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       # taz.de -- Vergesellschaftung von Wohnraum: Enteignungsini schafft Zugzwang
       
       > Eine Hamburger Volksinitiative sammelt reichlich Unterschriften zur
       > Enteignung großer Wohnungsunternehmen. Jetzt liegt der Ball bei der
       > Bürgerschaft.
       
   IMG Bild: Vorbild Berlin: Dort sprach sich eine Mehrheit für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen aus
       
       Hamburg taz | Die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ hat die erste Hürde
       im Volksgesetzgebungsverfahren genommen. Sie fordert die Vergesellschaftung
       und Enteignung von großen, profitorientierten Wohnungskonzernen auf
       Grundlage des Artikel 15 des Grundgesetzes. Ihren Vorschlag mit gut 18.000
       Unterschriften übergab sie am Montag dem Senat, der sie an die Bürgerschaft
       zur Entscheidung weiterleitet.
       
       „[1][Hamburg enteignet]“ hat sich 2021 gegründet. Die Aktivist*innen
       reagierten auf den erfolgreichen Volksentscheid von „Deutsche Wohnen & Co
       enteignen“ in Berlin: [2][Mehr als eine Million Wahlberechtigte] stimmten
       für die Enteignung und Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne in der
       Hauptstadt.
       
       In Hamburg wird die Initiative von 150 Mieter*innen und neun
       Stadtteilgruppen getragen. Seit September vergangenen Jahres haben die
       Organisator*innen von „Hamburg enteignet“ Unterschriften gesammelt, um
       dem Berliner Vorbild nahe zu kommen. Weil sie die Marke von 10.000
       Unterschriften geknackt haben, muss sich nun die Bürgerschaft mit ihren
       Forderungen befassen. 120 Tage hat sie Zeit, darüber zu entscheiden.
       
       Ursprünglich plante die Initiative, einen Entwurf für ein
       Vergesellschaftungsgesetz vorzulegen. Wegen möglicher „juristischer
       Fallstricke“ fordert die Initiative jetzt von der Bürgerschaft, eine
       Kommission einzusetzen. Diese soll zu gleichen Teilen aus den
       Organisator*innen von „Hamburg enteignet“ und Mitgliedern der
       Bürgerschaft bestehen. Sie sollen einen gemeinsamen Gesetzentwurf
       erarbeiten. Die Initiative fordert durch eine Anstalt öffentlichen Rechts
       demokratisch verwaltetes Gemeineigentum.
       
       ## Kleine Vermieter außen vor
       
       Wohnungsunternehmen mit mehr als 500 Wohnungen sollen vergesellschaftet
       werden – also Firmen wie Vonovia, Heimstaden oder die Adler Group. Marie
       Kleinert von der Hamburger Initiative sagt: „Was wir beim Unterschriften
       sammeln häufig erklären mussten: Es geht nicht um die Vermieter mit ein
       oder zwei Wohnungen, die für ihr Alter vorsorgen wollen. Das ist total
       verständlich.“ Die Mieter*innen sollten jedoch nicht den Profit der
       Wohnungskonzerne bezahlen.
       
       Das Problem sei, dass in Hamburg vor allem im Luxussegment gebaut werde,
       sagt Kleinert. Bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen sei
       kaum zu finden. Das liege auch daran, dass der rot-grüne Senat zwar hohe
       Wohnungsbauzahlen vorweisen könne. Dabei habe er aber sein Ziel verfehlt,
       ein Drittel der Neubauten als Sozialwohnungen zu errichten. Der Bestand an
       Sozialwohnungen in der Hansestadt schrumpft, weil jedes Jahr [3][mehr
       Sozialwohnungen aus der Preisbindung fallen, als fertiggestellt werden].
       
       In Berlin hat sich gezeigt, dass die Umsetzung der Forderungen
       verfassungsrechtliches Neuland wäre. Im Dezember vergangenen Jahres hat
       eine Expertenkommission zum Volksentscheid einen Zwischenbericht vorgelegt,
       in dem sie die Vergesellschaftung in Berlin als möglich ansieht. Eine
       endgültige Stellungnahme durch die Kommission steht noch aus.
       
       [4][„Hamburg enteignet“ steht in engem Kontakt] mit der Berliner
       Initiative. Sollte die Politik in Berlin weiter untätig bleiben und das
       Abstimmungsergebnis ignorieren, erhofft sich Kleinert „lautstarke Proteste“
       – die auch der Hamburger Initiative dienen würden.
       
       Die mietenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke gratulierte der
       Initiative in der Hamburgischen Bürgerschaft: Bei hunderttausenden
       Mieter*innen in Hamburg wachse die Not und Empörung, denn sie hätten nicht
       nur hohe Mieten zu stemmen, sondern auch explodierende Energiekosten.
       
       Anke Frieling, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion,
       sieht die Forderungen der Initiative dagegen kritisch: Enteignungen oder
       Vergesellschaftungen großer Wohnungsbauunternehmen sorgten nicht für den
       Neubau von günstigen Wohnungen. Wo diese Art von Wohnungsbaupolitik
       hinführe, könne man in sozialistischen Ländern beobachten.
       
       Auch der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen lehnt die Enteignung von
       Wohnungsunternehmen ab. Durch Enteignung entstehe nicht eine einzige neue
       Wohnung.
       
       Die Initiative „Hamburg enteignet“ ist bereit, den nächsten Schritt zu
       gehen, sollte sich die Bürgerschaft nicht mit ihrer Forderung nach einer
       Kommission befassen wollen. Sie würde ein Volksbegehren einläuten, wofür
       sie die Stimmen von einem Zwanzigstel der Wahlberechtigten bräuchte –
       innerhalb eines Monats.
       
       Über die dafür notwendigen Stimmen macht sich Kleinert keine Sorgen. Immer
       mehr Menschen interessierten sich für ihr Projekt. Vorerst sagt sie aber:
       „Wir sind gespannt auf die Antwort!“ Der letzte Schritt wäre ein
       Volksentscheid, mit dem 2025 zur Bürgerschafts- oder Bundestagswahl
       gerechnet werden könnte.
       
       14 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Berlin-als-Vorbild/!5877683
   DIR [2] /Enteignungsvolksentscheid-in-Berlin/!5803784
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   DIR [4] https://hamburg-enteignet.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Spannuth
       
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