URI: 
       # taz.de -- Nato-Beitritt Schweden und Finnland: Baerbock in Bunker-City
       
       > Beim Besuch in Finnlands Bunkerstadt wirbt Außenministerin Baerbock für
       > mehr Zivilschutz – und die Nato-Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands.
       
   IMG Bild: Außenministerin Baerbock beim Besuch eines Zivilschutzanlage in Helsinki am 14. Februar
       
       Am Montagabend ist Annalena Baerbock vor Massenvernichtungswaffen gut
       geschützt. Die Außenministerin ist zu Besuch in Helsinki und erkundet bei
       der Gelegenheit eine der vielen Bunkeranlagen der Stadt. Von einem Platz im
       Viertel Merihaka aus geht es über Treppen in die Tiefe; dann an
       Hockey-Spielerinnen vorbei durch einen geräumigen Stollen, der in
       Friedenszeiten als Sporthalle dient; und schließlich durch ein dickes
       Metalltor, das selbst radioaktiver Strahlung standhält.
       
       Eine Gruppe Freiwilliger des finnischen Zivilschutzprogramms führt vor, wie
       sie den Eingang im Ernstfall versiegeln würden. Als die Tür zu ist, fragt
       Baerbock einen von ihnen, wann er sich als Helfer gemeldet hat. „Vor einem
       halben Jahr“, antwortet der Mann. „Wegen des Kriegs in der Ukraine?“ –
       „Ja.“
       
       Die russische Invasion läutete nicht nur in Deutschland eine Zeitenwende
       ein, sondern auch in Finnland. Mit einem Unterschied: Das Bewusstsein,
       verwundbar zu sein, entstand hier nicht erst bei Kriegsbeginn. Es war schon
       vorher da und ist jetzt weiter gewachsen. Allein schon die 1.340 Kilometer
       lange Grenze mit Russland hat dafür gesorgt, dass die Finnen die Vorsorge
       nie aus den Augen verloren haben. Einen Boom bei den Ehrenamtlichen
       verzeichnet der Zivilschutz zwar erst seit letztem Jahr, die Infrastruktur
       stand aber schon vorher: Über 50.000 betriebsfähige Bunker gibt es im Land.
       
       Ganz anders als in Deutschland also. „In Berlin haben Sie sicher auch
       welche?“, fragt einer der Freiwilligen die Außenministerin. „Hm …“, macht
       Baerbock. Nach dem Ende des Kalten Kriegs wurden Sirenen und Bunker in
       Deutschland weitgehend stillgelegt, erst langsam rückt das Thema wieder ins
       Bewusstsein.
       
       ## Ein bisschen Innenpolitik
       
       Als im vergangenen Jahr das Sondervermögen für die Bundeswehr beschlossen
       wurden, regten die Grünen zwar an, daraus auch den Zivilschutz zu
       berücksichtigen. Durchsetzen konnten sie sich in der Ampel aber nicht. Das
       nächste Mal soll das Thema in der Nationalen Sicherheitsstrategie
       auftauchen, die die Bundesregierung gerade unter Baerbocks Federführung
       erarbeitet. Mit ihrer Bunkertour in Helsinki betreibt die Außenministerin
       also auch ein bisschen Innenpolitik.
       
       Der einzige Grund ihrer Reise, die sie am Dienstag weiter nach Stockholm
       führt, ist das aber nicht. Außenpolitisch stehen sowohl Finnland als auch
       Schweden seit Monaten wegen eines anderen Themas im Fokus: Bereits im Mai
       2022 haben beide Länder ihre Aufnahme in die Nato beantragt. 28
       Mitgliedstaaten haben den Beitritt ratifiziert. Ungarn und vor allem die
       Türkei stellen sich aber bis heute quer.
       
       Auch der Beitrittswunsch der beiden skandinavischen Länder ist Ausdruck
       einer Zeitenwende. Als EU-Mitglieder können sie für den Fall eines Angriffs
       zwar eh auf europäischen Beistand bauen. Die Kooperation mit der Nato
       bauten sie nach der Krim-Invasion 2014 auch schon aus. Für einen Beitritt –
       und damit einen offiziell verbrieften Schutz durch die USA – gab es aber
       vor 2022 in keinem der Länder eine Mehrheit.
       
       Das änderte sich mit Kriegsbeginn, in Finnland noch schneller als in
       Schweden. Dass es in Stockholm mehr Bedenken gab, liegt in erster Linie an
       den Bedingungen, die die türkische Regierung früh formulierte. Sie verlangt
       unter anderem die Auslieferung türkischer Oppositioneller, was Schweden
       stärker betrifft, weil dort eine größere türkische und kurdische Community
       lebt. Entsprechend forderten etwa die oppositionellen schwedischen Grünen,
       für die Nato-Mitgliedschaft nicht die schwedische Politik „den Forderungen
       autoritärer Staaten anzupassen“.
       
       ## Baerbocks Mahnung
       
       Teilweise ist das dennoch passiert. Schwedische Gerichte haben zwar mehrere
       Auslieferungsgesuche abgelehnt. Die Regierung hat aber ganz im Sinne der
       Türkei die politische Unterstützung für die syrischen Kurden und deren
       Milizen eingestellt. Ein schwedisches Waffenembargo gegen die Türkei ist
       aufgehoben. Auch die US-Regierung hat Ankara in Aussicht gestellt, lange
       verwehrte F16-Kampfjets zu liefern.
       
       Der Erdoğan-Regierung reicht das aber nicht. Annalena Baerbock stärkt nun
       auf ihrer Reise den Skandinaviern den Rücken. Im Ständehaus von Helsinki –
       einem Bau aus dem 19. Jahrhundert, als Finnland noch zum Russischen Reich
       gehörte – trifft sie am Montag auf Pekka Haavisto, den finnischen
       Außenminister.
       
       Im Juli, beim Nato-Gipfel in Vilnius, seien Schweden und Finnland
       hoffentlich schon Mitglied, sagt Haavisto, ebenfalls ein Grüner. Baerbock
       erinnert daran, dass der letzte Gipfel in Madrid den Beitritt doch
       eigentlich schon einstimmig beschlossen hatte. „Wir erwarten von allen
       Nato-Mitgliedern, dass sie diesen Beschluss ohne weitere Verzögerung
       umsetzen“, sagt sie.
       
       Eine klare Botschaft: Die türkische Regierung soll kein weiteres
       Entgegenkommen erwarten, die ungarische keine weiteren Probleme machen –
       stattdessen sollen beide an die Vorteile denken, die der Beitritt
       militärisch auch für die Nato hätte: Sowohl Schweden als auch Finnland
       verfügen über gut ausgestattete Armeen.
       
       ## Finnland ja, Schweden nein?
       
       Die Finnen zum Beispiel haben mehr als 200 Leopard-2-Panzer, die Schweden
       mehr als 100. Beide Länder beteiligen sich bisher jedoch nicht an der
       Lieferung solcher Kampfpanzer an die Ukraine. Auch die deutsche
       Außenministerin kann ihnen keine entsprechenden Zusagen entlocken. Man habe
       noch keine „finale Entscheidung getroffen“, sagt der Finne Haavisto. Seine
       Regierung zweifelt offen daran, auch nur wenige der Panzer an der langen
       Grenze zu Russland entbehren zu können.
       
       Aber egal, wie gut die Skandinavier militärisch auch ausgestattet sind:
       Was, wenn alle Beitritts-Appelle an die Türkei nicht fruchten? Wenn Ankara
       entgegen vieler Hoffnungen auch nach den türkischen Wahlen im Mai nicht
       einlenkt? Oder wenn die türkische Regierung umsetzt, was sie jüngst
       angedeutet hat: Dass sie den Beitritt der Finnen ratifiziert, den der
       Schweden aber nicht?
       
       Am Dienstag sagt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel, er
       schließe nicht aus, dass Finnland erst mal allein vorangeht. Kurz darauf
       trifft Annalena Baerbock in Stockholm den schwedischen Außenminister Tobias
       Billström, einen Konservativen. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz sagt
       sie im Anschluss, es sei richtig, dass Schweden „auf Ankara zugegangen
       ist“, um deren Sorgen zu begegnen. Und fügt dann hinzu, dass es jetzt
       wirklich Zeit für den schwedischen Beitritt sei – und zwar „Hand in Hand
       mit Finnland.“ Keine Rede von zwei Geschwindigkeiten.
       
       Dann ist der Schwede Billström dran. Es gebe keinen Grund mehr für die
       Türkei, die beiden Beitritte weiter zu verzögern, sagt er zunächst. Von
       Anfang an hätten Schweden und Finnland ihre Anträge gemeinsam gestellt.
       Streng genommen stimme es jedoch, dass es um zwei separate Verfahren geht.
       „Letztendlich liegt die Ratifizierung bei der Türkei“, sagt Billström. Wenn
       die sich anders entscheidet als erhofft, müsse er das respektieren.
       
       Baerbock dürfte klar sein: Für die Bundesregierung gilt das natürlich auch.
       
       14 Feb 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
   DIR Annalena Baerbock
   DIR Finnland
   DIR Schweden
   DIR GNS
   DIR Leopard 2
   DIR Finnland
   DIR Nato
   DIR Nato
   DIR Nato
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kein Prozess um Leopard 2: Streit um Panzer friedlich geregelt
       
       Weil Rheinmetall die Rechte am Panzer Leopard 2 beanspruchte, zog KMW vor
       Gericht. Nun haben sich die Rüstungsfirmen außergerichtlich geeinigt.
       
   DIR Abstimmung im türkischen Parlament: Finnland wird Nato-Mitglied
       
       Das türkische Parlament stimmt geschlossen für den Nato-Beitritt Finnlands.
       Schwedens Beitritt hingegen bleibt weiter blockiert.
       
   DIR NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands: Schweden liefert Kurden aus
       
       Die Türkei verbindet die Nato-Erweiterung mit Bedingungen. Schweden liefert
       Kurden aus, die angeblich mit der PKK zusammenarbeiten.
       
   DIR Nato-Beitritt von Finnland und Schweden: Türkei gibt sich zufrieden
       
       Rechtzeitig vor Beginn des Nato-Gipfels geben die Türkei, Finnland und
       Schweden bekannt, die Türkei blockiere den Nato-Beitritt nicht mehr.
       
   DIR Nato-Beitritt von Schweden und Finnland: Mehr Eis, bitte!
       
       Ausgerechnet Putin wirbt neue Mitglieder. Aber warum sind Schweden und
       Finnland noch nicht dabei? Und welche Folgen hätte ein Beitritt?