Kann dieses Modell die Lösung sein?
       
   IMG Bild: Dem Prachtfregattvogel ist der Staatsbankrott ziemlich schnuppe
       
       Berlin taz | Der Prachtfregattvogel und die Echte Karettschildkröte haben
       Belize 2021 vor dem Bankrott gerettet. Sie leben an und vor der Küste des
       kleinen mittelamerikanischen Landes, wo sich Mangrovenwälder und das 300
       Kilometer lange Belize-Barrier-Riff erstrecken, Heimat tausender Tier- und
       Pflanzenarten.
       
       Der Prachtfregattvogel baut seine Nester in den Mangrovenwäldern, die
       gleichzeitig die Küste vor Stürmen schützen und große Mengen Kohlenstoff
       binden. Um sich zu ernähren, drangsaliert er andere Vögel, bis diese ihre
       erbeuteten Fische wieder ausspeien. Auch die Echte Karettschildkröte
       ernährt sich von den Fischen, die zwischen den [1][Korallen und Schwämmen
       des Riffs leben].
       
       Und nun haben all diese Arten Belize vor der Pleite bewahrt. Nicht, weil
       viele Tourist*innen kamen, um sich das größte Korallenriff der
       Nordhalbkugel anzuschauen. Sondern weil das Riff, die Regen- und
       Mangrovenwälder Belizes so wichtig für Artenvielfalt und Klimaschutz sind,
       dass eine Tochterfirma der US-amerikanischen Naturschutzorganisation The
       Nature Conservancy (TNC) dem Land 364 Millionen Dollar geliehen hat, um
       seine Schulden zu bezahlen.
       
       Um an Geld zu kommen, verkaufen Länder Staatsanleihen an Investoren und
       Banken. Damit die Anleihen des wirtschaftlich schwachen Belizes überhaupt
       konkurrenzfähig zu beispielsweise deutschen Anleihen sind, muss das Land
       hohe Zinsen anbieten. 2021 konnte es diese nicht mehr decken, auch, weil
       wegen der Coronapandemie die Dollar-Einnahmen durch Tourist*innen
       gesunken sind.
       
       ## Kurz vor dem Staatsbankrott
       
       Allein seinen privaten Gläubigern schuldete Belize rund 550 Millionen
       Dollar, etwa 30 Prozent des jährlich dort erwirtschafteten Geldes, und
       stand kurz vorm Staatsbankrott. Dann half die Umweltorganisation TNC aus.
       Und weil die Staatsanleihen durch den drohenden Bankrott des Landes
       gleichzeitig an Wert verloren hatten, konnte Belize mit den von TNC
       geliehenen 364 Millionen Dollar seine eigenen Staatsanleihen mit dem
       ehemaligen Wert von 550 Millionen Dollar zurückkaufen. Die Pleite wurde
       abgewendet.
       
       Dafür stellte TNC Bedingungen: Belize muss bis 2026 30 Prozent seines
       Ozeans unter Schutz stellen, nachhaltige Regulationen für Landwirtschaft
       und Fischerei umsetzen und über 20 Jahre insgesamt 180 Millionen Dollar für
       einen neuen Naturschutzfonds ausgeben.
       
       Der Staat Belize und die NGO TNC tauschen also Staatsschulden gegen
       Naturschutz. Diese „Debt for Nature Swaps“ gibt es seit den 1980er Jahren,
       aber seit Kurzem erfahren sie wieder viel Aufmerksamkeit: Neben Belize
       haben [2][die Demokratische Republik Kongo und die] Seychellen solche
       Tausche abgeschlossen. Gabun und Ecuador befinden sich in Verhandlungen,
       auch St. Lucia, Kenia, Gambia und Namibia sollen interessiert sein. Der
       Schuldentausch soll helfen, auf einen Streich drei Krisen zu lösen: die
       Überschuldung im globalen Süden, [3][das Artensterben und die]
       Erderhitzung.
       
       ## Alle Krisen hängen miteinander zusammen
       
       Alle drei Krisen hängen zusammen und verstärken sich gegenseitig: So machen
       die Länder des globalen Südens ihre Staatsschulden üblicherweise in
       US-Dollar, weil ihre eigene Währung nicht attraktiv für Investoren ist. Sie
       müssen die Schulden und Zinsen also auch in US-Dollar abbezahlen und die
       bekommt man am schnellsten, indem man Rohstoffe auf dem Weltmarkt verkauft.
       
       Dafür fördern die Länder Öl, das als Benzin in kanadischen Autos verbrannt
       wird, oder bauen Soja auf gerodetem Regenwald an, um niedersächsische Kühe
       zu füttern – verschärfen also das Artensterben und die Erderhitzung. Von
       deren Folgen, etwa [4][Stürmen und Dürren], sind hoch verschuldete Länder
       wiederum oft besonders stark betroffen. Belize wird zum Beispiel häufig von
       Hurrikanen getroffen. Mittel, um sich an den Klimawandel anzupassen, haben
       die Länder wiederum kaum – Das Geld geht für den Schuldendienst drauf.
       
       Da scheint es auf den ersten Blick gut für alle Beteiligten, Schulden zu
       erlassen und dafür die Umsetzung von Natur- und Klimaschutzmaßnahmen
       festzulegen. Das kann die Errichtung eines Nationalparks sein,
       Investitionen in Erneuerbare Energien oder das Anlegen von Deichen. Selbst
       die Gläubiger haben davon etwas: In Klimaschutz zu investieren, sieht gut
       aus, und sie können sich sicherer sein, ihr Geld zurückzubekommen.
       
       Denn in der Regel versprechen bei so einem Tausch große Institutionen wie
       der Internationale Währungsfonds (IWF), die neuen Schulden zu bezahlen,
       falls das Schuldnerland es nicht kann. Das ist normalerweise nicht der
       Fall.
       
       ## Eine neokoloniale Haltung
       
       In der Praxis hat das System aber durchaus seine Tücken. Kritiker*innen
       werfen NGOs wie TNC eine neokoloniale Haltung vor. Die sieht auch Alison
       Schultz, Doktorandin an der Universität Mannheim und Expertin für Debt for
       Nature Swaps: „Ihr, sagt der Globale Norden, sollt für Probleme zahlen, die
       wir verursacht haben, und zwar wie wir es vorschreiben.“
       
       Dazu kommt eine eine historisch gewachsene Unwucht im System: Viele
       Rohstoffe, mit denen der Norden seinen Reichtum aufgebaut hat und
       gleichzeitig die Erde erhitzt, kommen aus den nun verschuldeten Ländern des
       Südens, die noch dazu am stärksten vom Klimawandel betroffen sind.
       Aktivist*innen für Klimagerechtigkeit [5][fordern deswegen seit Jahren
       Reparationszahlungen] des Globalen Nordens an den Globalen Süden.
       
       Eine Unwucht gibt es auch beim Geld. Was für kleine Staaten gigantische
       Summen sind, können für die NGOs und Banken des Globalen Nordens Peanuts
       sein. „Da kann so ein Naturschutzkonzern ein Land quasi kaufen“, sagt Jörg
       Haas, Referent für Internationale Politik der Grünen-nahen
       Heinrich-Böll-Stiftung.
       
       ## Der Fond ist so reich, dass er Einfluss auf die Politik hat
       
       Und genau das ist in Belize passiert: Der Umweltorganisation TNC gehören
       jetzt Schulden in Höhe von 20 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung des
       Landes. Von den mit der Schuldenstreichung freigewordenen 189 Millionen
       Dollar werden bis zu 180 Millionen über 20 Jahre in den neuen, von TNC als
       Gegenleistung geforderten Naturschutzfonds fließen.
       
       Der Fonds wird dadurch so reich, dass er großen Einfluss auf die Politik
       Belizes haben wird. Und mit dem Geld kommt die Macht: TNC hat einen Sitz im
       Verwaltungsrat des Fonds und gestaltet die neue Raumordnung des Ozeans vor
       Belize mit, also wo Fischer*innen ihre Netze auswerfen dürfen und wo
       Tourist*innen tauchen können.
       
       TNC ist sich dieser Kritik bewusst. Die Organisation betont immer wieder,
       dass bei den neuen Regeln, der Raumordnung und dem Fonds alle Beteiligten,
       also auch die lokale Bevölkerung und NGOs, miteinbezogen werden sollen.
       Aber wenn sich Belize nicht an die im Schuldentausch festgeschriebenen
       Bedingungen von TNC hält, ist das Land vertraglich gezwungen, mehr Geld in
       den Naturschutzfonds zu stecken. Geld, das dann vielleicht für
       Investitionen in Gesundheit und Bildung fehlt.
       
       ## Viel Kontrolle über ein sehr kleines Land
       
       Das klingt nach ziemlich viel Kontrolle einer US-amerikanischen
       Umweltorganisation über ein sehr kleines Land. Andere NGOs, wie die
       Koalition für faire Fischereivereinbarungen und Greenpeace, riefen deswegen
       kurz vor der [6][Artenvielfaltskonferenz in Montreal] im Dezember 2022 dazu
       auf, diese Form des Schuldentauschs nicht zu unterstützen. Sie warnen
       außerdem davor, dass diese Form von Tauschgeschäften zwischen NGOs und
       Staaten womöglich bestehende Klimaschutzzahlungen ersetzen könnten – das
       könnte in der Bilanz dem Klimaschutz mehr schaden als nutzen.
       
       Das befürchtet auch der IWF: Hier hält man Zuschüsse in den meisten Fällen
       für sinnvoller als Swaps und kritisiert zudem, dass die Verhandlungen für
       die Schuldentausche in den meisten Fällen sehr zäh laufen. Die
       Schuldnerländer müssen über ausreichend gut ausgebildete Beamt*innen
       verfügen, um die [7][Umsetzung der Natur- und Klimaschutzziele] umsetzen
       und schließlich auch überprüfen zu können.
       
       Hier sieht Eva Mayerhofer, EU-Biodiversitätsexpertin, das Problem: „Solche
       Swaps machen nur Sinn, wenn die zuständigen Behörden die Kapazitäten haben,
       die richtige Verteilung des Geldes sicherzustellen.“ 12 bis 18 Monate
       bräuchten die beteiligten Parteien dafür im Durchschnitt. Die Gläubiger
       haben an diesem Punkt konkreten Schuldenschnitten noch gar nicht
       zugestimmt.
       
       ## Den Forderungen ihrer Gläubiger unterwerfen
       
       Das große Problem bleibt: Wenn Staaten kurz vor der Zahlungsunfähigkeit
       stehen, haben sie oft keine andere Wahl, als sich den Forderungen ihrer
       Gläubiger zu unterwerfen. Schulden gegen Naturschutz zu tauschen, kann
       ihnen dann als beste unter schlechten Lösungen erscheinen.
       
       Jörg Haas von der Böll-Stiftung hat deshalb gemeinsam mit
       Politiker*innen und Wissenschaftler*innen aus Pakistan, den USA
       und Großbritannien einen eigenen Plan für den Tausch von Schulden gegen
       Naturschutz veröffentlicht. Damit will er die schlechten Seiten eines
       solchen Tauschs so weit wie möglich loswerden.
       
       Die Weltbank soll eine zentrale Institution aufsetzen, die den privaten
       Gläubigern garantiert, dass sie ihr Geld zurückbekommen. Das soll sie dazu
       bringen, einem Schuldenschnitt zuzustimmen. „Zucker für die Gläubiger“,
       nennt Haas das. Im Gegenzug legen die Schuldnerländer selbst fest, auf
       welche Weise sie ihr Land grün entwickeln wollen, und die
       Bürgschaftseinrichtung, der auch lokale Akteur*innen angehören,
       überprüft den Fortschritt.
       
       Das Climate Vulnerable Forum, ein Zusammenschluss besonders von der
       Erderhitzung gefährdeter Staaten, hat diesem Plan bereits zugestimmt. Ihm
       gehören Länder wie Ghana, Bangladesch, Costa Rica und Kiribati an. Wer
       fehlt, sind die Mächtigen, die das Geld zu verteilen hätten: G20 und
       Weltbank.
       
       20 Feb 2023
       
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