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       # taz.de -- Ausstellung „Kriegsbeute aus China“: Vergessene koloniale Geschichte
       
       > Das Landesmuseum in Hannover zeigt Ausstellungsstücke, die sich ein
       > deutscher Offizier bei der Plünderung Pekings im Boxerkrieg unter den
       > Nagel riss.
       
   IMG Bild: Kriegsbeute, deren Herkunft noch erforscht wird: Rollbild aus dem 18. Jahrhundert (Ausschnitt)
       
       HANNOVER taz | „Ausstellung“ ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt.
       Gerade einmal ein Raum widmet sich im Landesmuseum Hannover der
       „[1][Kriegsbeute aus China]“. Doch dieser eine Raum wirft ein
       bemerkenswertes Schlaglicht auf ein fast vergessenes Stück
       Kolonialgeschichte – und auf die [2][Provenienzforschung], die [3][gerade
       erst angefangen hat], sich damit zu befassen.
       
       Reproduziert zu sehen sind da drei Rollbilder, wie sie bei Prozessionen im
       China des 18. und 19. Jahrhunderts durch die Straßen getragen wurden, dazu
       zwei Buddhastatuen und fünf vergoldete Tontäfelchen mit
       Götterdarstellungen. Ins Museum gelangten all diese Stücke vor rund 113
       Jahren als Schenkung des Offiziers und berühmten Herrenreiters
       [4][Friedrich Graf von Königsmarck]. Der brachte sie an sich, als er in
       China diente, so viel lässt sich aus den Museumsaufzeichnungen
       rekonstruieren.
       
       Als Offizier im Stab des Grafen von Waldersee war von Königsmarck 1900 und
       1901 an der Niederschlagung des „Boxeraufstandes“ – respektive dem
       „Boxerkrieg“ – beteiligt; chinesische Bezeichnung: Pinyin Yìhétuán Yùndòng
       – „Bewegung der Verbände für Gerechtigkeit und Harmonie“. „Boxer“ nannten
       die ausländischen Mächte jene in traditionellen chinesischen Kampfkünsten
       geschulten Männer und Frauen, die meist aus ärmeren Provinzen stammten und
       in ordens- oder sektenähnlichen Verbänden organisiert waren. Sie wehrten
       sich gegen ausländische Missionare und Besatzer, töteten allerdings auch
       zahlreiche chinesische Christen, die sie als Verräter und Kollaborateure
       ansahen.
       
       Als diese Aufrührer im Juni 1900 das Gesandtschaftsviertel in Peking
       belagerten und der deutsche Gesandte Clemens Freiherr von Kettler ermordet
       wurde, beschlossen Italien, die USA, Frankreich, Österreich-Ungarn, Japan,
       das Deutsche Reich, das Vereinigte Königreich und Russland gemeinsame
       Truppen zur endgültigen Niederschlagung des Aufstandes zu entsenden. Auf
       deutscher Seite wurde Alfred Heinrich Karl Ludwig Graf von Waldersee,
       preußischer Generalfeldmarschall, damit betraut; er kehrte als gefeierter
       Held nach Hannover zurück und wird dort bis heute geehrt: mit einem
       monumentalen Denkmal, auf dem er den chinesischen Drachen zertritt, und
       einer nach ihm benannten Straße. Die Ehrenbürgerwürde verliehen ihm aber
       1901 auch Senat und Bürgerschaft in Hamburg.
       
       Bei der Verabschiedung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps in
       Bremerhaven hielt Kaiser Wilhelm II. seine berüchtigte [5][Hunnen-Rede]:
       „Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht“, heißt es
       darin. Und: „Daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel
       anzusehen.“ Die Rede war eine unverhohlene Aufforderung zu
       Kriegsverbrechen, und die Truppen kamen ihr bereitwillig nach: Sie stürmten
       nicht nur brandschatzend, plündernd, mordend und vergewaltigend durch
       Peking, sondern brachen auch danach noch zu zahlreichen Strafexpeditionen
       auf. Diese Art der Kriegsführung sahen selbst Zeitgenossen kritisch –
       allerdings konzentrierte man sich auch gern darauf, die jeweils anderen
       alliierten Kolonialmächte als die noch viel Schlimmeren darzustellen.
       
       Der Krieg endete erst mit dem „Boxerprotokoll“, das 1901 eine weitere
       Ausplünderung Chinas in Form von Reparationen festlegte. Nun ist unklar,
       welche Kriegsverbrechen der Schenker Friedrich Graf von Königsmarck
       begangen hat, klar ist aber: Rechtmäßig erworben hat er die später
       verschenkten Stücke sicher nicht. Der Offizier war bis 1910 in Hannover
       stationiert, auch diese Geschichte wird in der Ausstellung kurz erzählt.
       Bevor er die Stadt verließ, übergab er wohl die Beutestücke an das Museum,
       das damals noch „Provinzialmuseum“ hieß.
       
       Im Jahrbuch des Museums aus dem Jahr 1909/1910 findet sich der Eintrag:
       „Von einem ungenannten Geber wurden dem Museum folgende Gegenstände aus
       Tempeln des Kaiserpalastes zu Peking geschenkt: 6, meist auf Seide gemalte
       Bilder (Porträts und szenische Darstellungen). Bronzefiguren und
       Thonplaketten: Buddha-Darstellungen. Eine Fayencefigur, eine Gottheit
       darstellend.“ Dieser Fund machte die Provenienzforscher des Museums,
       namentlich Maik Jachens, hellhörig. Er stöberte eine weitere Notiz im
       Archiv des Fachbereichs Ethnologie auf, die Königsmarck als Geber benannte
       und weitere Angaben zur Herkunft der Objekte enthielt. Die sind allerdings
       nicht so ganz stimmig: Aus „Tempeln des Kaiserpalastes“ stammen sie wohl
       eher nicht – wobei auch nicht ganz klar ist, was damit überhaupt gemeint
       ist. Für den Himmelstempel ist die Qualität der Objekte jedenfalls nicht
       überragend genug, außerdem verweisen sie auch auf zu unterschiedliche
       religiöse Vorstellungswelten: mal eher aus dem volkstümlich-taoistischen
       Buddhismus, mal dem tibetisch-lamaistischen.
       
       Auf einer Karte von Peking beziehungsweise Beijing um das Jahr 1900 herum
       zeigt das Museum nun als mögliche Herkunftsorte zahlreiche Tempel in der
       Stadt. Weiteres wird noch recherchiert, dazu haben die Hannoveraner Kontakt
       mit den chinesischen Behörden aufgenommen. Mit denen soll auch über eine
       mögliche Rückgabe gesprochen werden. Bis auf Weiteres sind der Exponate
       aber in Hannover zu sehen – voraussichtlich bis Ende dieses Jahres.
       
       4 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.hannover.de/Veranstaltungskalender/Ausstellungen/Landesmuseum-Hannover/Kriegsbeute-aus-China
   DIR [2] /Provenienzforschung/!t5014182
   DIR [3] /Raubkunst-aus-China-in-Museen/!5848824
   DIR [4] https://www.hannover.de/Veranstaltungskalender/Ausstellungen/Landesmuseum-Hannover/Kriegsbeute-aus-China
   DIR [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Hunnenrede
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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