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       # taz.de -- Mutmaßliche Vergewaltigung in Bramsche: Mehr Schutzraum statt Strafraum
       
       > Der mutmaßliche Femizid an Milena O. erregt Aufmerksamkeit. Die SPD
       > fordert härtere Bestrafungen. Dabei bräuchte es mehr Prävention.
       
   IMG Bild: Absperrband nahe der Wiese, auf der Milena O. gefunden wurde
       
       In der Nacht auf Sonntag wurde die 19-jährige Milena O. im
       niedersächsisischen Bramsche tot aufgefunden. Auf einer Wiese in der Nähe
       einer Geburtstagsfeier. Die Polizei geht davon aus, dass sie vergewaltigt
       wurde. Der mutmaßliche Täter sitzt seit Sonntag in U-Haft. Unklar ist, in
       welchem Verhältnis Opfer und Täter zueinander standen.
       
       Seitdem rufen Feminist_innen insozialen Medien dazu auf, wütend zu werden.
       Medien berichten ausführlich. RTL befragte sogar ehemalige Klassenkameraden
       des mutmaßlichen Täters. [1][Er sei „grabschig“ gewesen] und habe
       frauenfeindliche Sprüche gemacht. Trotzdem sei die mutmaßliche Tötung
       „überraschend“.
       
       Femizide passieren in Deutschland in einer erschütternde Regelmäßigkeit.
       Etwa jeden dritten Tag tötet ein Mann eine Frau, meistens die
       (Ex-)Partnerin. Doch Femizide bekommen selten so viel Aufmerksamkeit wie im
       Fall von Milena O. Denn die Gesellschaft scheint sich an diese besonders
       krasse Form patriarchaler Gewalt gewöhnt zu haben.
       
       Mit der Aufmerksamkeit für Milna Os Tod hat auch der 8. März zu tun:
       [2][Jedes Jahr rufen Feminist_innen dazu auf], diese krasse Form der Gewalt
       nicht einfach hinzunehmen. Milena O. war der aktuellste Femizid, der
       bekannt geworden ist. Dazu kommt, dass Femizide meist im privaten Umfeld
       stattfinden. Selten ist ein Fall so öffentlich, dass 150 Gäste einer
       Geburtstagsparty von der Polizei befragt werden.
       
       ## Der mutmaßlich 17. Fall in diesem Jahr
       
       Vor Milena O. wurden in diesem Jahr 16 andere Frauen von Männern in
       Deutschland getötet. Diese Femizide bekamen deutlich weniger
       Aufmerksamkeit:
       
       Am 5. Januar soll ein 20-jähriger Mann seine 46-jährige Mutter in Planegg
       bei München schwer am Kopf verletzt haben. Sie starb im Krankenhaus an den
       Verletzungen. [3][Aufgefallen war die Tat, weil es einen Brand im Keller
       gab] und die Polizei bei der Evakuierung die 46-Jährige in der Wohnung
       fand.
       
       In der Nacht vom [4][5. auf den 6. Januar] wurde eine 52-jährige Frau in
       Berlin-Lichtenberg mutmaßlich von ihrem 34-jährigen Nachbarn getötet. Der
       Nachbar hatte sich mit einerKettensäge Zutritt in die Wohnung der Nachbarin
       verschafft, damit den Lebenspartner der Frau überwältigt und die 52-Jährige
       anschließend mit einer Machete getötet.
       
       [5][Am 11. Januar] griff ein 63-Jähriger seine 30-jährige Ex-Partnerin und
       deren 59-jährige Mutter vor ihrem Wohnhaus an. Trotz Annäherungsverbots.
       Die 59-Jährige starb an den Verletzungen.
       
       [6][Am 18. Januar] soll Sabrina P. imbaden-württembergischen Stockach von
       ihrem 22-jährigen Lebensgefährten erdrosselt und vom Balkon geworfen worden
       sein. Die beiden hatten zwei Kinder.
       
       [7][Am 21. Januar] soll ein 47-Jähriger zum Arbeitsplatz seiner getrennt
       lebenden 44-jährigen Ehefrau in Markdorf am Bodensee gefahren sein und
       mehrmals auf sie geschossen haben.
       
       [8][Am 4. Februar] meldete im saarländischen Riegelsberg ein 55-Jähriger
       seine Frau als vermisst. Im Laufe der Ermittlungen gestand er, die
       53-jährige Stefanie S. im gemeinsamen Haus getötet zu haben.
       
       [9][Am 9. Februar] entdeckte die Polizei zwei Leichen in einer Wohnung im
       thüringischen Barchfeld-Immelborn. Dabei handelte es sich laut Ermittlunfen
       um einen 73-jährigen Mann, der zuerst seine 72-jährige Frau so schwer
       verletzte, dass sie starb. Anschließend nahm er sich das Leben.
       
       [10][Am 11. Februar] fanden Spaziergänger die Leiche der 42-jährigen
       Thurayya A. in der Nähe von Klein Bennebek und Börm in Schleswig-Holstein.
       Tatverdächtig ist der 60-Jährige Ex-Mann von Thurayya A. Die beiden hatten
       zwei Kinder.
       
       [11][Am 11. Februar] fand die Polizei eine erstochene 33-Jährige im
       sächsischen Crimmitschau. Tatverdächtig ist der getrennt lebende Ehemann.
       
       [12][Am 14. Februar] starb eine 46-jährige Frau durch häusliche Gewalt.
       Tatverdächtig ist ihr 51-jähriger Ex-Partner.
       
       [13][Ebenfalls am 14. Februar] wird eine 78-Jährige tot in ihrer Wohnung
       gefunden – erstochen, mutmaßlich von ihrem 39-jährigen Sohn.
       
       [14][Am 14. Februar] kommt es in Köln-Lindenthal zu einem Femizid mit
       anschließendem Suizid: Polizei und Rettungskräfte finden einen toten
       43-Jährigen, der mutmaßlich für den Tod seiner 42-jährigen Frau
       verantworltlich sein soll. Die beiden standen wohl kurz vor einer Trennung.
       
       [15][Am 16. Februar] rief im niedersächsischen Brake ein 37-jähriger Mann
       den Notruf an, da seine 50-jährige Frau in ihrer Wohnung starb. Die
       Obduktion ergab, dass die Todesursache Sauerstoffmangel infolge von
       Gewalteinwirkung war. Der Mann hatte seine Frau mutmaßlich erdrosselt.
       
       [16][Am 20. Februar] stritt sich im hessischen Büdingen ein Paar. Dabei
       soll der 65-jährige Mann die 63-jährige Frau lebensgefährlich verletzt
       haben.
       
       [17][Am 23. Februar] wurde eine 48-jährige Frau durch 15 Schüsse in ihrem
       Auto getötet. Tatverdächtig ist der getrennt lebende Ehemann, der nun in
       U-Haft sitzt. Zuvor hatte die Frau beim Familiengericht eine Verfügung nach
       dem sogenannten Gewaltschutzgesetz gegen den Ehemann erwirkt.
       
       [18][Am 2. März] soll eine 67-jährige Frau in Paderborn von ihrem
       68-jährigen Ehemann erstochen worden sein. Dieser verletzte sich daraufhin
       selbst und sitzt nun in einem Justizvollzugskrankenhaus.
       
       ## Die SPD fordert härtere Bestrafungen
       
       All das ist schrecklicher Alltag, auf den beispielsweise der
       Instagram-Account [19][@femizide_stoppen] mit mühseliger Recherche
       aufmerksam machen. SPD-Rechtspolitiker_innen aus Bund und Ländern fordern
       deswegen in einer [20][Erklärung vom 8. März] eine deutlich härtere
       Bestrafung von tödlicher Gewalt gegen Frauen. „Wird eine Frau getötet, weil
       sie eine Frau ist, muss dies als Femizid anerkannt werden und regelmäßig
       als Mord aus niedrigen Beweggründen bestraft werden“, heißt es darin. Das
       mag richtig sein, denn viel zu oft wird vor Gericht Macht mit Liebe
       verwechselt und die Täter erfahren eine mildere Strafe – der
       [21][Istanbul-Konvention] zum Trotz.
       
       Doch was es neben härteren Strafen braucht, sind mehr Frauenhäuser.
       [22][Eine Recherche von correctiv.org ergab], dass in 13 Bundesländern an
       303 Tagen im Jahr Frauenhäuser voll belegt sind. Außerdem müssen
       Präventivmaßnahmen dringend ausgebaut werden. Denn wer Frauenhäuser
       aufsucht, hat Gewalt oft schon erfahren. Ein Femizid mag durch das
       Aufsuchen eines Frauenhauses verhindert werden. Vor allem aber [23][müssen
       Männer davon abgehalten werden], Gewalt auszuüben.
       
       9 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.rtl.de/cms/milena-o-19-in-bramsche-vergewaltigt-und-getoetet-das-sagen-mitschueler-ueber-den-tatverdaechtigen-joel-g-5033235.html
   DIR [2] /Feminismus-in-Argentinien/!5808917
   DIR [3] https://www.br.de/nachrichten/bayern/gewalttat-in-planegg-sohn-soll-mutter-getoetet-haben,TSAAMlu
   DIR [4] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/01/berlin-lichtenberg-gewaltverbrechen-taeter-in-psychiatrie-untergebracht.html
   DIR [5] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/frau-stirbt-nach-messerangriff-in-freiburg-100.html
   DIR [6] https://www.t-online.de/region/stuttgart/id_100116272/junge-zweifache-mutter-erdrosselt-lebensgefaehrte-festgenommen.html
   DIR [7] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/neue-erkenntnisse-zu-toetungsdelikt-in-markdorf-100.html
   DIR [8] https://www.sueddeutsche.de/panorama/kriminalitaet-riegelsberg-mann-gesteht-toetung-von-ehefrau-polizei-zu-leiche-gefuehrt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230213-99-581982
   DIR [9] https://www.sueddeutsche.de/panorama/notfaelle-barchfeld-zwei-tote-in-barchfeld-immelborn-entdeckt-polizei-ermittelt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230210-99-544473
   DIR [10] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Getoetete-Rendsburgerin-Polizei-sucht-mit-Flugblaettern,frauenleiche208.html
   DIR [11] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/chemnitz/zwickau/crimmitschau-frau-getoetet-haftbefehl-mord-100.html
   DIR [12] https://www.t-online.de/region/koeln/id_100128788/bergisch-gladbach-mitbewohner-nach-tod-von-frau-festgenommen.html
   DIR [13] https://www.badische-zeitung.de/mann-soll-seine-78-jaehrige-mutter-in-freiburg-erstochen-haben--243108317.html
   DIR [14] https://www.t-online.de/region/koeln/id_100129396/koeln-lindenthal-mann-soll-ehefrau-und-sich-selbst-getoetet-haben.html
   DIR [15] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Tod-einer-50-Jaehrigen-in-Brake-Lebensgefaehrte-festgenommen,aktuelloldenburg11794.html
   DIR [16] https://www.hessenschau.de/panorama/lebensgefaehrte-soll-63-jaehrige-in-buedingen-umgebracht-haben-v3,toetungsdelikt-buedingen-100.html
   DIR [17] https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/kaiserslautern/tote-frau-sembach-obduktion-ergebnis-erschossen-15-schuesse-100.html
   DIR [18] https://www.zeit.de/news/2023-03/03/mann-soll-ehefrau-erstochen-haben
   DIR [19] https://www.instagram.com/femizide_stoppen/
   DIR [20] https://www.sueddeutsche.de/politik/spd-femizid-mord-1.5764120
   DIR [21] /Gewalt-gegen-Frauen-in-der-Tuerkei/!5916099
   DIR [22] https://correctiv.org/aktuelles/2023/03/06/haeusliche-gewalt-frauenhaus-platz-finden/
   DIR [23] /Fuenf-Jahre-Istanbul-Konvention/!5912016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicole Opitz
       
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