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       # taz.de -- Amazon-Serie „Luden“: Außen nett, innen böse
       
       > Die Miniserie „Luden“ über die Hamburger Reeperbahn zeigt, zu was Männer
       > fähig sind. Sie blendet aber aus, dass sich Frauen und Queers wehren
       > können.
       
   IMG Bild: Die Nutella-Bande: Nettigkeit als Pose
       
       Verregnete Straßen, grell beleuchtet von Kneipen, Sexkinos, Stripclubs und
       Bordellen. Ein prinzenhaft anmutender junger Mann mit langem blondem Haar
       und einem rotzfrechen Hamburger Platt auf der Zunge, der vom großen Geld
       träumt. Oder wie er sagt: „Erste Klasse Jumbo Jet.“ Inspiriert von wahren
       Ereignissen und Menschen versucht die neue [1][Amazon]-Miniserie „Luden“
       (sechs Episoden, ab 3. März), die [2][Hamburger Reeperbahn auf St. Pauli]
       der 80er Jahre wieder aufleben zu lassen und rückt die mafiösen Strukturen
       konkurrierender Zuhältergruppen ins Zentrum.
       
       An der Seite des Kiezprinzen Klaus Barkowsky aka „der schöne Klaus“ (Aaron
       Hilmer) streben seine Freunde Bernd (Noah Tigwa) und Andi (Henning Flüsloh)
       als neue Zuhälterbande dem großen Geld entgegen. Ermöglicht wird ihnen das
       alles durch die erfahrene Sexarbeiterin Jutta (Jeanette Hain), die schon
       lange auf St. Pauli arbeitet und in Klaus einen zukünftigen Luden sieht,
       den sie steuern kann. Die Bezeichnung „Sexarbeiterin“, wird in der Serie
       nicht verwendet, stattdessen entgegnet Klaus anderen Männern mehrmals:
       „Nutte sacht man nicht, man sacht Hure“, was ihn von allen anderen
       männlichen Figuren unterscheidet.
       
       Auch durch sein schönes Äußeres und seinen spitzbübischen Charme vor allem
       gegenüber Frauen hebt er sich von den alteingesessenen Luden ab. Diese
       sympathische Fassade droht jedoch schnell zu bröckeln, wenn er zusammen mit
       seinen Freunden und Jutta als „Nutella-Bande“ mit der Zuhälterkarriere
       durchstartet und sich immer wieder von seiner manipulativsten Seite zeigt.
       
       ## Romantisierung des Nutellajünglings
       
       Am deutlichsten wird das im Umgang mit seiner Freundin Claudia (Ada Philine
       Stappenbeck), die ihn über alles liebt und ihn heiraten möchte. Er
       verweigert ihr in freundschaftlich keckem Ton den Zugang zur gemeinsamen
       Wohnung, als sie zu wenig Geld angeschafft hat, und später schickt er sie
       auf eine Bohrinsel in dem Wissen, dass sie dort vergewaltigt wird, und sagt
       ihr, dass alles gut werde. In bester neoliberaler Start-up-Manier baut die
       Nutella-Bande ihr Imperium auf. Es gibt zwar keinen Tischkicker im
       Gemeinschaftsraum, dafür aber immer wieder Geschenke und regelmäßige
       Partys. Es ist kurzum einfach ein bisschen netter als bei der Konkurrenz,
       und schon erscheinen die ausbeuterischen Bedingungen der Nutellas
       paradiesisch.
       
       Die Frage, warum ausschließlich aus der Perspektive des innerlich
       hässlichen Klaus erzählt wird, drängt sich immer wieder auf, weil trotz der
       thematisierten Abgründe in ihm die Faszination und Romantisierung für den
       Nutellajüngling bis zum Schluss im Vordergrund steht. Das ist schade
       angesichts der vielen Figuren der Serie, die wichtige Themen wie
       Stigmatisierung von HIV und Sexarbeit, Rassismus sowie trans* Identität
       verkörpern. Neben dem weißen cis Alphaklaus bleibt ihnen leider nur wenig
       Platz auf dem Kiez.
       
       Insbesondere Bernd, die einzige Hauptfigur of Colour, wirkt unterkomplex
       inszeniert, weil sie sich nicht entwickelt und den Plot so gut wie nie
       vorantreibt. Bernd identifiziert sich als Frau und braucht viel Geld für
       Hormone und eine geschlechtsangleichende Operation. Fertig ist das
       Handlungsmotiv und die pseudotiefe Auseinandersetzung mit der Figur, ohne
       dass daraus irgendetwas resultiert, weder für Bernd noch für die
       Geschichte. Der Tokenismusvorwurf liegt nahe angesichts des weißen
       cis-hetero Casts.
       
       Unabhängig davon gelingt es „Luden“, die Zuschauer*innen in das „größte
       Bordell Europas“ der 80er Jahre, wie es zu Beginn der ersten Folge heißt,
       hineinzuziehen. Anschaulich wird erzählt, welche strukturelle Gewalt durch
       Männlichkeit erzeugt werden kann. Doch es fehlen die Perspektiven der
       Frauen und Queers. Ihre Erfahrungen und ihre Arbeit bleiben unsichtbar. Sie
       bleiben die Ausgelieferten, die die Gewalt erzählbar machen und wie Heike
       (Lara Feith), die Frau von Klaus, in einem Irrtum leben: „Das sind Männer,
       die dürfen alles.“
       
       4 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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