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       # taz.de -- Nature Writing von Mary Hunter Austin: Brutalität und Schönheit
       
       > Mary Hunter Austin schrieb neugierige Essays über den US-amerikanischen
       > Westen. Endlich sind sie in deutscher Übersetzung zu entdecken.
       
   IMG Bild: Regen fällt hier tatsächlich nicht viel: Straße durch die Mojave-Wüste, um 1930
       
       Im Südwesten der USA erstreckt sich ein Gebiet, das die US-amerikanischen
       Ureinwohner mal als „Land der verlorenen Grenzen“, dann wieder als „Land
       der verlorenen Flüsse“ und zuweilen auch als „Land der drei Jahreszeiten“
       beschreiben.
       
       Die US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Mary Hunter Austin hat
       fast ihr ganzes Leben im Westen der USA verbracht. Als sie 1903 ein Buch
       über die Mojave-Wüste veröffentlichte, entschied sie sich für eine vierte,
       ebenfalls indianische Bezeichnung. Sie sprach vom „Land of Little Rain“,
       dem Land, „wo wenig Regen fällt“.
       
       120 Jahre nach dem Erscheinen hat dieser nun endlich ins Deutsche
       übersetzte [1][Nature-Writing-Klassiker] nichts von seiner Kraft und Poesie
       verloren. Die darin versammelten Essays lassen majestätische Landschaften
       vor dem inneren Auge entstehen, halten das existenzielle Kommen und Gehen
       des Lebens fest und dokumentieren ethnografisch das Leben derjenigen, die
       sich dieser Landschaft aussetzen.
       
       Ein Wagnis, wie Hunter Austin auf den ersten Seiten deutlich macht. „Egal,
       wie weit Sie es wagen, ins Herz eines einsamen Landes vorzudringen, Leben
       und Tod werden stets vor Ihnen da sein.“
       
       Mary Hunter Austin wurde am 9. September 1868 in Illinois geboren. Sie
       studierte Psychologie und Botanik, zog 1888 mit ihrer Familie nach
       Kalifornien und lernte dort ihren späteren Ehemann Wallace Austin kennen.
       1892 erschien ihre erste Kurzgeschichte, die vom Schicksal mexikanischer
       Wanderarbeiter handelt. In den folgenden Jahren erschienen weitere Texte
       über das Leben im amerikanischen Westen. Sie bilden die Grundlage für ihr
       Debüt „Land of Little Rain“, das bis heute das vibrierende Zentrum ihres
       Werkes bildet.
       
       ## Das Plappern der Wasserläufe
       
       Mehr als zehn Jahre hat Hunter Austin die Gebiete des amerikanischen
       Westens erkundet. Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin ist sie den
       Wasserwegen des Ceriso gefolgt, hat den Tafellandpfad beschritten,
       Bergstraßen und Ufersäume erforscht und die Siedlungen von Ureinwohnern und
       Goldsuchern bereist.
       
       In ihren lebendigen Texten fängt sie das Leben in diesen unwirtlichen
       Gebieten ein, porträtiert die Kojoten („unser eigentlicher Wasserhexer“)
       und Kaninchen („ein dummes Volk“), die Wachteln („die glücklichsten Nutzer
       der Wasserwege“) und Raben („der am wenigsten abstoßende unter den
       heimischen Aasfressern“).
       
       Sie schreibt über das „Plappern der Wasserläufe“, den „Geruch des
       Salzgraslandes“ und das blaue „Licht, das durch die Schneewände dringt“.
       Dabei werden wir Zeuge der existenziellen Dramen im Weltenlauf und
       begreifen mit jeder Zeile mehr von der grausamen Ökonomie der Natur.
       
       Hunter Austin ging es nie darum, „dem eigentlichen, wirklichen Leben
       näherzutreten“, wie es [2][Henry David Thoreau] in seinem Klassiker „Walden
       oder Leben in den Wäldern“ formulierte. Sondern sie wollte ihrer
       Faszination nachgehen und von jenen lernen, denen diese Landschaft und
       Natur am vertrautesten ist. „Lebe lang genug mit einem Indianer und er wird
       oder die Wildtiere werden dir zeigen, dass jedes Gewächs auf diesem Gebiet
       einen Zweck erfüllt.“
       
       ## Über das Leben lernen
       
       Wenn sie hier Hymnen auf die Künste von Medizinmann Winnenap’ oder der
       Korbflechterin Seyavi singt, klingt ihr Engagement für die Rechte der
       Ureinwohner an. Zugleich dokumentiert sie das traurige Schicksal der Clans,
       „die einst über die Erde herrschten und nun zu bedauernswerten Anhängseln
       verkommen sind“.
       
       Dabei gäbe es von den alten Indianerfrauen so viel „über das Leben zu
       lernen, das in keinen Büchern steht, Märchen, Geschichten über die
       Hungersnot, über Liebe, langes Leid und Sehnsucht, aber ohne Wehklagen“.
       
       Hunter Austin war keine zurückgezogene Eigenbrötlerin, sie bewegte sich im
       Umfeld bedeutender Autor:innen ihrer Zeit, darunter Sinclair Lewis, Jack
       London, Henry James, William Butler Yeats, George Bernard Shaw und Herbert
       George Wells. Sie nahm an [3][Demonstrationen von Suffragetten] teil und
       engagierte sich neben Aktivistinnen wie Emma Goldman für Umwelt und
       Frauenrechte. Dieses Engagement, aber auch ihr Interesse für philosophische
       und spirituelle Fragen prägen ihr Werk.
       
       ## Der moderne Mensch als Tölpel
       
       Die in der großartigen Übersetzung von Alexander Pechmann ebenso poetische
       wie mitreißende Prosa der Amerikanerin ist durchdrungen vom Willen, die
       Welt in all ihrer Brutalität und Schönheit zu erfassen. Stellt sie gerade
       noch nüchtern auf die Regeln der Natur ab, ist sie kurz darauf beseelt von
       der göttlichen Kraft des Lebens.
       
       Nur der moderne Mensch scheint für sie von alldem wenig zu verstehen. Als
       „großer Tölpel“ macht er Lärm und Dreck, versteht nichts vom Leben im
       Einklang mit der Natur.
       
       Wohin diese Lebensart führt, hat Hunter Austin mit geradezu prophetischer
       Genauigkeit vorausgesagt. „In einer Umwelt aus asphaltierten Straßen
       züchten wir ein Volk heran, dessen Glaubensbekenntnis vor allem darin
       besteht, die Lebensweise anderer Menschen einzuschränken“. Ebenso
       hellsichtig wie barmherzig, ist dieses betörende Buch von Mary Hunter
       Austin ein säkulares Gebet an das Mysterium der Welt.
       
       27 Mar 2023
       
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