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       # taz.de -- Tickets nur online: Vom Filmfest ausgeschlossen
       
       > Wer online kein Ticket kaufen kann, bleibt immer öfter draußen. Warum
       > eine Verkaufspolitik wie zuletzt auf der Berlinale diskriminierend ist.
       
   IMG Bild: So sah es dieses Jahr nicht aus: Festivalbesucher beim Kartenverkauf für die Berlinale im Jahr 2018
       
       Ein Mensch steht vor dem Kino, es gibt noch Karten für den in Kürze
       startenden Film – und doch keine Möglichkeit, diesen zu sehen. Denn die
       Tickets dafür sind ausschließlich online zu erwerben, und der Mensch
       besitzt kein Smartphone.
       
       Was wie eine Szene aus Absurdistan anmutet, war während der elftägigen
       [1][Berlinale] mehr als eine theoretische Möglichkeit. Viele Menschen sahen
       sich zumindest teilweise von den Filmfestspielen ausgeschlossen, weil sie
       über kein modernes Handy verfügen. Sei es, weil sie das aus Altersgründen
       ablehnen, weil sie aus Sicherheitsgründen nicht online bezahlen wollen oder
       weil sie aufgrund unfreiwilliger Einschränkungen mit der Technik schlicht
       nicht klar kommen.
       
       Die [2][Abschaffung aller analogen Ticketschalter] (und damit auch der
       legendären Schlangen der Filmfans davor) durch die Festivalleitung wurde
       jedenfalls immer wieder harsch kritisiert: In persönlichen Gesprächen auf
       dem Festival und auch in vielen Zuschriften von betroffenen Leser*innen
       an die taz. Derweil rühmte sich die Berlinale am Dienstag, dass sie mit
       rund 320.000 verkauften Karten fast so viele Menschen in die Kinos locken
       konnte wie vor der Coronapandemie.
       
       Letzteres ist ein passendes Stichwort. Während Corona haben zwar [3][weite
       Teile der Gesellschaft und Politik Rücksicht genommen] auf jene Gruppen,
       die durch die Krankheit besonders verletzlich oder benachteiligt waren.
       Aber auch damals wurden bereits Online-only-Ticketverkäufe eingeführt, etwa
       für den Besuch von Schwimmbädern. Und mit der Rücksicht ist es nach dem
       faktischen Ende der Pandemie vorbei – weil Minderheiten eben Minderheiten
       sind und auf Dauer nicht die Gewohnheiten der Mehrheit definieren können.
       
       ## Es geht um soziale Teilhabe
       
       Ähnlich ließe sich beim ausschließlich digitalen Ticketverkauf – nicht nur
       auf der Berlinale – argumentieren: Jene, die noch immer kein Smartphone
       nutzen und im Internet konsumieren, sind eine überschaubare Gruppe
       geworden. Und angesichts der rapide fortschreitenden Digitalisierung werden
       sie nicht umhin kommen, sich ein entsprechendes Gerät zu kaufen, wenn sie
       nicht auch auf viele andere Möglichkeiten sozialer Teilhabe verzichten
       wollen.
       
       Das mag zu guten Teilen stimmen – dennoch ist es diskriminierend. Denn beim
       Online-only-Verkauf sind jene, die diesen nicht nutzen können oder wollen,
       auf Unterstützer*innen angewiesen, die den Einkauf besorgen. Weniger
       Selbstständigkeit geht kaum.
       
       Wahrscheinlich ist die Forderung vermessen, privaten Vermarkter*innen
       von Tickets für Veranstaltungen vorschreiben zu wollen, künftig auch
       alternative Vertriebsangebote jenseits von online anbieten zu müssen. Aber
       zumindest bei staatlichen, sprich von den Steuerzahler*innen
       finanzierten Veranstaltungen wie der vom Bund getragenen Berlinale, müsste
       das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Schließlich ist es Aufgabe
       des Staates, Diskriminierung durch solche Barrieren abzubauen, und nicht
       neue zu errichten.
       
       Das Problem dürfte in Zukunft noch häufiger auftauchen und auch Bereiche
       jenseits der Kultur betreffen. Der Drang der Deutschen Bahn und anderer
       ÖPNV-Anbieter, kosten- oder wartungsintensiven Verkauf am Schalter und
       Automaten zu reduzieren und Online-Angebote auszubauen, ist offensichtlich.
       Was also, wenn man irgendwann vor einem halbleeren Zug oder Bus steht, aber
       trotzdem mangels Handy nicht mitfahren kann?
       
       3 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.berlinale.de/de/home.html
   DIR [2] /In-Erwartung-der-Berlinale/!5912740
   DIR [3] /Problematische-Corona-Oeffnungen/!5833565
       
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