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       # taz.de -- Was ist Liebe?
       
       > Alleinerziehende, Berlin-Typen und Dating, das passt nicht zusammen,
       > findet die Autorin Jacinta Nandi. Warum wir trotzdem unbedingt lieben
       > sollten, erzählt sie hier und auf dem taz lab
       
   IMG Bild: Weggentrifiziert, alleinerziehend und total liebenswert
       
       Jacinta Nandi 
       
       Leah ist eine englischsprachige alleinerziehende Freundin von mir, die,
       genau wie ich, weggentrifiziert worden ist. Weggentrifiziert zu werden ist
       nervig und deprimierend. „Kannst du dich an meinen neuen Typen erinnern?“,
       fragt sie. Wir sitzen in ihrem kleinen Hinterhof, ein kleiner süßer
       ostberlinerischer Garten mit einem kleinen Spielplatz.
       
       Leah hat ihren neuen Typen im Fitnessstudio kennengelernt. Sie treffen sich
       alle zwei Wochen, an ihrem kinderfreien Wochenende. Für die Menschen, die
       keine Kinder haben und die, die sie sich nicht mit ihrem Ex teilen: Leahs
       Kinder verbringen jedes zweite Wochenende beim Vater, und an diesem
       Wochenende verbringt Leah die Nacht mit ihrem neuen Typen aus dem
       Fitness-Studio. Ich nenne ihn den Fitness-Hasen. Ich habe den Fitness-Hasen
       einmal gesehen, er ist ganz hübsch.
       
       „Ja?“, sage ich. „Er hat Schluss gemacht.“„Oh nein“, sage ich.
       „Deprimierend“, sagt sie. „Warum?“, frage ich. „Mein Ex will die Kinder
       öfter haben. Jedes Wochenende und jeden Mittwoch: Also habe ich
       vorgeschlagen, dass wir uns jede Woche treffen könnten, nicht nur jedes
       zweite Wochenende.“ Ich seufze. “Er sagte, ich wolle zu viel emotionale
       Bindung.“ “Ja“, sage ich. „Er sagte, ich habe zu viel von ihm erwartet.“
       „Ja“, sage ich. „Er sagte, meine Erwartungen waren zu hoch!“ „Ja“, sage
       ich. “Er sagte, ich wäre eine anstrengende Person.“ „Ja“, sage ich und mein
       Herz explodiert vor Mitleid.
       
       “Jacinta!“, sagt Leah. “Denkst du, mit mir stimmt etwas nicht? Vielleicht
       bin ich einfach nicht liebenswert?“ „Du bist total liebenswert!“, rufe ich.
       Leah lacht. Ich lache auch. Was bedeutet es, liebenswert zu sein, wenn du
       nicht mal den Typen, der dich fickt, überreden kannst, dich einmal pro
       Woche statt alle zwei Wochen zu ficken? Was bedeutet das Wort Liebe
       überhaupt? Manchmal denke ich, die Männer in Berlin, diese Berlin-Typen,
       die Umzugshelfer und die Fitness-Hasen, sollten einfach Sexroboter ficken
       und uns Alleinerziehende in Ruhe lassen.
       
       „Ich weiß nicht, wie ich weniger erwarten könnte“, sagt Leah. „Es ist sein
       Problem, nicht deines,“ lüge ich.
       
       Hier ist eine Liste von Gründen, weshalb Männer gerne mit Alleinerziehenden
       Schluss machen: Sie sehen uns weinen, weil die Waschmaschine kaputt ist.
       Sie sehen uns weinen, weil die Stromrechnung zu hoch ist. Sie sehen uns
       weinen, weil uns unser Ex beim Jugendamt verpetzt hat, weil wir den Kindern
       zu viel Fruchtzwerge geben. Wir haben sie gefragt, ob sie die Kinder kennen
       lernen wollen. Wir haben gesagt, dass wir vielleicht verliebt sind. Wir
       haben sie gefragt, ob sie mal einen Nachmittag mit in den Zoo kommen
       wollen, mit uns, und den Kindern.
       
       Berlin-Typen, Alleinerziehende und Dating, das passt nicht zusammen.
       Alleinerziehende in Berlin sollten sich Sexspielzeuge kaufen. Aber: wir
       sollten trotzdem lieben. Wir müssen lieben. Nur nicht die Männer. Wenn ich
       meine alleinerziehenden Freundinnen anschaue, denke ich: Sie sind total
       liebenswert. Total fähig, geliebt zu werden, Liebe zu finden. Wir können
       sogar die große Liebe finden. Wir lieben Bridgerton, wir lieben Amber
       Heard-Filme, wir lieben Bratwürste in Speck gewickelt. Wir lieben sogar
       unsere Nichten und Neffen und die Kinder unserer Freundinnen und, wenn wir
       ehrlich sind, lieben wir es auch, wenn die Kinder beim Vater sind und wir
       Drogen nehmen können und für einen Nachmittag so tun, als ob wir nicht
       wissen, was Schmerzen überhaupt sind.
       
       Wir können die Liebe suchen, die Liebe finden und wir können auch
       herausfinden, was Liebe bedeutet, indem wir unsere Kinder lieben, und
       beobachten. Guckt mal eure Kinder an, Ladies! Gucken wir ihre Nasen und
       ihre Wangen und ihre Ohren an. Gucken wir ihre Münder an und spüren dieses
       Gefühl dabei. Dieses Gefühl, wie ein Stein im Bauch, aber ungefährlich,
       fast langweilig. Ein Gefühl, das fast befriedigend ist, aber immer, immer,
       ein kleines bisschen traurig: Das ist die wahre Liebe. Wir können lieben.
       
       „Der Fitness-Hase ist ganz hübsch“, sage ich. “Er ist okay“, sagt sie.
       “Aber er ist nicht heiß genug für total emotional ungebundenen Sex. Wenn er
       das will, muss er an seinem Körper arbeiten.“ “Du hast recht“, sagt sie.
       „Wenn er von mir erwartet, dass ich total ungebunden bin, dann muss sein
       Körper härter sein.“ “Er ist ganz hübsch“, sage ich.
       
       Mein Kind kommt zu mir und gibt mir einen kleinen Stein. “Ich schenke dir
       diesen Stein“, sagt er, ernsthaft und betont, respektvoll und auch
       liebevoll, „weil ich dich liebe.“„Danke“, sage ich. Dann flüstert er: „Ich
       liebe dich nur, weil du meine Mama bist. Wenn du nicht meine Mama wärst,
       würde ich dich nur mögen.“ Ich halte den Stein in meiner linken Hand und
       sage, wie in einem amerikanischen Film, der synchronisiert ist: „Ich weiß
       das zu schätzen.“ Und das ist, merke ich, die totale Wahrheit.
       
       Aus dem Englischen von Jacinta Nandi. Eine englische Version dieses Textes
       erschien im ExBerliner.
       
       4 Mar 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jacinta Nandi
       
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