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       # taz.de -- Landgrabbing in Brandenburg: Immobilienhai will Bauern ausstechen
       
       > Eine Beteiligungsfirma der Deutsche Wohnen will einen Agrarbetrieb in
       > Brandenburg kaufen. Es wäre das erste Investment dieser Art.
       
   IMG Bild: Blick in einen Melkstand der Röderland GmbH in Bönitz
       
       Berlin taz | Ein Beteiligungsunternehmen des Immobilienkonzerns Deutsche
       Wohnen will einen Brandenburger Agrarbetrieb kaufen und dabei einen
       Landwirt ausstechen, der in die Region ziehen möchte. Das sagten der taz
       der zwischen den Eigentümern der betroffenen Röderland-Firmengruppe
       vermittelnde Landrat des Kreises Elbe-Elster, Christian Jaschinski, und
       Röderland-Gesellschafter Hans Joachim Freund.
       
       Dem Vernehmen nach will der interessierte Landwirt, Tobias Lemm, 8
       Millionen Euro für den Betrieb in dem Dorf Bönitz zahlen. Die
       Deutsche-Wohnen-Beteiligungsfirma Quarterback Immobilien kündigte demnach
       aber an, 10 Millionen Euro zu bieten. Es wäre das erste bekannte Investment
       eines Wohnungskonzerns in Deutschlands Agrarbranche. Die Quarterback ließ
       Fragen der taz bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
       
       „Wenn ich den Betrieb übernehme, kommt jemand mit Stallgeruch und nicht
       jemand, der überhaupt nicht verbunden ist mit Kühen“, sagt Lemm, ein
       studierter Agrarmanager, der aus einer Bauernfamilie in der Prignitz in
       Brandenburg stammt. Lemm hat bisher große Landwirtschaftsbetriebe anderer
       Eigentümer geleitet und wohnt derzeit in Berlin. Er würde die
       Milchviehhaltung und den Ackerbau erhalten und nicht nur auf besonders
       lukrative Photovoltaikanlagen auf dem Land setzen.
       
       Vor allem würde Lemm mit seiner Familie in die Region ziehen wollen: „Wir
       hätten kein Interesse, Ärger mit den Menschen dort zu bekommen“, sagt Lemm.
       Das sei anders als bei einem orts- und branchenfremden Großunternehmen. Die
       [1][Quarterback Immobilien] sitzt in Leipzig und gehört zu 40 Prozent der
       Deutsche Wohnen aus Berlin, die wiederum mehrheitlich im Besitz des
       Wohnungskonzerns [2][Vonovia] ist. Dessen Aktien wurden nach den letzten
       verfügbaren Daten von Mitte Februar vor allem von Banken und [3][Fonds wie
       BlackRock] aus den USA gehalten.
       
       ## Reichtum noch ungleicher verteilt
       
       „Die Steuern werden sowieso woanders gezahlt, wenn ein auswärtiger Konzern
       den Betrieb kauft“, kritisiert Lemm. Auch Gewinne und die Agrarsubventionen
       der Europäischen Union würden so vom Dorf in die Stadt abfließen. Laut
       [4][Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung] sind das Mittel im Wert
       von jährlich rund 750.000 Euro. Kritisiert werden Übernahmen von großen
       Landwirtschaftsbetrieben durch Konzerne außerdem, weil solche Aufkäufe den
       Reichtum noch ungleicher verteilen. Linke Agraraktivisten sprechen von
       Landgrabbing, also der illegitimen Aneignung von Land, wenn reiche
       Vermögensbesitzer ortsansässige Bauern verdrängen.
       
       Andere Großunternehmen, die eigentlich nichts mit Landwirtschaft zu tun
       haben, kaufen seit einigen Jahren Agrarland oder Betriebe mit solchen
       Flächen: Eigentümer des Discounters [5][Aldi Nord] oder der
       Rückversicherungskonzern [6][Munich Re] haben bereits in Ostdeutschland
       Agrarbetriebe übernommen. In der Niedrigzinsphase ab der Finanzkrise 2008
       wurden sie vor allem durch die teils durch die EU-Agrarsubventionen
       garantierten Renditen landwirtschaftlicher Betriebe gelockt.
       
       Jetzt stehen hohe Gewinne durch Photovoltaik- oder Windkraftanlagen auf den
       landwirtschaftlichen Flächen sowie die rasante Wertsteigerung des knappen
       Bodens im Vordergrund; besonders seit der Gesetzgeber im Januar die
       Genehmigung von [7][Solaranlagen 200 Meter links und rechts von Autobahnen
       und bestimmten Bahnlinien] erleichtert hat. Zwei solcher Schienenwege
       verlaufen auch durch das Gelände der Röderland-Gruppe.
       
       Eine [8][Studie des bundeseigenen Thünen-Forschungsinstituts] für Ländliche
       Räume zeigt, dass immer mehr ostdeutsche Agrarunternehmen ortsfremden
       Investoren gehören. Das traf Anfang 2017 auf 34 Prozent der 853
       untersuchten Firmen in allen neuen Bundesländern zu. 2007 waren es nur 22
       Prozent gewesen. Betroffen sind vor allem sehr große Betriebe, von denen es
       wegen der Kollektivierung zu DDR-Zeiten viele in Ostdeutschland gibt.
       Unternehmen mit viel Land und Umsatz sind für Investoren interessanter als
       kleine Höfe.
       
       Auch die Röderland-Gruppe hat sehr viel Land: Ihre 35 MitarbeiterInnen
       bewirtschaften ungefähr 2.500 Hektar. Rund 600 Hektar davon stehen in ihrem
       Eigentum, für den Rest hat sie langfristige Pachtverträge.
       
       ## Investoren steigern indirekt Bodenpreise
       
       Die branchenfremden Investoren können meist mehr Geld für die Betriebe
       zahlen. Das trägt dazu bei, dass die Bodenpreise noch weiter steigen. Seit
       2007 haben sich die Verkaufswerte von landwirtschaftlich genutztem Land
       laut Statistischem Bundesamt im Schnitt mehr als verdoppelt. Gerade kleine
       Bauern können in diesem Bieterkampf nicht mithalten. Dabei bieten ihre Höfe
       durchschnittlich mehr Arbeitsplätze pro Hektar als größere Agrarbetriebe.
       
       Eigentlich können die Behörden nach dem Grundstücksverkehrsgesetz Käufe von
       Agrarland verhindern, wenn der Erwerber nicht Landwirt ist und ein Bauer
       die Fläche benötigt. Aber diese Regeln gelten nicht für „Share Deals“, bei
       denen der Käufer nicht das Land direkt, sondern die Firma kauft, der die
       Fläche gehört.
       
       Brandenburgs Agrarminister Axel Vogel will das für sein Bundesland ändern.
       Der Grünen-Politiker arbeitet gerade an einem Gesetz, das den Behörden ein
       Vetorecht auch bei Share Deals einräumen würde. Ob Vogel das bei den
       Koalitionspartnern CDU und SPD durchsetzen kann, ist allerdings ungewiss.
       Ähnliche Versuche in anderen Bundesländern sind gescheitert oder stocken.
       Das geschah ausgerechnet auf Betreiben der Landesbauernverbände. Denn zu
       ihren Mitgliedern zählen die Agrarunternehmen, die jetzt verkauft werden.
       Deren Gesellschafter profitieren von den steigenden Kaufpreisen.
       
       Auch Steffen Höppner, Geschäftsführer und Mit-Eigentümer der
       Röderland-Gruppe, könnte die Preisrallye nutzen. Er liefert Argumente für
       die Pläne von Investoren wie der Quarterback Immobilien. „Wenn zum Beispiel
       eine Immobiliengruppe kommt, die auch grüne Energie produzieren will – ich
       weiß nicht, was da verwerflich sein soll“, sagte er der taz. „Man kann es
       auf klassische Art mit Landwirtschaft weiter hier versuchen oder mit
       Innovationen, die zum Beispiel mit einem Investor kommen können“, so
       Höppner. Davon, dass die Quarterback dort Wohnungen bauen könnte, ist
       übrigens nicht die Rede.
       
       Der 56-Jährige deutete an, dass er um seinen eigenen Chefposten fürchtet,
       wenn Landwirt Lemm den Betrieb kaufen sollte. „Mit einer Investorentruppe
       bleibt alles, wie es ist“, glaubt Höppner jedenfalls. Er hofft, dass dann
       alle Mitarbeitenden ihre Jobs behalten können.
       
       ## Deutsche Wohnen dementiert
       
       Gesellschafter Freund merkte an, dass Lemm wahrscheinlich nicht so viel
       Geld in den Betrieb investieren könne wie die Quarterback, um
       beispielsweise Solarzellen zu installieren. Natürlich sei auch der höhere
       Erlös für die Gesellschafter ein Argument für Quarterback, sagt Freund.
       
       Am Montag will die Quarterback Immobilien dem Vernehmen nach bei den 29
       Gesellschaftern für sich werben. Ob sie den Zuschlag bekommt, ist offen.
       Laut Satzung der „Röderland landwirtschaftliche Unternehmensgesellschaft
       mit beschränkter Haftung“ – so der offizielle Name der Mutterfima – ist
       eine Mehrheit von 75 Prozent der Anteile für einen Verkauf erforderlich.
       
       Die Deutsche Wohnen teilte der taz mit, das Unternehmen sei „nicht im
       Bereich Agrar unterwegs“. Pressesprecher Matthias Wulff ergänzte auf
       Nachfrage aber, dass die Deutsche Wohnen mit 40 Prozent an der Quarterback
       Immobilien beteiligt sei – die ja nun doch versucht, in die Agrarbranche zu
       investieren.
       
       Zwar schreibt Wulff, die Quarterback handele „eigenständig“. Die
       Verbindungen zwischen der Deutsche Wohnen und der Quarterback sind aber
       außergewöhnlich eng: „Die wesentlichen Geschäftsbeziehungen von Deutsche
       Wohnen bestehen im 1. Halbjahr 2022 mit der Quarterback-Gruppe“, steht im
       aktuellen [9][Sechsmonats-Bericht] für die Aktionäre des
       Immobilienkonzerns. Er halte jeweils 44 bis 50 Prozent an 11
       Beteiligungsfirmen der Quarterback. Alle seine Neubauaktivitäten habe er in
       der Leipziger Firma gebündelt, heißt es im [10][Geschäftsbericht für das
       Jahr 2021]. In dem Report wird die Quarterback gleich 110-mal erwähnt; zum
       Beispiel kamen die Quarterback-Vorstandsmitglieder [11][Andy Herrmann] und
       [12][Henrik Thomsen] direkt von der Deutsche Wohnen.
       
       Der Konzern ist vor allem in Berlin umstritten. Insbesondere linke
       AktivistInnen werfen ihm vor, seine Rendite auf gegenüber Mietern unfaire
       Art und Weise zu erhöhen. Die Berliner Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen &
       Co. enteignen“ gewann im September 2021 einen Volksentscheid für die
       Enteignung und Vergesellschaftung des Konzerns und anderer großer, privater
       Wohnungsunternehmen.
       
       19 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.quarterback-immobilien.com/
   DIR [2] https://ir.deutsche-wohnen.com/websites/dewohnen/German/1400/.html
   DIR [3] https://investoren.vonovia.de/informationen-zur-aktie/aktionarsstruktur/
   DIR [4] https://agrarfischereizahlungen.de/Suche
   DIR [5] /Landgrabbing-in-Ostdeutschland/!5621001
   DIR [6] /Landgrabbing-in-Brandenburg/!5354610
   DIR [7] https://www.gesetze-im-internet.de/bbaug/BJNR003410960.html
   DIR [8] https://www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen-Report_52.pdf
   DIR [9] https://ir.deutsche-wohnen.com/download/companies/dewohnen/Quarterly%20Reports/DE000A0HN5C6-Q2-2022-EQ-D-00.pdf
   DIR [10] https://ir.deutsche-wohnen.com/download/companies/dewohnen/Annual%20Reports/220330_DW_GB_2021_SAVE.pdf
   DIR [11] https://www.linkedin.com/in/andy-herrmann-1581a3212/
   DIR [12] https://www.deutsche-wohnen.com/ueber-uns/presse-news/pressemitteilungen/deutsche-wohnen-vorstandsmitglied-henrik-thomsen-wechselt-zur-quarterback-immobilien-ag
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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