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       # taz.de -- Amapiano Boom: Der Herzschlag ist ein Drumbeat
       
       > Amapiano ist ein charakteristischer Dancefloor-Stil aus den Townships von
       > Johannesburg. Der Sound geht inzwischen um die Welt.
       
   IMG Bild: Kamo Mphela, Amapiano-Sängerin und -Performerin, bei einem Auftritt in Pretoria, Südafrika, Juli 2022
       
       Jedes Kind in Deutschland kennt mittlerweile den Sound der Log-drum.
       Verantwortlich dafür ist der Berliner Sänger Peter Fox. Knapp 20 Sekunden
       dauerte es, bis ihr Sound das erste Mal auf seinem Nummer-Eins-Hit „Zukunft
       Pink“ im Oktober 2022 zu hören war. Der Klang spendet einen warmen,
       vibrierenden Basstupfer unter einem Rhythmusgeflecht. Aber diese Logdrum
       wird nicht von Hand gespielt, sondern ist ein vorprogrammierter Sound aus
       der Audiosoftware „Fruity Loops“, benannt nach der Schlitztrommel aus
       Westafrika.
       
       Seit drei Jahrzehnten ist diese einer der vielen Standardsounds in der
       internationalen Klangbibliothek von House Music. Aber stilprägend wurde er
       erst in den letzten Jahren, bei einem lokalen Genre aus Südafrika:
       Amapiano. Auf Zulu, der meistverbreiteten Sprache in Südafrika, bedeutet
       Amapiano schlicht „das Piano“. Der Name enthält, was das Genre so
       einzigartig macht. Die kurzen, jazzigen Piano-Motive teilt sich Amapiano
       mit vielen House-Genres.
       
       Aber erst die Logdrum lässt es besonders klingen. Sie wird nicht als
       straighte Bassdrum auf dem ersten Schlag jedes Taktes gespielt, sondern
       fungiert zugleich als Rhythmus und Melodie. Im Takt wird ein Amapiano-Stück
       durch Hihats, Snare und kurze Chants gehalten; auch die Rapper:innen und
       Sänger:innen mitsamt ihren Adlibs und Lyrics auf Zulu und Xhosa ordnen
       sich dem Rhythmusgerüst unter.
       
       Die Logdrum ist also die Kür, bei der die Produzent:innen ihre
       Pirouetten schlagen. Aus diesem Kontrast entwickelt Amapiano in einem
       DJ-Set seine eigene Form der Hypnose, in der eine fast schon religiöse
       Versunkenheit durch Konvulsionen in den Bassfrequenzen erschüttert wird und
       niemals zusammenfällt.
       
       Entstanden ist Amapiano Mitte der Zehnerjahre in den Townships von
       Johannesburg. Und wie so oft, wenn sich ein Wille zum eigenen Stil in Musik
       übersetzt, sind die Werkzeuge dafür zweitrangig: ein Laptop, Kopfhörer,
       eine Kopie der Musik-Software „Fruity Loops“, vermutlich illegal kopiert.
       Mehr brauchte es nicht.
       
       In den 1990ern wurde Kwaito zum Sound der Townships in der
       Post-Apartheid-Ära. Kwaito feierte Schwarze Subkulturen, die
       Produzent:innen verbanden die Rhythmen verschiedener Musikstile aus der
       Zeit der Apartheid mit der Euphorie des damals neuen House-Sounds. So wurde
       Kwaito als explizit südafrikanischer House-Stil zum Ausdruck einer neuen
       Jugendkultur, die im Amapiano nun die zeitgenössische Fortsetzung gefunden
       hat.
       
       Dabei hat sich die Dancefloor-Szene Südafrikas ausdifferenziert. Auch der
       Narzissmus der kleinen Unterschiede motiviert mittlerweile die
       Künstler:innen – im Fall von Amapiano ist es die Rivalität von
       Johannesburg mit Durban, der drittgrößten Stadt des Landes. Dort hatten
       Produzent:innen die südafrikanische House-Tradition mit einem anderen
       Stil bereichert: Gqom. Mit seinen metallischen, technoiden Sounds
       entwickelte Gqom eine afrofuturistische Ästhetik.
       
       Amapiano setzt dem den Wunsch nach balearischer Leichtigkeit entgegen. In
       Videoclips tanzen Menschen unbeschwert in Bars oder am Strand. Es ist eine
       Maschine für Wünsche, die im Kontrast zum ärmlichen Leben in den Townships
       steht. Lange verbreitete sich Amapiano überwiegend in südafrikanischen
       WhatsApp-Gruppen oder auf obskuren MP3-Seiten.
       
       2019 stand das Genre dann kurz vor dem internationalen Durchbruch.
       Amapiano-Tracks tauchten in den Sets bekannter DJs auf, und mit „The
       Scorpion Kings“ veröffentlichten Kabza da Small and DJ Maphorisa ihr
       Debütalbum. Wie auf einem Catwalk repräsentieren die beiden Produzenten die
       Vielfalt von Amapiano: Von ozeanischer Weichheit umspülte Vocal-Tracks
       stehen neben rougheren MC-Auftritten, unter denen vor allem [1][die
       sexpositive südafrikanische Sängerin Moonchild Sanelly hervorsticht].
       
       Doch dann kam die Pandemie, und die Dancefloors mussten auch in Südafrika
       schließen. Das soziale Leben spielte sich digital und vor der Kamera ab,
       das galt auch für DJs. Es war die Stunde der Major League DJz, eines
       Zwillingspaars aus Johannesburg. In ihrer Reihe „Balcony Mix“ streamten sie
       regelmäßig Amapiano-Sets von leeren Dachterrassen, aus geschlossenen Cafés
       oder von der Mitte eines leeren Sportfeldes. [2][Im Gegensatz zu vielen
       anderen DJ-Sets aus der Pandemie-Zeit] funktionierte ihr Konzept.
       
       Amapiano-Sets verzichten auf den „Drop“, den Moment, wenn der Beat kurz
       aussetzt, alle glücksbesoffen johlen, und die Arme in die Luft reißen,
       bevor der Beat wieder einsetzt. Stattdessen fließen bei Amapiano Tracks und
       Rhythmen ineinander, verweben und verdichten sich. Ein Amapiano-Set kann so
       auch als Soundtrack beim Putzen oder Kochen dienen.
       
       Als die Dancefloors nach den Lockdowns wieder öffneten, hatten sich so
       viele Menschen zu Amapiano eingegroovt, dass der Sound neben Soca und
       Afrobeats einen festen Platz in den Clubs in und bald auch außerhalb
       Afrikas einnahm.
       
       Als Peter Fox im Herbst 2022 dann „Zukunft Pink“ veröffentlichte, war der
       deutsche Künstler also eher spät dran. Und so löste sein Song eine –
       unvermeidbare und zugleich notwendige – Debatte aus. Wie kann es sein, dass
       Amapiano auf der ganzen Welt die Dancefloors erobert, aber in Deutschland
       erst wahrgenommen wird, wenn ein weißer Popsänger mittleren Alters einen
       Amapiano-Song auf Radiolänge konfektioniert?
       
       Deutschland hat sich häufig herzlich wenig für die Musik und die Menschen
       interessiert, die gekommen sind, um hier zu arbeiten oder sicherer zu
       leben. Ist Amapiano nur ein weiteres Kapitel dieser Geschichte?
       
       In Großbritannien hat die Rezeption eine andere Wendung genommen. Ende der
       Nullerjahre, in der Hochzeit von UK-Funky, löste die Musik des
       afrikanischen Kontinents die Karibik als Sehnsuchtsort vieler britischer
       Dance-Produzent:innen ab.
       
       Scratcha DVA, Produzent und DJ aus der Londoner Peripherie, streute in
       seine Sets immer wieder Stücke aus Nigeria und Südafrika ein. Seine Musik
       ist eine Gegengeschichte der Schwarzen Diaspora, in denen er subsonische
       Verbindungen in den Bassfrequenzen auftut: zwischen Grime, Dancehall, Gqom
       und Amapiano.
       
       Im Sommer 2022 veröffentlichte er unter dem Alias Scratchclart das Album
       „Crash Riddim“, auf dem eine Vielzahl Grime-MCs wie bei einem klassischen
       Dancehall-Clash über einem einzigen Beat ihr Können beweisen – nur dass
       dieser Beat ein Amapiano-Groove ist.
       
       Mittlerweile hat Scratcha DVA eine Radiosendung beim Londoner
       Internetsender NTS, in der er an prominenten Stellen Amapiano-Tracks
       einstreut. Neben seiner Wühlarbeit ist es vor allem seine Kollegin DJ
       Charisse C, die jeden Monat die weltweite Amapiano-Szene in das kleine
       Londoner Studio des Radiosenders holt. Wo Scratcha DVA den Clash feiert,
       sind die Mixe in Charisse Cs Sendungen ein nie endender Fluss aus Chants
       und Logdrums.
       
       So leistet sie Basisarbeit für Amapiano in Großbritannien, wo das Genre aus
       Südafrika mittlerweile so populär ist, dass inzwischen auch die
       öffentlich-rechtliche BBC jeden Samstag einen Amapiano-Mix sendet.
       
       Von dem neuen Ruhm profitieren auch die Pioniere selbst. Kürzlich sagte
       Charisse C, dass sie nach ihrer Radioshow ein DJ-Set im Londoner Superclub
       Printworks spielen wird. „Es ist mein erstes Set dort“, sagte sie und ließ
       die Musik kurz laufen, bevor sie das Mikrofon wieder elegant hochzog:
       „Tatsächlich ist es das erste Mal, dass ich überhaupt im Printworks bin.“
       
       4 Mar 2023
       
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