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       # taz.de -- Britische Krimi-Serie „The Gold“: Die verlorene Ehre von Frau Cäsar
       
       > Die BBC-Serie „The Gold“ zitiert ein Cäsar-Dilemma und fragt, ob die
       > Polizei nicht mehr über jeden Verdacht erhaben ist. Das hat Folgen.
       
   IMG Bild: Protest gegen die Polizei in London im Februar 2023
       
       Cäsars Frau muss über jeden Verdacht erhaben sein!“ Mit diesen Worten soll
       Julius Cäsar erklärt haben, warum er die Scheidung von seiner Frau Pompeia
       eingereicht hatte. Sie war in einen Gesellschaftsskandal geraten, der seine
       Karriere und Reputation gefährdete. Der Satz kann auch heute auf Ehepartner
       und Kinder von Politikern angewendet werden, die sich korrupt oder
       amoralisch verhalten. Präsident Bidens missratener Sohn Hunter wäre hierfür
       ein Paradebeispiel. Er ist sowohl in dubiose Geschäfte wie auch in ungute
       Sexgeschichten verwickelt.
       
       Eine etwas andere Auslegung des Satzes erzählt gerade die BBC-Serie „The
       Gold“. Sie zitiert das Cäsar-Dilemma und fragt: Wenn die Polizei nicht mehr
       über jeden Verdacht erhaben ist, welchen Schaden nimmt dann der Rest
       unserer Gesellschaft? Die Antwort ist alles andere als beruhigend.
       
       „The Gold“ beruht auf einem wahren Kriminalfall von 1983. In der Nähe des
       Londoner Flughafens Heathrow erbeuteten Kriminelle Goldbarren im heutigen
       Wert von 100 Millionen Euro. Nicht der Überfall steht im Mittelpunkt der
       Serie, sondern die Frage, wie dieses Gold anschließend gewaschen wurde und
       wer daran verdiente. Neben Kriminellen aus der Unterschicht waren an der
       Geldwäsche auch Mitglieder der Oberschicht beteiligt: Banker, Makler und
       ein Rechtsanwalt. Zwei Welten trafen aufeinander und verstanden sich gut.
       Bis die Situation eskalierte.
       
       „The Gold“ ist eine fulminant erzählte Geschichte, die nicht nur die
       Auswüchse der britischen Klassengesellschaft in den Blick nimmt, sondern
       auch zeigt, wie viele korrupte Polizisten es damals gab. Das ist insofern
       aktuell, da die englische Polizei gerade mal wieder ein Imageproblem hat.
       Betroffen ist die Metropolitan Police (Met), die Londoner Polizeibehörde.
       Bisher spielten bei Polizeiskandalen immer Schmiergelder die Hauptrolle.
       Aber dieses Mal geht es noch ein paar Stufen tiefer.
       
       Die Met wird beschuldigt, jahrelang eine große Gruppe von Polizisten
       gedeckt zu haben, die Sexualstraftaten begingen. Ins Rollen kam die
       Geschichte während des Corona-Lockdowns 2021: Der Met-Polizist Wayne
       Couzens gehörte einem Elite-Team an, das für den Schutz der ausländischen
       Botschaften in London zuständig ist und deswegen Waffen tragen darf (nur
       ein Teil der englischen Polizei ist bewaffnet).
       
       Man würde annehmen, dass solche Jobs an mental stabile Charaktere vergeben
       werden. Aber Couzens war schon 2015 als Exhibitionist aufgefallen. Seine
       Kollegen hatten die Hinweise gegen ihn jedoch nicht weiterverfolgt. Nachdem
       er dafür 2020 wieder nicht verhaftet worden war, ging er einen Schritt
       weiter.
       
       ## Der Met-Polizist, ein Serienvergewaltiger
       
       Im [1][März 2021 vergewaltigte und ermordete er die 33-jährige Sarah
       Everard auf ihrem Nachhauseweg.] Er hatte vorgegeben, sie wegen eines
       Verstoßes gegen die Coronaregeln zu kontrollieren. Kurz darauf wurde
       bekannt, dass ein Kollege von Couzens, der Met-Polizist David Carrick, ein
       Serienvergewaltiger war. Er hatte über 19 Jahre lang Frauen missbraucht und
       bekannte sich diesen Januar schuldig, 20 Vergewaltigungen begangen zu
       haben.
       
       Sein Fall machte auch publik, dass mittlerweile 1.000 Anzeigen wegen
       sexueller und häuslicher Gewalt gegen 800 Met-Beamte untersucht werden
       müssen. Mehrere Polizistinnen sagten dabei aus, dass Sexismus an der
       Tagesordnung gewesen sei. Es habe in der Met eine „Kantinenkultur“
       geherrscht, in der männliche Kollegen einander deckten.
       
       Es half dem Image der Londoner Polizei sicher auch nicht, dass zeitgleich
       „The Gold“ anlief. Darin werden wenige Polizisten den hohen moralischen
       Ansprüchen Cäsars gerecht.
       
       Der einzige Lichtblick der Serie ist ein Kriminalbeamter namens Brian Boyce
       (gespielt von Hugh Bonneville). Der unbestechliche Boyce existierte
       wirklich. Er wurde 1983 mit der Untersuchung des Goldraubs beauftragt, eine
       undankbare Aufgabe. Boyce musste sowohl gegen korrupte Kollegen kämpfen als
       auch gegen Kriminelle, die den Investment-Boom der 1980er Jahre nutzten.
       
       Ein Teil der Beute floss in die [2][Londoner Docklands], wo gerade
       Luxusapartments aus dem Boden schossen; ein anderer Teil verlor sich in
       Panama und Liechtenstein. Das erbeutete Gold tauchte nie mehr auf, aber am
       Ende bekam Boyce die Männer vor Gericht, die den Überfall ausgeführt
       hatten. Sie erhielten hohe Haftstrafen und nicht alle starben nach ihrer
       Entlassung eines natürlichen Todes. Verschiedene Leute hatten noch
       Rechnungen mit ihnen offen.
       
       Ob die Met es noch einmal schaffen kann, das Vertrauen der Londoner zu
       gewinnen, ist nach den Skandalen der letzten Jahrzehnte also die
       entscheidende Frage. Als sie 1829 gegründet wurde, war sie die erste
       Polizeibehörde der Welt. Vielleicht sollte sie sich an Cäsars Frau und die
       eigene historische Verantwortung erinnern.
       
       7 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Karina Urbach
       
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