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       # taz.de -- Klimamythen bei FDP und Bauernverband: Klimabremser aus der Landwirtschaft
       
       > Die Agrarlobby blockiert Klimaschutz: ein dubioser FDP-Politiker, der
       > Klimamythen streuende Bauernverband und klimaskeptische Landwirte.
       
   IMG Bild: Bauernverbandschef Rukwied ist dagegen, dass Landwirte weniger Rinder halten, die Methan ausstoßen
       
       Berlin taz | Kaum eine Branche kommt im deutschen Klimaschutzgesetz so
       leicht davon wie die Landwirtschaft. Dieser Sektor muss seinen
       Treibhausgasausstoß bis 2030 [1][nur um 31 Prozent] senken – das ist die
       bei Weitem geringste Reduktion unter allen Sektoren der deutschen
       Klimabilanz.
       
       Dabei verursacht die Agrarbranche laut Umweltbundesamt immerhin rund 13
       Prozent des Treibhausgasausstoßes in Deutschland (inklusive der Emissionen
       aus Agrarböden und landwirtschaftlichem Verkehr). Auch die Bauern müssten
       also viel tun, damit die Bundesrepublik wie im Gesetz vorgeschrieben bis
       2045 treibhausgasneutral wird. Wer ist verantwortlich, dass der Bund
       dennoch so wenig von der Landwirtschaft fordert?
       
       Das Bundesagrarministerium war von 2005 bis 2021 fest in der Hand von CDU
       und CSU. Zuletzt verhinderte vor allem die Christdemokratin Julia Klöckner
       an der Spitze, dass die Klimaziele für die Branche so verschärft werden,
       wie es WissenschaftlerInnen für nötig halten.
       
       ## Weniger Tiere, weniger Emissionen
       
       In einem Entwurf des Klimaschutzgesetzes von Mai 2021 hatte das damals von
       der SPD geführte Bundesumweltministerium vorgesehen, dass die
       Landwirtschaft ihre Emissionen bis 2030 auf 54 Millionen Tonnen
       CO2-Äquivalente senken muss. Doch selbst dieses schon nicht sehr ehrgeizige
       Ziel schwächte die Regierung auf [2][56 Millionen Tonnen] ab. Die damalige
       Agrarministerin Klöckner stellte das vor JournalistInnen als Erfolg dar.
       Sie sagte, da Landwirtschaft in biologischen Systemen betrieben werde, wäre
       ein strengeres Sektorziel unrealistisch gewesen.
       
       Hielten die Bauern weniger Tiere, würde der Ausstoß aber sehr wohl sinken.
       „Die Ziele sind extrem unambitioniert“, sagt Martin Hofstetter,
       Agraringenieur der Umweltorganisation Greenpeace.
       
       Auch nach dem Antritt der Ampelkoalition und des grünen Agrarministers Cem
       Özdemir muss die Branche bisher immer noch keine harten Einschnitte
       befürchten. Die meisten Treibhausgase entstehen wegen der Tierhaltung.
       Führende Agrarwissenschaftler haben deshalb in einem [3][Gutachten für die
       Stiftung Klimaneutralität] unter anderem empfohlen: „Konsum und Produktion
       tierischer Produkte verringern.“ Aber in den Koalitionsvertrag schaffte es
       nur die vage Formulierung, die neue Regierung wolle die „Entwicklung der
       Tierbestände“ in Einklang mit den Zielen des Klimaschutzes bringen.
       
       ## „Klimaschmock des Monats“ für FDP-Agrarpolitiker
       
       Das liegt zum Beispiel an Gero Hocker, der seit 2017 [4][agrarpolitischer
       Sprecher der FDP]-Bundestagsfraktion ist. Er hat die Abschnitte zu
       Landwirtschaft und Ernährung im Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen
       [5][mitverhandelt]. Wes Geistes Kind Hocker ist, zeigte sich am
       deutlichsten, als er im Oktober 2013 als niedersächsischer
       Landtagsabgeordneter bei [6][einer Rede] im Parlament in Hannover den
       Klimawandel in Frage stellte. Seine Zweifel versuchte er etwa mit dieser
       nachweislich falschen Behauptung zu belegen: „Vor 1000 Jahren war Grönland
       eisfrei – zu einer Zeit, als es keinen nennenswerten, von Menschen
       gemachten CO2-Ausstoß gegeben hat.“ Den Weltklimarat IPCC erklärte er für
       unglaubwürdig, weil dieser eine falsche Prognose zum Temperaturanstieg
       abgegeben habe.
       
       Der Klimaforscher Georg Hoffmann stellte daraufhin richtig, „Grönlands
       Eisschild stammt aus dem mittleren Miozän und hat so zirka 10 Millionen
       Jahre auf dem Buckel.“ Der IPCC habe die von Hocker kritisierte
       Temperaturprognose nie abgegeben. Hoffmann verlieh Hocker deshalb den
       Schmähpreis „[7][Klimaschmock des Monats]“ und als Preisgeschenk einen Link
       zum IPCC, damit er da künftig nachlesen kann.
       
       2020 flog auf, dass Hocker in Videos auf seiner Facebook-Seite
       Firmenlobbyisten interviewte, die dafür mehrere Tausend Euro zahlten.
       Darunter war auch ein Vertreter des russischen Düngemittelriesen Eurochem.
       Düngung ist neben der Tierhaltung ein wesentliche Quelle von Treibhausgasen
       in der Landwirtschaft. Nachdem die [8][Süddeutsche Zeitung] darüber
       berichtet hatte, räumte Hocker ein, dass die verantwortliche Agentur, die
       zwei Mitarbeitern seiner Abgeordnetenbüros gehörte, den Gesprächspartnern
       „[9][Produktionskosten von jeweils rund 1.500 Euro“] in Rechnung gestellt
       habe. Der Politiker selbst erhielt nach eigenen Angaben kein Geld und ließ
       die Agentur inzwischen auflösen.
       
       Derzeit verhindern Hocker und seine FDP ziemlich erfolgreich Versuche von
       Grünen und SPD, die Tierhaltung artgerechter zu machen. Vor allem sperrt
       sich Hocker dagegen, eine Tierwohlabgabe auf Fleisch einzuführen. Experten
       empfehlen so eine Abgabe, um den tierschutzgerechten Umbau von Ställen zu
       bezuschussen. Die Abgabe und eine artgerechtere Haltung würden Fleisch
       verteuern, was den Konsum und damit den Treibhausgasausstoß senken würde.
       Wegen des Widerstands aus der FDP konnte Agrarminister Özdemir nur für den
       Schweinesektor ein aus dem Bundeshaushalt finanziertes Stallumbauprogramm
       auflegen.
       
       Hocker redet wohl auch deshalb so, weil er seinen Wahlkreis in
       Niedersachsen hat – dem „Agrarland Nummer eins“, dem Zentrum der
       Massentierhaltung in Deutschland. Dort sitzen Agrarindustrielle, die immer
       noch auf Masse statt Klasse setzen. Sie lehnen alles ab, was die
       Fleischproduktion verteuern könnte, weil sie über den Preis konkurrieren
       wollen. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch auf dem Weltmarkt.
       
       Diese Interessen dominieren auch den Deutschen Bauernverband unter seinem
       Präsidenten Joachim Rukwied. Dieser fordert zwar ständig eine
       Tierwohlabgabe, aber er weiß genau, dass die FDP sie blockiert. So gelangt
       Rukwied zu dem Schluss, dass in der Tierhaltung im Großen und Ganzen alles
       beim Alten bleiben muss. Trotz aller Studien über den hohen
       Treibhausgasausstoß der Viehbranche lehnt Rukwied es kategorisch ab, die
       Tierbestände zu verkleinern. Es dürfe zu „[10][keinem weiteren Abbau]“
       kommen, sagte der Landwirt etwa Ende Januar in Berlin. Die Deutschen würden
       bereits deutlich weniger Fleisch essen als der EU-Durchschnitt, der Verzehr
       nehme schon lange ab. „Fleisch gehört zu einer ausgewogenen Ernährung. Der
       menschliche Körper braucht tierisches Eiweiß“, ergänzte der Verbandschef.
       
       ## Bauernverband kämpft fürs Fleisch
       
       Dieser Behauptung widersprach die wichtigste ernährungswissenschaftliche
       Fachgesellschaft hierzulande, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
       (DGE), umgehend. „Eine abwechslungsreiche und sorgfältig zusammengestellte
       ovo-lacto-vegetarische Ernährung ist eine ernährungsphysiologisch günstige
       und gesundheitsfördernde Ernährungsweise“, teilte die DGE mit. Sie rät zu
       maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche. Derzeit verzehren Männer im
       Schnitt fast das Doppelte.
       
       In einer Stellungnahme zur Änderung des Klimaschutzgesetzes lehnte es
       Rukwieds Verband im Mai 2021 sogar ab, überhaupt Ziele zur Reduktion von
       Treibhausgasen im Sektor Landwirtschaft festzulegen. Das sei „aufgrund der
       besonderen Rolle des landwirtschaftlichen Sektors nicht sachgerecht“. Noch
       schärfere Ziele würden die Versorgung mit Nahrungsmitteln gefährden.
       
       Aber niemand würde wohl ernsthaft behaupten, dass in Deutschland oder
       anderswo Hunger drohte, weil weniger Fleisch produziert würde. Im
       Wirtschaftsjahr 2021/22 wurden laut Bundesanstalt für Ernährung und
       Landwirtschaft 54 Prozent des hierzulande verwendeten Getreides nicht
       gegessen, sondern verfüttert. Damit könnte man viel mehr Menschen ernähren,
       wenn sie es direkt äßen, als wenn Tiere es fressen und in Fleisch umsetzen
       müssen. „Die Treibhausgas-Emissionen aus der Produktion von Lebensmitteln
       tierischen Ursprungs liegen je Einheit Eiweiß wesentlich höher als für
       Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs“, ergänzt das [11][Gutachten für die
       Stiftung Klimaneutralität].
       
       ## Desinformation zu Methan
       
       Immer wieder streut Rukwied Desinformation zum wichtigsten Treibhausgas aus
       der Landwirtschaft: Methan, das zum Beispiel entsteht, wenn Rinder
       verdauen. „Im Bereich der Emissionen ist für Methan dringend eine
       wissenschaftliche Neubewertung seiner Wirkungsweise als kurzlebiges
       Treibhausgas und in der Folge eine Anpassung der Emissionsziele für
       Landwirtschaft erforderlich“, teilte Rukwied im Mai 2021 mit. Dieses Methan
       aus der Tierhaltung werde innerhalb von etwa 12 Jahren zu CO2 abgebaut, das
       zuvor über das Pflanzenwachstum (Fotosynthese) aus der Atmosphäre entnommen
       worden sei. „Durch biogenes Methan entsteht demnach kein zusätzlicher
       Treibhausgaseffekt.“ Deshalb reiche es, den Methanausstoß der
       Landwirtschaft langfristig zu stabilisieren, um klimaneutral zu werden.
       „Pauschale Forderungen nach einer Abstockung der Tierbestände sind mit
       dieser Begründung aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbar.“
       
       Greenpeace-Agraringenieur Hofstetter sagte dazu: „In Nebelkerzen ist der
       Bauernverband super.“ Selbst wenn alle Methanemissionen so bleiben würden
       wie heute, wäre trotzdem viel mehr Methan in der Atmosphäre als vor 150
       Jahren, vor allem aus der Landwirtschaft. „Das heißt, wie haben einen
       Temperaturanstieg dadurch.“ Methan baue sich zwar ständig ab, es werde
       aber auch ständig neues emittiert.
       
       Für Unsinn hält Hofstetter auch die Behauptung, die Landwirtschaft würde
       das Klima entlasten, weil sie durch Photosynthese CO2 in Getreide
       speichere. „Wenn die Bauern ihr Getreide ganz tief vergraben würden, dann
       wäre das tatsächlich eine Senke. Aber Bauern verkaufen ihr Getreide, damit
       Menschen das essen oder als Ethanol verfahren, auf jeden Fall wird dieser
       Kohlenstoff innerhalb kurzer Zeit wieder freigesetzt“, so der
       Umweltschützer.
       
       ## Klimaskeptische Bauern
       
       Nun ist Rukwied nicht Teil einer Agrarelite, die sich gegen die Umwelt und
       die einfachen Bauern verschworen hätte. Vielmehr ist er gewählt von den
       Landesbauernverbänden, deren Delegierte auch gewählt werden und letztlich
       von ihren Mitgliedern legitimiert sind: den Bauern selbst.
       
       Unter denen gibt es offenbar außergewöhnlich viele, die den
       menschengemachten Klimawandel für Quatsch halten, eine grüne Ideologie
       sozusagen. Bei einer [12][Umfrage des Fachblatts agrarheute] von 2019
       stimmten nur 26 Prozent der 2.678 Teilnehmer der Aussage „Der Klimawandel
       ist Realität und wird überwiegend durch menschliche Aktivitäten verursacht“
       zu. In der Gesamtbevölkerung waren es aber 49 Prozent, wie eine kurz zuvor
       veröffentlichte Umfrage des [13][Meinungsforschungsinstituts YouGov]
       gezeigt hatte.
       
       3 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgasminderungsziele-deutschlands#undefined
   DIR [2] https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/klimaschutzgesetz-landwirtschaft-wird-doch-noch-etwas-geschont-12567179.html
   DIR [3] https://www.stiftung-klima.de/app/uploads/2021/06/2021-06-01-Klimaneutralitaet_Landwirtschaft.pdf
   DIR [4] https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien/H/hocker_gero-857472
   DIR [5] https://www.landwirt-radio.com/landwirt-news/details/news/koalitionsverhandlungen-konrad-leitet-fdp-verhandlungsgruppe-landwirtschaft-und-ernaehrung/
   DIR [6] https://www.landtag-niedersachsen.de/parlamentsdokumente/steno/17_wp/endber020.pdf
   DIR [7] https://scienceblogs.de/primaklima/2013/11/28/klimaschmock-des-monats-november-2013-dr-gero-hocker-mdl-niedersachsen/?all=1
   DIR [8] https://www.sueddeutsche.de/politik/lobbyismus-bundestag-fdp-hocker-1.4995070
   DIR [9] https://www.agrarheute.com/politik/fdp-agrarsprecher-hocker-weist-vorwurf-kaeuflichkeit-zurueck-571796
   DIR [10] /Cem-Oezdemir-versus-Bauernverband/!5906696
   DIR [11] https://www.stiftung-klima.de/de/themen/landwirtschaft/landwirtschaft-klimawende/
   DIR [12] https://www.agrarheute.com/management/betriebsfuehrung/umfrage-klimawandel-denken-landwirte-559214
   DIR [13] https://d25d2506sfb94s.cloudfront.net/cumulus_uploads/document/epjj0nusce/YouGov%20-%20International%20climate%20change%20survey.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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