URI: 
       # taz.de -- Russische Sportler bei Olympia: Schwieriger Kompromiss
       
       > Dürfen russische Sportler zu den Olympischen Spielen kommen? Das IOC
       > sucht Kompromisse. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt: Ein Ausschluss
       > ist wahrscheinlicher.
       
   IMG Bild: Olympische Spiele, Tokio: Hochspringerin Maria Lasitskene aus Russland gewinnt Gold
       
       Russische Athleten in Paris? An dieser Frage scheiden sich derzeit die
       Geister. Wolodimir Selenski ruft via Twitter dazu auf, beim ukrainischen
       „Marathon der Ehrlichkeit“ mitzumachen und eine Olympiateilnahme von Russen
       zu verhindern.
       
       Eingedenk der 231 im Krieg getöteten ukrainischen Athleten und der
       Tatsache, dass bei den Olympischen Sommerspielen von Tokio über 63 Prozent
       der russischen Medaillen von Mitgliedern des Armeesportklubs gewonnen
       wurden, wie der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ebenfalls auf
       Twitter schreibt, sei die Idee des Internationalen Olympischen Komitees,
       [1][Zugänge für „neutrale Athleten“ zu ermöglichen], verwerflich.
       
       IOC-Chef Thomas Bach, der als Fechter selbst zwischen die Blöcke im Kalten
       Krieg geriet, möchte Einladungen individualisieren. Aber was heißt das
       konkret? Bekommen nur jene Sportler ein Eintrittsticket, die sich vor den
       Spielen von Putin distanziert haben und/oder das Land verlassen? Wie
       neutral kann eine Sportlerin sein, die sich mit ihrer Familie im Gespinst
       staatlicher Propaganda und Repression befindet?
       
       Es wird wohl nur ein Entweder-oder geben. Im Zuge des Krieges auf dem
       Balkan gab es zwar in den 90er Jahren sogenannte neutrale Athleten, aber
       die Situation heute ist so aufgeheizt, der Konflikt noch erschreckend heiß,
       dass es eigentlich nur zu einem Ausschluss russischer Athleten kommen kann.
       Das zeigt auch ein Blick in die Historie. Die Kriegstreiber im Ersten und
       Zweiten Weltkrieg erhielten auch ihre sportliche Quittung.
       
       Für IOC-Chef Baron Pierre de Coubertin war es im Jahr 1918 eine Frage des
       „gesunden Menschenverstandes“, dass sich eine deutsche Mannschaft
       frühestens bei den Spielen 1924 blicken lassen dürfe, nicht aber bei
       Olympia 1920 in Antwerpen. Eingeladen nach Belgien wurden dann mit Ausnahme
       überseeischer Nationen nur solche Länder, die durch einen Repräsentanten im
       IOC vertreten waren.
       
       Aber hier hielt das IOC sinnvollerweise seine Linie nicht ganz durch, denn
       die deutschen Bündnispartner Ungarn und Türkei durften im Reigen der Ringe
       nicht mitmachen, obwohl Graf Géza Andrássy und Jules de Muzsa sowie Selim
       Sırrı Tarcan im Internationalen Olympischen Komitee saßen.
       
       ## Japaner und Deutsche wurden ausgeschlossen
       
       Als Demonstration der Stärke und der Politisierung des Sports
       veranstalteten die Siegermächte des Ersten Weltkriegs in Paris sogar die
       [2][„Interalliierten Spiele“ im Juli 1919], quasi als Vorbereitung auf das
       Großevent ein Jahr später. Der Oberbefehlshaber des US-amerikanischen
       Expeditionskorps in Frankreich, General John Joseph Pershing (!), ließ im
       Süden von Paris ein Stadion errichten und mehrtägige Wettkämpfe –
       Handgranatenwerfen, American Football oder Baseball fanden ihr Publikum –
       abhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Ringe-Bewegung 1948 in London
       wieder zusammen – und natürlich wurden Japaner und Deutsche ausgeschlossen.
       
       Die deutsche Beteiligung beschränkte sich auf Baumaßnahmen, die deutsche
       Kriegsgefangene in London zu erledigen hatten. Gleichwohl versuchte das IOC
       (und auch die japanische Regierung) die britische Politik von einer
       Teilnahme dieser verfemten Nationen zu überzeugen. Der damalige
       Olympiachef, Johannes Sigfrid Edström aus Schweden, schrieb in einem Brief
       an die Briten: „Ich bin überrascht, dass Sie diese Haltung drei Jahre nach
       Kriegsende einnehmen. Wir Männer des Sports sollten den Diplomaten den Weg
       weisen.“
       
       Es waren seinerzeit „ärmliche Spiele“, wie die Autorin Janie Hampton
       schreibt. [3][Emil Zátopek, der große tschechische Läufer], schwärmte
       dennoch: „Nach den dunklen Kriegstagen, nach Bomben, Tod und Hunger: Für
       mich war die Wiedergeburt Olympia wie ein lang ersehnter Sonnenaufgang.
       Plötzlich gab es keine Grenzen mehr, keine Hindernisse. Menschen, die Jahre
       ihres Lebens verloren haben, trafen sich nun ohne Zwang und lernten sich
       kennen. Wir fühlten uns wieder jung.“ Vielleicht kann Olympia im Jahre 2028
       diese Momente wieder liefern.
       
       17 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://olympics.com/ioc/news/statement-on-solidarity-with-ukraine-sanctions-against-russia-and-belarus-and-the-status-of-athletes
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Interalliierte_Spiele
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=3c4Z8cbcIiA
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Kolumne Olympyada-yada-yada
   DIR Russland
   DIR Krieg
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR IOC
   DIR Kolumne Press-Schlag
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Fechten
   DIR Fechten
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Russland bei Olympia 2024: Kollektiv und Agon
       
       Russische Athletinnen und Athleten starten bei den Olympischen Spielen in
       Paris. Ihre nationalen Farben dürfen sie nicht zeigen – und das ist gut so.
       
   DIR Vorstoß für Olympia 2036 in Berlin: Moralgold für Deutschland
       
       Innenministerin Nancy Faeser will die Olympischen Spiele in die Hauptstadt
       der Superdemokratie Deutschland holen. Das kann nicht gutgehen.
       
   DIR Russlands Sport auf dem Weg zu Olympia: Der Traum der Majorin
       
       Bald dürfen Russen und Russinnen wieder an internationalen Fechtturnieren
       teilnehmen. Sportsoldatin Sofja Welikaja freut sich schon.
       
   DIR Russlands Rückkehr in den Weltsport: Sieg im Gefecht
       
       Fechter aus Russland und Belarus dürfen zurück auf die Planche. Die
       deutsche Verbandspräsidentin findet das interessant – mehr nicht.
       
   DIR Ukrainischer Handballklub in Deutschland: Exil am Rhein
       
       Die zweite deutsche Handballliga gewährt dem HC Motor Saporischschja Asyl.
       Es ist vor allem für die Ukrainer eine extreme Herausforderung.
       
   DIR Russische Athleten bei Olympia: Schneller, höher, neutraler
       
       Im Weltsport ist der Umgang mit russischen und belarussischen Sportlern
       sehr unterschiedlich. Das spiegelt sich nun bei der Olympiafrage wider.
       
   DIR Sportgeschichte des Pistolen-Duells: Goldmedaille für Satisfaktion
       
       Das Duell mit der Pistole war einmal olympische Sportart: 1906 in Athen.
       Getötet wurde dabei niemand, die Duellanten schossen mit Wachskügelchen.
       
   DIR Olympia 2024 in Paris: Moskau trainiert für Comeback
       
       Russland verkündet, dass es für die Olympischen Spiele 2024 plant. Ohne sie
       seien die Spiele „minderwertig“. Die Ukraine droht mit Boykott.
       
   DIR Paralympics mit Russland und Belarus: Krieg bei den Spielen
       
       Russische und belarussische Sportler dürfen bei den Paralympischen Spielen
       als neutrale Athleten teilnehmen. Lässt sich Sport entpolitisieren?