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       # taz.de -- Tötung eines Mädchens in Freudenberg: Verdächtigte Mädchen ohne Strafe
       
       > Die 12-jährige Luise wurde von zwei gleichaltrigen Mädchen erstochen.
       > Diese sind noch nicht strafmündig. Die AfD fordert eine Änderung des
       > Strafrechts.
       
   IMG Bild: Fundort des ermordeten zwölfjährigen Mädchens
       
       Karlsruhe taz | Die Tötung eines Mädchens in Freudenberg (NRW) wird keine
       strafrechtlichen Folgen haben. Am vergangenen Samstag kam die 12-jährige
       Luise nicht nach Hause. Am nächsten Tag wurde ihre Leiche gefunden. Luise
       war mit zahlreichen Messerstichen getötet worden. Inzwischen haben zwei
       Mädchen, 12 und 13 Jahre alt, die Tat gestanden. Eine von ihnen war nach
       Medienberichten die beste Freundin von Luise, sie hatten zusammen den Tag
       verbracht.
       
       Zum Motiv der Tat sagten die Ermittler:innen bisher nur, dass
       „Emotionen“ im Spiel waren und: „Was für Kinder möglicherweise ein Motiv
       ist für eine Tat, würde sich einem Erwachsenen möglicherweise nicht
       erschließen.“
       
       Strafrechtlich müssen die beiden Mädchen nichts befürchten: „Schuldunfähig
       ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist“, heißt es
       in Paragraf 19 des Strafgesetzbuchs. Es wird unterstellt, dass Kinder und
       Jugendliche erst ab diesem Alter in der Lage sind, das Unrecht von
       Straftaten einzusehen.
       
       ## „Unerträglich“, dass keine Sanktionen möglich sind
       
       Der AfD-Rechtspolitiker Stephan Brandner forderte inzwischen eine Änderung
       des Strafrechts. Es sei „unerträglich“, dass hier keine strafrechtlichen
       Sanktionen möglich sind. Die AfD fordere schon seit Jahren, den Beginn der
       Strafmündigkeit auf 12 Jahre zu senken. Justizminister Marco Buschmann
       (FDP) sah dagegen keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
       
       Angesichts der sehr ungewöhnlichen Konstellation ist die Debatte noch
       zurückhaltend. Aber auch die CSU-Landesgruppe fasste 2019 einen
       entsprechenden Beschluss. Und die Deutsche Polizeigewerkschaft (im
       Beamtenbund) trommelt schon lange für eine frühere Strafmündigkeit.
       
       Dass Kinder unter 14 Jahren vom Strafrecht verschont werden, gilt in
       Deutschland schon seit 1923, zuvor lag die Strafgrenze bei 12 Jahren. Die
       Festlegung solcher Strafgrenzen entspringt allerdings eher politischen
       Kompromissen als wissenschaftlich eindeutigen Erkenntnissen über
       Einsichtsfähigkeit und Reife. Zur Weimarer Zeit etwa endete mit 14 Jahren
       die Schulpflicht, was man damals für einen guten Anhaltspunkt hielt. 1980
       forderten die Jugendminister der Länder sogar eine Anhebung auf 16 Jahre.
       
       ## In den Niederlanden oder Irland gelten 12 Jahre
       
       In anderen EU-Staaten liegt die Strafmündigkeit in der Regel zwischen 14
       und 15 Jahren, ergab 2019 eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes
       des Bundestags. Es gibt aber auch Ausreißer nach unten, etwa die
       Niederlande und Irland mit einer Strafmündigkeit von 12 Jahren. In
       Großbritannien und der Schweiz liegt die Grenze sogar bei nur 10 Jahren. In
       Deutschland nimmt die Polizei auch gegen verdächtige Kinder unter 14 Jahren
       erst mal Ermittlungen auf. Sie kann diese mit auf die Wache nehmen,
       erkennungsdienstlich behandeln, die Zimmer durchsuchen. Erst die
       Staatsanwaltschaft stellt dann die Ermittlungen ein.
       
       Auch Maßnahmen der Jugendhilfe sind möglich. So können Kinder, die für sich
       oder andere eine Bedrohung sind, in geschlossenen Einrichtungen
       untergebracht werden. Wenn die Eltern erzieherisch versagt haben, ist der
       Entzug des Sorgerechts und die Unterbringung im Heim oder einer
       Pflegefamilie möglich. Im Jugendstrafrecht steht zwar immer noch die
       Erziehung im Vordergrund, doch spielt ab 14 Jahren auch die Sühne von
       Schuld eine Rolle. Bei einem Mord sind Jugendstrafen bis zu zehn Jahren
       möglich.
       
       15 Mar 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
       ## TAGS
       
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