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       # taz.de -- Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel: Süßes kriegt Saures – könnte wirken
       
       > Experten verwerfen zentrale Einwände gegen Werbeverbote etwa für
       > Süßigkeiten. Solche Einschränkungen könnten zu einer besseren Ernährung
       > beitragen.
       
   IMG Bild: Gummibärchen, Fruchtgummi, Weingummi – dafür sollte kaum noch geworben werden dürfen
       
       Berlin taz | Lebensmittel- und Werbebranche schießen gerade aus allen
       Rohren gegen die von Ernährungsminister Cem Özdemir geplanten
       [1][Werbeverbote für ungesunde Nahrungsmittel]. Der Grüne will, dass
       Werbung für Lebensmittel mit zu viel Salz, Zucker oder Fett von 6 bis 23
       Uhr weder im Fernsehen noch im Hörfunk laufen darf. Auch bei Kinderformaten
       im Internet oder in der Presse sowie auf Werbetafeln etwa in der Nähe von
       Schulen soll sie verboten sein. Überall und immer untersagt werden soll
       Werbung für solche Lebensmittel, wenn sie zum Beispiel mit Kindermotiven
       arbeitet. Das gilt auch fürs Sponsoring etwa von Fußballspielen.
       
       Da die meisten Grenzwerte für Lebensmittel unterhalb von denen der
       Weltgesundheitsorganisation WHO liegen müssten, würden die Werbeverbote
       beispielsweise für Gummibärchen oder Überraschungseier sowie alle anderen
       Süßigkeiten gelten. All das soll laut dem Referentenentwurf von Özdemirs
       Ministerium Kinder davor schützen, zu einer ungesunden Ernährung verleitet
       zu werden, die zu Übergewicht und damit verbundenen Krankheiten beiträgt.
       Hier eine Analyse der wichtigsten Gegenargumente aus der Diskussion.
       
       Behauptung: Werbeverbote würden nicht den Anteil übergewichtiger Kinder
       verringern, sagt der [2][Lebensmittelverband]. Die Lobbyorganisation der
       Nahrungsmittelwirtschaft wendet ein, „dass keine belastbaren
       wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit der Werbebeschränkungen
       auf die Gesamternährung und die Entwicklung von kindlichem Übergewicht
       existieren“. 
       
       Analyse: Ob der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die Techniker
       Krankenkasse, das Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare
       Krankheiten oder die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin – [3][alle
       fordern], Werbung für Lebensmittel mit viel Fett, Zucker oder Salz stark
       einzuschränken. 2020 tat das sogar der [4][Wissenschaftliche Beirat] für
       Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim damals
       noch von der CDU geführten Ministerium.
       
       Sie berufen sich zum Beispiel auf Überblicksstudien wie die eines Teams um
       den britischen Wissenschaftler [5][Simon Russell]. Danach nehmen Kinder
       mehr Kalorien zu sich, wenn sie Werbung für Lebensmittel sehen. Solche
       Ergebnisse hatten einerseits Beobachtungsstudien, bei denen erhoben wurde,
       wie viel entsprechende Werbung und wie viele Kalorien Kinder konsumierten.
       Aber auch in Experimenten zeigte sich, dass Werbung den Konsum erhöht.
       
       Behauptung: Die Beobachtungsstudien sind laut Lebensmittelverband anfällig
       für Verzerrungen der Ergebnisse. Ursache für die Fehlernährung könnten
       statt der Werbung [6][„Lebensstilfaktoren“] sein. 
       
       Analyse: „In den einschlägigen Studien wurde durch die Methodik
       sichergestellt, dass die beobachteten Effekte nicht durch sogenannte
       Störfaktoren wie das soziale Umfeld oder Bildung zu erklären sind“, sagte
       der taz Peter von Philipsborn, Mediziner und Public-Health-Experte an der
       Ludwig-Maximilians-Universität München. Bei Beobachtungsstudien werde der
       Einfluss der Störfaktoren minimiert, indem man zum Beispiel nur Kinder aus
       Haushalten mit ähnlichem Einkommen vergleicht. „Bei den experimentellen
       Studien werden die Probanden zufällig in die Untersuchungs- und die
       Kontrollgruppe eingeteilt.“ Nur die Untersuchungsgruppe sehe die Werbung
       für ungesündere Lebensmittel.
       
       Behauptung: Dass Untersuchungen zufolge das Kaufverhalten bestimmter
       Produkte gesunken ist, sage nichts darüber aus, wie sich das Übergewicht in
       der Bevölkerung entwickelt. „In Großbritannien beispielsweise gibt es
       bereits seit mehr als 15 Jahren Werbeverbote und die Übergewichts- und
       Adipositasraten sind dadurch nicht gesunken“, argumentiert der
       Lebensmittelverband. 
       
       Analyse: „Ohne die Maßnahme hätten sich die Zahlen wahrscheinlich noch
       kritischer entwickelt“, sagt Oliver Huizinga, politischer Geschäftsführer
       der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. „Werbeschranken sind ein zentraler
       Baustein, aber keine Einzelmaßnahme löst die Adipositas-Epidemie mal eben
       in Luft auf.“
       
       Zudem seien die Werbeverbote in Großbritannien ohnehin nicht scharf genug
       gewesen. Sie untersagen Werbung für Lebensmittel mit viel Fett, Zucker oder
       Salz nur dann, wenn das Publikum der betroffenen Medien zu mehr als 25
       Prozent aus unter 16-Jährigen besteht. „Das heißt, dass einige der
       Sendungen, die Kinder am meisten sehen, … nicht von den aktuellen
       Restriktionen erfasst werden“, so das britische [7][Ministerium für
       Digitales], Kultur, Medien und Sport. Zwar werde Kindern weniger Werbung
       für solche Lebensmittel gezeigt, aber „es gibt immer noch Milliarden von
       Kontakten“ dieser Altersgruppe mit diesen Produkten schon allein im
       Fernsehen.
       
       Behauptung: Die WHO habe die Grenzwerte für Fett, Zucker und Salz in einem
       „intransparenten Prozess“ erarbeitet, so der [8][Zentralverband der
       deutschen Werbewirtschaft].
       
       Analyse: Die WHO hat das Modell zusammen mit [9][vielen Mitgliedstaaten]
       entwickelt. Es gab Expertenanhörungen sowie Pilot-Tests in mehreren
       Ländern.
       
       13 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Oezdemir-plant-kein-Werbeverbot-fuer-Milch/!5919718
   DIR [2] https://www.lebensmittelverband.de/de/presse/pressemitteilungen/werbeverbote-lebensmittelverband-fordert-wirksame-statt-symbolischer-massnahmen
   DIR [3] https://adipositas-gesellschaft.de/breites-bundnis-um-starkoch-jamie-oliver-fordert-umfassenden-schutz-von-kindern-gegen-junkfood-werbung/
   DIR [4] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/wbae-gutachten-nachhaltige-ernaehrung.html
   DIR [5] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30576057/
   DIR [6] https://www.lebensmittelverband.de/de/aktuell/20230303-faktencheck-gesetzesvorhaben-fuer-mehr-kinderschutz-in-der-werbung
   DIR [7] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/996232/impact-assessment-hfss-advertising.pdf
   DIR [8] https://zaw.de/fakten-lebensmittelwerbung/
   DIR [9] https://apps.who.int/iris/handle/10665/152779
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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