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       # taz.de -- SPD nach Berlinwahl: Verdammt zum Regieren
       
       > Franziska Giffey setzt auf Rot-Grün-Rot. Ein Bündnis, das wichtig ist für
       > ihr politisches Überleben. Ein Selbstläufer ist es nicht.
       
   IMG Bild: Die Frisur hält, die Koalition auch? Die noch-Regierende Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey
       
       Berlin taz | Kurz nach 22 Uhr kommt Franziska Giffey am Sonntagabend noch
       mal zur Wahlparty ihrer Partei in einen Berliner Konzertsaal. Die
       Steckfrisur sitzt, der rote Blazer auch, obwohl sie nach dem
       SPD-Schockergebnis schon stundenlang Interviews gegeben hat. Nun ist sie
       zurück bei der gebeutelten Basis.
       
       Auf einer Leinwand werden die aktuellen Hochrechnungen übertragen, der
       schwarze Balken uneinholbar weit oben, der rote und der grüne Balken
       festgetackert nebeneinander auf Platz zwei. „Wahnsinn, ist das knapp. Sind
       es jetzt wirklich 100 Stimmen, die darüber entscheiden, ob wir nochmal eine
       Chance bekommen?“, fragt ein verzweifelt blickender Genosse.
       
       Kurz nach Mitternacht steht fest: Es sind tatsächlich 105 Stimmen. Die SPD
       hat zwar mit 18,4 Prozent ein [1][historisch schlechtes Ergebnis] in der
       Hauptstadt erzielt, liegt aber knapp vor den Grünen. Ein Vorsprung im
       Promillebereich, der nicht einmal für einen zusätzlichen Sitz im
       Abgeordnetenhaus reicht. Aber für die Rückkehr ins Rote Rathaus?
       
       „Ich spüre Verantwortung für diese Stadt“, sagt Giffey am Montag im
       Willy-Brandt-Haus der SPD, blass, aber mit fester Stimme. Sie hat sich
       gerade Blumen und Rückhalt abgeholt. Aus der Zentrale heißt es: Nur dank
       Giffey sei man überhaupt noch auf Platz zwei gelandet. Aus Platz zwei
       leitet Giffey denn auch mindestens einen Mitregierungsauftrag ab. Man werde
       jetzt [2][mit der erstplatzierten CDU] sprechen, aber auch mit Grünen und
       Linken.
       
       Sie lobt die gerade abgestrafte rot-grün-rote Koalition, betont die
       funktionierende Zusammenarbeit. „Wir brauchen uns nicht zu verstecken.“ Die
       Berliner:innen sahen es am Sonntag zwar anders. Doch Giffey sieht auch
       in ihrem SPD-Landesverband „große Sympathien“ für eine Fortsetzung dieses
       Bündnisses.
       
       ## Ungelöste Probleme
       
       Macht Rot-Grün-Rot also weiter? Und wenn ja, wie soll eine Neuauflage
       funktionieren, die die chaotische Verwaltung ertüchtigt, den stockenden
       Verkehr fluide macht und den eklatanten Mangel an bezahlbaren Wohnungen
       behebt? Es sind diese und andere ungelöste Probleme, die 52.000
       Wähler:innen von der SPD zur CDU getrieben haben. Und just bei diesen
       Themen liegen Sozialdemokraten, selbstbewusste Grüne und auftrumpfende
       Linke diametral auseinander.
       
       Über eine Neuauflage der rot-grün-roten Koalition entscheidet Giffey
       womöglich nicht mehr allein. Am Nachmittag muss sie zur Sitzung des
       Berliner Landesvorstands. Zuvor melden sich einflussreiche Kreisvorsitzende
       zu Wort. Von einem nötigen Neuanfang spricht der Kreischef von
       Charlottenburg-Wilmersdorf. Andere fordern gar ein Ende der Ära Giffey. Von
       der 20.000 Mitglieder starken Berliner SPD wird Giffey eher geduldet als
       geschätzt.
       
       Ein Kompromiss könnte sein, dass sich Giffey, die sich mit dem
       SPD-Fraktionschef Raed Saleh den Landesvorsitz teilt, aus der Landespitze
       ausscheidet. Und sich ganz auf die Arbeit im Roten Rathaus konzentriert.
       Allerdings ahnt man auch in der SPD, dass eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot
       mit erstarkten Grünen neue Fallstricke bereithält. „Die Grünen werden
       sicher mehr fordern“, sagt ein Genosse und deutet an, dass die SPD den
       Grünen und Linken etwa beim Mietenvolksentscheid und einem
       Enteignungsgesetz [3][entgegenkommen müsse]. Genau das hatte Giffey aber
       vor der Wahl ausgeschlossen.
       
       Und sie gibt sich am Montag auch wenig entgegenkommend. Bei vier Themen
       sieht sie Veränderungsbedarf: Wohnen, [4][Verkehr], Verwaltung und innere
       Sicherheit. Dort könne auch der noch geltende Koalitionsvertrag nicht
       einfach so bleiben. Nach Entgegenkommen klingt das nicht. Ein Selbstläufer
       wird eine Neuauflage von Rot-Grün-Rot sicher nicht. Aber auch eine
       Koalition mit der CDU diskutiert die SPD. Einige Ostbezirke befürworten das
       Zweierbündnis mit dem Wahlsieger Kai Wegner von der CDU.
       
       ## Was macht Saleh?
       
       Viel wird deshalb davon abhängen, wie sich der [5][mächtige Mann der
       Berliner SPD, Raed Saleh], auf der Landesvorstandssitzung, die bei
       Redaktionsschluss noch andauert, positioniert. Stärkt er Giffey den Rücken
       oder lässt er sie fallen? In diesem Fall könnte er aber auch mitfallen.
       Wahlniederlagen haben manchmal ihre eigenen Dynamiken.
       
       Fragen nach ihrer Rolle in einer möglichen Großen Koalition weicht Giffey
       am Montagmittag aus. Ausgeschlossen ist es also nicht, dass der Wahlsonntag
       und der Tag danach den Anfang vom politischen Ende von Franziska Giffey
       bedeuten. Ein Kreisverband etwa verlautet, dass die
       Sondierungsverhandlungen nicht von Giffey und Saleh, sondern von
       SPD-Generalsekretär Kühnert geführt werden könnten.
       
       Aus Kühnerts Umfeld wird das prompt zurückgewiesen. Die Probleme Berlins
       und auch der hiesigen SPD reichten viel tiefer. Wer jetzt nach schnellen
       Personalwechseln rufe, habe nichts verstanden. Der Berliner Landesverband
       gilt als zerstritten. Die Neigung von Kühnert also, der als Generalsekretär
       einer in sich ruhenden Kanzlerpartei reüssiert, sich in dieses Wespennest
       zu begeben, sind gering.
       
       Giffey versucht es am Sonntagabend mit Optimismus: „Egal wie, es geht immer
       weiter“, ruft sie den Genoss:innen zu. Die applaudieren kräftig, auf der
       Bühne überreichen sie Giffey ein Gemälde: Die Skyline von Berlin. „Hier das
       Rote Rathaus“, deutet ein Genosse in die Mitte. Kleiner Wink: Eine
       politische Zukunft in und mit der Berliner SPD hat Giffey wohl nur als
       Regierende Bürgermeisterin. Dass das Rote Rathaus rot bleibt, mit diesem
       Versprechen ist sie angetreten.
       
       13 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
   DIR Uwe Rada
       
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