URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Balzorgie mit Prügel
       
       > Fastenzeit in Irland – Zeit alter Riten und Traditionen. Wer zum Beispiel
       > auf die Schnelle noch heiraten will, muss auf die Insel vor der Insel.
       
       Für jedes irische Problem gibt es eine irische Lösung. Vorigen Mittwoch
       begann auch in Irland die Fastenzeit: 40 Tage, in denen fleischliche
       Gelüste jeder Art unterdrückt werden müssen. Weil auch Eier, Milch und
       Butter verboten sind, erfand man den „Pancake Tuesday“. Am Abend vor
       Aschermittwoch muss alles verbraucht sein, sodass man Pfannkuchen mit
       Unmengen Eiern und Milch in Butter brät.
       
       Früher heirateten viele noch geschwind, da es während der Fastenzeit nicht
       möglich war. Wer ledig blieb, wurde mit gemeinen Gedichten, die auf Zetteln
       im Dorf verteilt wurden, geschmäht, weil diese Leute wegen ihrer
       Kinderlosigkeit als Gefahr für das Fortbestehen der Menschheit galten. Ein
       Ölgemälde von James Beale aus dem Jahr 1845 zeigt, wie es damals zuging:
       Ledige wurden auf Eseln und in Schubkarren zu einer Pferdetränke geschafft
       und ins kalte Wasser geworfen.
       
       Diese Tradition hatte in der südirischen Grafschaft Cork in abgemilderter
       Form lange überlebt, bis die lokale Schulbehörde die Mädchenschulen eine
       Stunde früher als die Knabenschulen schließen ließ, damit die Mädchen einen
       Vorsprung hatten und unbeschadet nach Hause gelangten, ohne von den Jungs
       an einen Baum gebunden und mit Wassereimern begossen zu werden.
       
       In einer Schrift aus dem Jahr 1895 heißt es, dass „alle jungen Leute im
       heiratsfähigen Alter“, die bis zum Abend vor Aschermittwoch niemanden
       geehelicht hatten, sich zur Klosteranlage auf die Insel Skellig Michael
       begeben mussten. Dieser ursprünglich religiöse Brauch artete jedoch schnell
       in eine Balzorgie mit viel Alkohol und Schlägereien aus. Der Tag hieß
       alsbald „Skelliking Day“ und war eine Art irischer Karneval.
       
       Die mittelalterliche Klosteranlage auf der Felseninsel, rund zwölf
       Kilometer vor der Küste Südwestirlands im Atlantik, wo Teile der „Star
       Wars“-Filme gedreht wurden, gehört zum Weltkulturerbe. Die Mönche, die das
       Kloster 588 gegründet hatten, bauten Bienenkorbhütten, zwei bootsförmige
       Andachtsräume und eine Steintreppe mit 600 Stufen ohne Geländer zum Meer.
       Sie ernährten sich hauptsächlich von Papageientauchern. Durch einen Trick
       durften die auch freitags und zur Fastenzeit verspeist werden, denn die
       Vögel ernährten sich ausschließlich von Fisch, weshalb die Mönche sie
       kurzerhand ebenfalls zu Fischen deklarierten.
       
       Die Mönche legten auch den Grundstein für die Lösung eines anderen irischen
       Problems. Während in Irland 1752 der gregorianische Kalender eingeführt
       wurde, hielt man auf Skellig am julianischen Kalender fest, sodass die
       Fastenzeit erst später begann. Für manche Sünderin war die Zeitverschiebung
       ein Segen im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn eine ledige Frau schwanger
       wurde und sich die Sache nicht bis Ostern vertuschen ließ, hatte sie noch
       eine Galgenfrist, um auf Skellig mit kirchlichem Segen zu heiraten.
       
       27 Feb 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Irland
   DIR Fastenzeit
   DIR Heiraten
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Bombige Kampagne in Kyjiw
       
       Am irischen Nationalfeiertag düsen irische Politiker lieber nach Übersee.
       Dabei wären sie in der Ukraine ganz gut aufgehoben.
       
   DIR Die Wahrheit: Hochmoderne Zeiten
       
       Frauen und Rechte – Irland nahm es damit lange Zeit nicht sehr genau bis
       gar nicht. Eine Bestandsaufnahme und ein Blumenstrauß.
       
   DIR Die Wahrheit: Schweiß auf den Augenbrauen
       
       Männer, die auf Kühe starren: Das könnte auch ein Grund für verlassene
       Dörfer an der irischen Küste sein.
       
   DIR Die Wahrheit: Dünnhäutige Mafiosi
       
       Wie jetzt? Gewisse Südfrüchte verlieren ihre Namen und bekommen
       einheitliche Bezeichnungen. Clementine, mach was!
       
   DIR Die Wahrheit: Kein Finish für den Supergaul
       
       Vor 40 Jahren starb das legendäre irische Pferd Shergar. Nicht nur durch
       seine Rennerfolge, sondern auch durch eine Entführung wurde es berühmt.
       
   DIR Die Wahrheit: Das schottische Gespür für Schnee
       
       Wer hat die meisten Wörter für das herabrieselnde Weiß? Die Inuit?
       Mitnichten!