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       # taz.de -- Unversorgte Patient:innen: Hausärztin, verzweifelt gesucht
       
       > Der Ärztemangel ist längst auch in der Stadt zu spüren. In einem Bremer
       > Stadtteil verloren 4.000 Menschen ihre allgemeinmedizinische Praxis.
       
   IMG Bild: Hausärzt:innen werden auf allen Kanälen gesucht
       
       Bremen taz | „[1][Gesundheitsversorgung unter Druck]“ – so lautete der
       Titel einer Podiumsdiskussion am Dienstagabend in Bremen, zu der die
       Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) eingeladen hatte. Schnell
       wurde klar, warum die Veranstaltung so gut besucht war. Denn den Druck
       verspüren gerade rund 4.000 Patient:innen einer Bremer Hausarztpraxis
       im Stadtteil Woltmershausen, die Ende März nach 33 Jahren schließen wird –
       weil sich niemand gefunden hat, der sie übernehmen wollte.
       
       Ein Teil von ihnen war zu der Veranstaltung in die Stadtbibliothek
       gekommen – um sich zu beschweren. „Wo sollen jetzt die Alten hin?“, fragte
       eine Frau, schließlich seien einige bettlägrig, andere nicht so mobil, um
       quer durch die Stadt zu fahren.
       
       Zwar steht Bremen [2][im Vergleich mit ländlichen Regionen], in denen die
       Wege viel weiter sind und Busse selten oder gar nicht fahren, immer noch
       gut da. Aber dass [3][der Hausärztemangel auch in Großstädten] kein Problem
       der Zukunft ist: Das wurde an diesem Abend am Beispiel des Stadtteils am
       südlichen Bremer Stadtrand spürbar. Und auch, wie schwierig es ist, das
       Problem zu lösen – und dass es niemanden gibt, der oder die dafür allein
       verantwortlich gemacht werden kann.
       
       „Die KV“, hieß es an dem Abend immer mal wieder, die sei schuld. Gemeint
       ist die Kassenärztliche Vereinigung Bremens, die Selbstorganisation der
       Kassenärzt:innen, die es in jedem Bundesland gibt. Sie ist unter anderem
       für die Vergabe und Zulassung von Arztsitzen zuständig – und dabei gebunden
       an gesetzliche Regelungen, wie viele Ärzt:innen welcher Fachrichtung es
       pro Einwohner:in geben darf. 1.669 Patient:innen soll eine
       Hausärztin in Bremen maximal betreuen, danach müsste es 338
       Hausärzt:innen in der ganzen Stadt geben. [4][Rechnerisch sind es sogar
       350,75].
       
       Trotzdem dürften noch 23,25 Arztsitze für diese Fachrichtung vergeben
       werden, bevor der Bezirk als überversorgt gelten würde: ab einer
       Versorgungsquote von 110 Prozent. Zum Vergleich: In Schleswig-Holstein zum
       Beispiel liegt die hausärztliche Versorgungsquote in den meisten Regionen
       etwas über der Bremer, in vier Regionen etwas darunter.
       
       ## Problem wird sich verschärfen
       
       Das Problem wird sich aber in den nächsten Jahren verschärfen, weil sich
       vergleichsweise wenige Nachwuchsmediziner:innen für eine
       Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin entscheiden. 120 Facharztprüfungen
       habe es im Jahr 2021 in Bremen gegeben, rechnet Hans-Michael Mühlenfeld,
       Vorsitzender des Bremer Hausärzteverbands, vor.
       
       Davon hätten neun die Prüfung zur Allgemeinmedizin bestanden, neun zur
       Orthopädie und 16 zur Anästhesie. „Es fehlt an Nachwuchs“, sagt er – und
       macht dafür die KV verantwortlich sowie die Bremer Gesundheitssenatorin,
       die sich zu wenig dafür engagieren würden, Ärzt:innen für die
       Allgemeinmedizin zu gewinnen.
       
       Viele Möglichkeiten haben die allerdings nicht, da das Problem bundesweit
       besteht und Mühlenfeld selbst sagt, dass die jungen Ärzt:innen gute
       Gründe hätten, sich gegen den seiner Ansicht nach „schönsten Beruf der
       Welt“ zu entscheiden. Denn im Vergleich mit fast allen anderen
       Fachärzt:innen ist der Arbeitsaufwand hoch und der Ertrag gering. Zudem
       hätten sich die Ansprüche an die Berufstätigkeit verändert. „Die Zeiten, in
       denen Ärzte 60 Stunden in der Woche gearbeitet haben, sind vorbei.“
       
       Mühlenfeld hat seine Gemeinschaftspraxis ebenfalls in Woltmershausen.
       Daneben gibt es noch eine weitere in dem Stadtteil mit rund 14.000
       Einwohner:innen. 2.800 Einwohner:innen kommen in Woltmershausen auf
       eine:n der fünf Hausärzt:innen. Im wohlhabenden Schwachhausen auf der
       anderen Weserseite sind es 1.770. Mühlenfeld und seine Kolleg:innen
       haben 300 Patient:innen der beiden Ärzt:innen übernehmen können, die
       jetzt aufhören.
       
       ## Je jünger, desto eher findet man einen Arzt
       
       Etwa die Hälfte der Patient:innen von ihm und seiner Frau hätten
       jemanden gefunden, zum Teil in „erheblicher Entfernung“, schätzt Ulrich
       Pottiez, der seine Praxis aufgibt. „Je jünger, desto leichter“ sei es, sagt
       er noch, und dass es besonders schwierig sei, jemanden für
       Hausbesuchspatient:innen zu finden. „Das sind ja nicht die
       Lukrativsten.“ Anderthalb Jahre hat der 65-Jährige erfolglos nach
       Nachfolger:innen gesucht.
       
       Irgendwann habe er sogar „widerwillig“ mit einem der Unternehmen Kontakt
       aufgenommen, die überall in Deutschland medizinische Versorgungszentren
       aufbauen, kurz MVZ, in denen Ärzt:innen angestellt werden. [5][Das Ziel
       dieser privaten MVZ ist es, hohe Gewinne für Anleger:innen
       einzufahren]. Aber selbst die hatten kein Interesse, sagt Pottiez. „Weil
       die auch keine Hausärzte bekommen.“
       
       Auch sie könne keine Ärzt:innen aus dem Hut zaubern, sagte am
       Dienstagabend Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard. Gemeinsam mit
       der kassenärztlichen Vereinigung arbeite sie jetzt an einem Konzept für
       kommunale MVZ. Das Entscheidende an diesen sei, dass hier nicht nur
       Ärzt:innen arbeiten würden, sondern auch andere Berufsgruppen. Und sich
       so hoffentlich der eine oder andere Arztbesuch sparen ließe, weil nicht
       alle der Anliegen, die bei Hausärzt:innen vorgetragen werden, dort an
       der richtigen Adresse seien.
       
       4 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mediziner-ueber-die-Krankenhausmisere/!5902812
   DIR [2] /Medizinische-Versorgung-auf-dem-Land/!5855737
   DIR [3] /Hausaerztemangel-in-Ost-Berlin/!5867133
   DIR [4] https://www.kvhb.de/fileadmin/kvhb/pdf/Bedarfsplan/bedarfsplan-bremen.pdf
   DIR [5] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/arztpraxis-investoren-lauterbach-gesundheitssystem-patient-e230593/?reduced=true
       
       ## AUTOREN
       
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