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       # taz.de -- Nach Erdbeben in der Türkei und Syrien: Hisbollah schickt Hilfsgüter
       
       > Syriens Opposition sieht die Hilfslieferung kritisch. In der Türkei
       > retten Hilfskräfte drei Menschen nach 296 Stunden. Fußballer Christian
       > Atsu wurde in Hatay tot geborgen.
       
   IMG Bild: Umstrittene Hilfe für Erdbebenopfer: Hisbollah schickt LKW nach Syrien
       
       Latakia/Beirut/Hatay/Istanbul dpa/ap/afp | Die mit Syriens Präsident
       Baschar al-Assad verbündete Hisbollah schickt Hilfe ins Erdbebengebiet. Die
       libanesische Schiitenmiliz wollte eigenen Angaben zufolge am Samstag 29
       Lastwagen mit Decken, Heizgeräten und Milchpulver für Babys nach Aleppo
       bringen. Die Kämpfer der vom Iran unterstützten Organisation aus dem
       Libanon haben im Syrischen Krieg maßgeblich dabei geholfen, die dortige
       Regierung an der Macht zu halten.
       
       Für Hisbollah-Anhänger Hussein Ahmed aus Beirut ist die Unterstützung der
       Erdbebenopfer in Syrien selbstverständlich, wie er sagt. Viele Libanesen,
       so der 18-Jährige, „die in den vergangenen Jahren an der Seite der
       syrischen Regierungstruppen gekämpft haben, sind nach Syrien geeilt, um bei
       Rettungsaktionen zu helfen.“ „Sie sind unsere Brüder im Krieg und bei
       Naturkatastrophen“, sagt die Syrerin Um Aihum, die ihr Zuhause in Latakia
       durch die schweren Beben verloren hat. Latakia steht unter Kontrolle der
       Regierung. Eigenen Angaben zufolge hat die Hisbollah etwa zwei Dutzend
       Lastwagen mit Hilfsgütern in die stark von den Beben getroffene Stadt am
       Mittelmeer geschickt.
       
       ## Syriens Opposition sieht Hisbollah-Hilfe kritisch
       
       Die syrische Opposition sieht die Hilfe der schiitischen Miliz dagegen
       kritisch. Die Hisbollah und Syriens Präsident Baschar al-Assad versuchten
       aus der Notlage der Menschen Profit zu schlagen, sagt der Sprecher des in
       Istanbul ansässigen Oppositionsbündnisses Syrische Nationale Koalition,
       Ahmed Ramadan. Er geht davon aus, dass die Hisbollah den Augenblick nutzen
       werde, um noch mehr Kämpfer, Waffen und Drogen ins krisengeplagte
       Nachbarland zu schmuggeln. Die Schiitenmiliz kontrolliere bereits jetzt die
       Grenzen sowie den legalen und illegalen Warenfluss zwischen beiden Staaten.
       
       Anführer der Hisbollah sind laut einer Studie des in Washington ansässigen
       New Lines Institutes etwa schon lange ins lukrative Drogengeschäft in
       Syrien verwickelt. Die Milliarden-Erträge daraus sichern Experten zufolge
       das Überleben Assads in erheblichem Maße. Das Bürgerkriegsland stellt etwa
       im großen Stil Amphetamine her und schmuggelt die Drogen auch über den
       Libanon ins Ausland. Die Hisbollah soll daran kräftig mitverdienen.
       
       Auch der Iran und Russland, die Assad unterstützen, liefern derzeit Hilfen
       für die Erdbebenopfer. Dem syrischen Präsidenten werden Verbrechen gegen
       die Menschlichkeit angelastet, darunter der Einsatz von Chemiewaffen in
       Syrien.
       
       ## Bergung nach 296 Stunden
       
       Fast zwei Wochen nach dem Beben gibt es aus der Türkei noch vereinzelt
       Meldungen von Überlebenden in den Trümmern. Am Samstag bargen
       Rettungskräfte nach 296 Stunden drei Menschen aus eingestürzten Gebäuden in
       Antakya, darunter ein 12-jähriges Kind, das nach Angaben der staatlichen
       türkischen Nachrichtenagentur Anadolu jedoch nach seiner Rettung starb. Die
       beiden anderen Überlebenden, ein Ehepaar, wurden demnach ins Krankenhaus
       gebracht. Am Sonntagabend sollen die Rettungsarbeiten im Erdbebengebiet
       nach Angaben der türkischen Katastrophenbehörde aber „größtenteils
       abgeschlossen“ sein.
       
       Am Freitagabend war nach Angaben von Gesundheitsminister Fahrettin Koca ein
       Mann nach 278 Stunden in der Provinz Hatay lebend aus den Trümmern geborgen
       worden. Am Donnerstagabend und Freitagmorgen waren Koca zufolge drei
       weitere Menschen im Zentrum von Antakya gerettet worden: ein 14 Jahre alter
       Junge und zwei Männer im Alter von 33 und 26 Jahren.
       
       ## Ghanaische Fußballer Atsu tot geborgen
       
       Unter den vielen Menschen, die in der Stadt Antakya am Samstag tot geborgen
       wurden, ist der frühere ghanaische Fußballnationalspieler Christian Atsu.
       Atsus Manager bestätigte am Samstag den Tod des Sportlers in den Trümmern
       eines Hochhauses, das erst 2013 nach dem Erlass strengerer Bauvorschriften
       errichtet worden war. Der für das Hochhaus zuständige Bauunternehmer war
       vier Tage nach dem Beben am Flughafen in Istanbul festgenommen worden, als
       er versucht hatte, nach Montenegro zu fliehen.
       
       ## Erdoğans fahrlässige Bau-Politik
       
       Während die Chance auf ein Überleben in den Trümmern bei nächtlichen
       Temperaturen von bis zu minus 15 Grad im bergigen Teil des
       Katastrophengebiets weiter sinkt, erinnerten Internetnutzer in der Türkei
       mit Dutzenden alten Tweets und Videos an Erdoğan frühere fahrlässige
       Politik beim Häuserbau. In einem Videoclip von 2018 gratuliert Erdoğan
       Beamten zur Einführung eines Amnestiegesetzes, das sechs Millionen Gebäude
       mit nachweislichen Sicherheitslücken für bewohnbar erklärt.
       
       In einem tausendfach geteilten Tweet von 2013 hatte der heutige
       Staatspräsident mitgeteilt: „Gebäude töten Menschen, nicht Erdbeben. Wir
       müssen lernen, mit Erdbeben zu leben (…) und entsprechende Maßnahmen
       treffen.“ Laut Experten kann die Nichtbeachtung von Baustandards die extrem
       hohe Opferzahl in der Erdbebenregion erklären. In der Türkei alleine stieg
       die Zahl der Opfer am Samstag nach offiziellen Angaben auf über 40.000.
       
       ## Olaf Scholz dankbar für Solidarität
       
       In Deutschland zeigte sich Bundeskanzler Olaf Scholz unterdessen „sehr,
       sehr dankbar“ für die Solidarität, Spenden und private Hilfsinitiativen der
       Bürger und wünschte den Hilfsorganisationen vor Ort Kraft für ihre
       „lebenswichtige Arbeit“. Noch am Tag des Bebens seien Rettungstrupps und
       medizinische Teams aus Deutschland in die Erdbebenregion gereist und hätten
       Heizgeräte, Generatoren und Medikamente geliefert. „Wir können die
       Katastrophe nicht ungeschehen machen“, sagte Scholz am Samstag in seinem
       wöchentlichen Internetformat. „Aber wir können helfen in der Not. Und
       Deutschland hilft.“
       
       Am Donnerstag hatte die UNO für die Erdbebenopfer in der Türkei zu
       internationaler Hilfe in Höhe von einer Milliarde Dollar (rund 936
       Millionen Euro) aufgerufen. Damit könne für 5,2 Millionen Menschen drei
       Monate lang humanitäre Hilfe geleistet werden, erklärte UN-Generalsekretär
       António Guterres.
       
       ## Zahl der Toten steigt auf über 46.000
       
       Nach dem schweren Erdbeben am frühen Morgen des 6. Februar waren in der
       Türkei nach offiziellen Angaben mindestens 84.000 Gebäude eingestürzt oder
       schwer beschädigt und über 40.000 Menschen gestorben. Auf syrischer Seite
       der Grenze ist das gesamte Ausmaß der Zerstörung nicht klar. Allerdings
       wurden bislang 5.900 tote Menschen in Zusammenhang mit den verheerenden
       Beben gezählt worden. Insgesamt sind damit in beiden Ländern mehr als
       46.000 Menschen ums Leben gekommen.
       
       18 Feb 2023
       
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