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       # taz.de -- Bayerisches Urteil im Kirchenasylprozess: Absolution für Mutter Mechthild
       
       > Weil sie Geflüchtete in ihrem Kloster aufnahm, musste Äbtissin Mechthild
       > Thürmer in Bayern vor Gericht. Doch nun wurde das Verfahren eingestellt.
       
   IMG Bild: Ist sich keiner Schuld bewusst: Äbtissin Mechthild Thürmer
       
       Bamberg taz | [1][Mutter Mechthild] muss nicht ins Gefängnis. Der Satz
       klingt für jeden, der sie einmal kennengelernt hat, wie eine
       Selbstverständlichkeit und ist es dennoch nicht. Denn als die ganze
       Angelegenheit losging, hatte ein Amtsrichter der Nonne durchaus zu
       verstehen gegeben, dass sie mit einer „empfindlichen Freiheitsstrafe“ zu
       rechnen habe, wenn sie nicht Vernunft annehme und einen Strafbefehl über
       2.500 Euro akzeptiere. Dafür, dass sie drei Frauen in Not geholfen hatte.
       Doch das, was der Richter für Vernunft hielt, wollte Mutter Mechthild nun
       wirklich nicht annehmen.
       
       Doch der Reihe nach: Mutter Mechthild, die mit bürgerlichem Namen Anna
       Thürmer heißt, ist [2][Äbtissin des Klosters Maria Frieden im
       oberfränkischen Kirchschletten] und hat dort schon Dutzenden von
       Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt. Wegen drei der Fälle musste sie sich nun
       vor dem Amtsgericht Bamberg verantworten. Der Vorwurf: Beihilfe zum
       unerlaubten Aufenthalt.
       
       Die drei Frauen kamen aus Eritrea, Nigeria und dem Irak und hätten in den
       Jahren 2018 bis 2020 gemäß dem Dublin-Verfahren nach Italien
       beziehungsweise Rumänien abgeschoben werden sollen. Dieser Plan des
       Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wurde durch die von Mutter
       Mechthild gewährte Kirchenasyle vereitelt.
       
       Die Bamberger Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Strafbefehl argumentiert,
       die Äbtissin habe sich strafbar gemacht, weil sie das Kirchenasyl jeweils
       auch dann fortgesetzt habe, nachdem das Bamf ihr mitgeteilt habe, dass eine
       Härtefallprüfung nicht mehr in Betracht komme oder abschlägig beschieden
       worden sei.
       
       ## Schicksale zum Erbarmen
       
       Als es am Dienstag schließlich zur Verhandlung kommt, lässt sich die Sache
       jedoch anders an. Der Staatsanwalt verliest zwar die ursprünglichen
       Vorwürfe, bringt aber dann sofort eine Einstellung des Verfahrens ins
       Spiel. Als unter Umständen tatsächlich strafbar betrachtet er nunmehr nur
       noch den Fall der Nigerianerin, da in diesem Fall das Bamf schon vor Beginn
       des Kirchenasyls abgelehnt habe, die Frau als Härtefall einzustufen und von
       einer Abschiebung abzusehen. Dass sie das allerdings gewusst habe, so räumt
       der Staatsanwalt ein, sei der Äbtissin nicht nachzuweisen. In der Tat gibt
       Mutter Mechthild an, davon keine Kenntnis gehabt zu haben.
       
       Überhaupt ist sich die 64-Jährige keiner Schuld bewusst. Sie habe bei jedem
       Kirchenasyl immer das Okay der Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz
       für Kirchenasyl bekommen und sei der Ansicht, alle Vorschriften eingehalten
       zu haben, erzählt sie dem Gericht. „Da wäre ich nie draufgekommen, dass es
       illegal ist, wenn die öffentlichen Stellen es wissen.“
       
       Und die Schicksale der Frauen seien tatsächlich zum Erbarmen gewesen. Die
       nigerianische Geflüchtete sei bereits dreimal zurück nach Italien und
       einmal sogar vor dort zurück nach Libyen gebracht worden. In Italien sei
       sie vergewaltigt worden, habe unter Brücken schlafen müssen. Auch in Libyen
       sei sie vergewaltigt, mit HIV infiziert und misshandelt worden, ihr
       Oberkörper sei mit den Narben von Messerstichen übersät gewesen.
       
       Sie habe die Hoffnung gehabt, dass die Frauen im Kloster sich erst mal
       etwas hätten erholen können, um dann bei einer neuen Bamf-Anhörung
       vielleicht noch einmal eine Chance zu bekommen. Schließlich sei es den
       Frauen auch nicht leicht gefallen, all die traumatischen Erlebnisse zu
       berichten. Gerade in einer Anhörungssituation mit anwesenden Männern sei
       dies besonders schwierig.
       
       ## Kirchenasyl ad absurdum geführt
       
       Der Sachverhalt ist freilich nicht neu. Dass von Seiten des Staatsanwalts
       nun von Strafe keine Rede mehr ist, hat einen anderen Grund: Im vergangenen
       Jahr [3][hat das Landgericht Würzburg die Verurteilung einer
       Franziskanerschwester aufgehoben], die zwei Nigerianerinnen Kirchenasyl
       gewährt hatte.
       
       Kurz zuvor hatte das Bayerische Oberste Landesgericht in Bamberg den
       Freispruch eines Benediktinermönchs bestätigt, bei dem ein Flüchtling aus
       dem Gazastreifen Zuflucht gefunden hatte. Es war das erste
       letztinstanzliche Urteil zur Strafbarkeit von Kirchenasyl in Bayern, wo die
       Staatsanwaltschaften in den vergangenen Jahren besonders rigoros gegen
       Kirchenangehörige vorgegangen waren. Das OLG war zu der Auffassung gelangt,
       dass der Mönch sich strikt an eine Vereinbarung zwischen Kirchen und Staat
       aus dem Jahr 2015 gehalten hatte.
       
       Nach diesen beiden Urteilen war kaum mehr vorstellbar, dass das Amtsgericht
       Bamberg im Verfahren gegen Mechthild Thürmer auf einer Strafe beharren
       könnte. Denn auch Mutter Mechthild hatte sich an die Vereinbarung gehalten,
       in der das Bamf den Kirchen zusicherte, das Kirchenasyl zur respektieren.
       Diese versprachen im Gegenzug, alle Fälle zu melden und nur in Härtefällen
       Kirchenasyl zu gewähren, um hier neue Einzelfallprüfungen zu erreichen.
       Anfangs lief dieses Prozedere relativ reibungslos, doch dann ging das Bamf
       dazu über, die Fälle nur noch pro forma zu prüfen und fast immer an den
       ursprünglichen Entscheidungen festzuhalten.
       
       In diesen Fällen erwartete man dann, dass die Pfarrer oder
       Ordensangehörigen ihre Schützlinge nach spätestens drei Tagen wieder aus
       ihren Räumlichkeiten verjagten, um eine Abschiebung zu ermöglichen. Eine
       einseitige Vorgabe, die nicht von der Vereinbarung von 2015 gedeckt war und
       überdies den Gedanken des Kirchenasyls ad absurdum führte. Im Prozess gegen
       den Benediktinermönch hatte das OLG denn auch explizit festgestellt, dass
       es für die Aufnehmenden keine Pflicht gebe, ein Kirchenasyl aktiv zu
       beenden.
       
       Auch Amtsrichter Thomas Fahr, das ist der Mann, der Mutter Mechthild die
       Freiheitsstrafe angedroht hat, unterstützt nun in der Verhandlung den
       Antrag der Staatsanwaltschaft, das Verfahren nach Paragraf 153 Absatz 2 der
       Strafprozessordnung einzustellen. Verteidiger Franz Bethäuser hätte zwar
       einen Freispruch bevorzugt, da im Paragraf 153 immerhin doch von einer zu
       erwartenden „geringen Schuld“ die Rede ist, zu guter Letzt einigt man sich
       dann aber doch auf die Einstellung. „So, das war’s dann“, beschließt der
       Richter die Sitzung. Und als die Äbtissin ihm zum Abschied noch die Hand
       gibt, fügt er hinzu: „Es war nicht böse gemeint.“
       
       1 Mar 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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