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       # taz.de -- Die Verständnisfrage: Zieht euch endlich was an!
       
       > Warum darf ich in der Kletterhalle mein T-Shirt nicht ausziehen, fragt
       > ein Leser. Weil es so gerecht ist, antwortet ein Kletterhallenbetreiber.
       
   IMG Bild: Ist Klettern mit T-Shirt schwieriger? Macht keinen großen Unterschied, sagt der Hallenbetreiber
       
       In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren
       Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine
       Person, die antwortet. 
       
       Tom C., 26, Student aus Freiburg, fragt: 
       
       Liebe Kletterhallen-Mitarbeiter:innen, wieso wird mir als Mann verboten,
       mein T-Shirt auszuziehen?
       
       ***
       
       Leonardo Méndez Lenk, 39, Kletterhallenbetreiber aus Berlin, antwortet: 
       
       Der Hintergrund ist, denke ich, relativ offensichtlich: In unserer
       Gesellschaft sind die Brüste von Männern und Frauen nicht gleichgestellt.
       Frauenbrüste werden sexualisiert und öffentlich zensiert. Das ist [1][bei
       Männern nicht der Fall]. Und solange das so ist, wollen wir zumindest in
       der Kletterhalle Gerechtigkeit herstellen. Ich meine, was kostet es den
       Mann, ein Shirt anzuziehen?
       
       Das Thema an sich wird relativ groß diskutiert in der Szene. [2][Die
       Boulder- und Kletterhallen haben] sich alle bestimmt schon einmal damit
       befasst und unterschiedlich positioniert. Die Halle, in der ich arbeite,
       hat kein Verbot erteilt, wie gerne behauptet wird, sondern stattdessen
       Betroffenen ein Angebot gemacht. Nämlich dass Personen, die sich in unserer
       Halle unwohl fühlen, auf uns zukommen können und wir dann entsprechend
       handeln. Zum Beispiel indem wir Menschen auffordern, ein T-Shirt anzuziehen
       und, im ganz extremen Fall, auch die Halle zu verlassen. Dann müssen sich
       unsere Besucher*innen nicht alleine mit diesen oft sehr dominant
       auftretenden oberkörperfreien Menschen auseinandersetzen.
       
       Aus der Sicht von Hallenbetreiber*innen, die ausschließlich Teppich in
       ihrer Halle haben, ist ein weiteres, vergleichsweise triviales Argument die
       Hygiene. Leute, es geht einfach nicht, wenn ihr euch mit nassgeschwitztem
       Oberkörper auf unserem Boden suhlt. Ihr fallt auf den Teppich und auf die
       Matten, und die müssen wir jeden Tag putzen. Auch die Profis tragen bei den
       Wettkämpfen T-Shirts. Das Argument, dass Klettern mit T-Shirt schwieriger
       sei, trifft nicht zu. Diese 100 bis 150 Gramm machen nicht den Unterschied.
       
       Sicher könnte man auch darüber nachdenken, [3][Frauen oberkörperfreies
       Klettern zu] ermöglichen. Aber wenn wir explizit sagen, dass es bei uns
       generell erlaubt ist, oberkörperfrei zu klettern, verdrängen wir Menschen,
       die sich in unserer Gesellschaft nicht so frei bewegen können, die auf
       Schutzmaßnahmen angewiesen sind.
       
       Es macht für Hallen und Fitnessstudios auch wirtschaftlich Sinn, auf diese
       Zielgruppe mehr einzugehen. Menschen, die klettern wollen, kommen sowieso,
       auch mit T-Shirt-Handlungsempfehlungen. Und darüber hinaus können eben noch
       diejenigen kommen, die auf ein geschütztes Umfeld wert legen.
       
       Wegen unserer Maßnahmen bekommen wir viel positives Feedback. Wir sind als
       Halle besonders für Frauen und queere Personen ansprechend. Wir hosten und
       unterstützen auch das Felsheldinnen Festival. Das ist ein Kletter- und
       Boulderfestival für FLINTA* Personen. Damit setzten wir ein Zeichen für
       mehr Offenheit in der Szene. Und klar, ich persönlich werde bei solch einem
       Festival die Halle nicht betreten dürfen. Fühlt sich komisch an, ist aber
       im Moment absolut okay.
       
       Ich hoffe, dass im Laufe der Jahre gesamtgesellschaftlich eine solche
       Entwicklung stattfindet, dass wir das irgendwann nicht mehr brauchen. Dann
       bräuchten wir auch die T-Shirt-Handlungsempfehlungen nicht mehr. Die ersten
       Schritte sind getan. Mal schauen, wie weit wir dann gekommen sind. Und bis
       dahin gilt es eben, diese Schutzräume zu schaffen, die für bestimmte
       Personen in der Gesellschaft notwendig sind.
       
       Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um
       alles in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn
       Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre
       Frage an [4][verstaendnis@taz.de].
       
       5 Mar 2023
       
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