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       # taz.de -- Strengere Auflagen für Schiffe: Vorstoß gegen Seenotrettung
       
       > Das Verkehrsministerium plant schärfere Anforderungen an die Sicherheit.
       > NGOs befürchten hohe Kosten für die Umrüstung ihrer Rettungsboote.
       
   IMG Bild: Ein Helfer des Open-Arms-Rettungsboots Astral nähert sich einem havarierten Holzboot vor der italienischen Küste
       
       Berlin taz | Das FDP-geführte Verkehrsministerium will die
       Sicherheitsanforderungen für kleine Schiffe verschärfen. Alle
       Wasserfahrzeuge in einer Länge von 24 bis 35 Metern sollen künftig wie
       große Frachtschiffe behandelt werden – und deshalb unter anderem ein
       sogenanntes Schiffssicherheitszeugnis vorlegen müssen. Das geht aus einem
       Referentenentwurf des Bundesverkehrsministeriums hervor. Bisher waren unter
       anderem Rettungsschiffe in dieser Größe von diesen Auflagen ausgenommen.
       
       Sieben deutsche Seenotrettungs-NGOs protestierten scharf gegen den am
       Dienstag bekannt gewordenen Entwurf. Sie befürchten erhebliche Mehrkosten
       für Umbau, neue Brandschutzanforderungen, Rettungsmittel, Funkausrüstung
       und die technische Überwachung der Schiffe.
       
       „Für die Mehrheit der zivilen Seenotrettungsschiffe unter deutscher Flagge
       wird diese Verordnung bedeuten, dass sie ihre lebensrettende Arbeit
       einschränken oder einstellen müssen“, heißt es in einer Erklärung der NGOs
       Mare*GO, Mission Lifeline, r42-sailtraining, Resqship, Sarah Seenotrettung,
       Sea-Eye und Sea-Watch. Die Änderungen stellten einen Bruch [1][des
       Ampel-Koalitionsvertrags dar, nachdem zivile Seenotrettung „nicht
       behindert“ werden darf].
       
       Ähnliche Vorstöße des Ex-CSU-Verkehrsministers Andreas Scheuer seien „zu
       Recht aus den Reihen der heutigen Bundesregierung scharf kritisiert
       worden“. Das Bundesverkehrsministerium hatte bereits 2019 unter Scheuer
       versucht, Seenotrettungsschiffen unter deutscher Flagge auf gleiche Weise
       zu behindern. In der Folge wurde ein Schiff der NGO Mare Liberum
       festgesetzt. Eine Klage dagegen war allerdings erfolgreich.
       
       ## Die Neuregelung werde Menschen das Leben kosten
       
       Heute vergrößere die Ampel mit den geplanten Neuregelungen die „drastische
       Rettungslücke im Mittelmeer bewusst“, so die Stellungnahme der zivilen
       Retter. „In Abwesenheit einer staatlichen Rettungsoperation und sicherer
       und legaler Fluchtwege werden den Preis für die geplanten Rechtsänderungen
       Menschen auf der Flucht mit ihrem Leben bezahlen.“
       
       Das Ministerium weist die Vorwürfe zurück. Auf eine taz-Anfrage sagte ein
       Sprecher, das Vorhaben ziele „nicht auf die Behinderung von privater
       Seenotrettung im Mittelmeer ab, sondern es geht im Gegenteil darum, deren
       Arbeit abzusichern.“ Sicherheitsmängel der eingesetzten Schiffe sollen
       verhindert werden und damit der „Schutz von Leib und Leben gewährleistet“
       werden.
       
       Untersuchungen von Seeunfällen hätten mehrfach gezeigt, dass es leicht zu
       Unfällen mit Lebensgefahr kommen könne. Das gelte vor allem für kleine
       Schiffe und Boote, wenn diese über eine längere Zeit auf hoher See
       operieren und bei schwierigen Wetterlagen „bis zur Kapazitätsgrenze eine
       Vielzahl von entkräfteten, traumatisierten und nicht schwimmfähigen
       Personen aufnehmen“.
       
       Anfang Dezember seien die NGOs zu einem „persönlichen Austausch auf
       Arbeitsebene“ eingeladen worden. Übergangs- und Ausnahmeregelungen sollen
       nun „gemeinsam mit den betroffenen Organisationen auf Arbeitsebene
       erörtert“ werden, so das Ministerium.
       
       ## Grüne pochen auf Einhaltung des Koalitionsvertrags
       
       Der grüne EU-Parlamentarier Erik Marquardt kritisiert das Vorhaben scharf.
       Gegenüber dem ARD-Magazin Monitor sagte er: „Wir werden uns als Partei,
       natürlich auch als Regierungsfraktion dafür einsetzen, dass der
       Koalitionsvertrag eingehalten wird. Und diese Schiffe zu behindern wäre ein
       ganz klarer Angriff auf die zivile Seenotrettung.“
       
       Auch Hakan Demir, SPD-Bundestagsabgeordneter und Berichterstatter seiner
       Fraktion für internationales Flüchtlingsrecht, erklärte, das
       Verkehrsministerium dürfe die vereinbarte Unterstützung für Seenotrettung
       „nicht torpedieren“. Man könne nicht hinnehmen, dass zivilen
       Seenotrettungsorganisationen große Hürden auferlegt werden.
       
       In den ersten zwei Monaten des Jahres sind 327 Menschen auf der Flucht im
       Mittelmeer ertrunken, zuletzt rund 60 bei einem Schiffsunglück vor der
       Küste des italienischen Crotone. Die italienische Regierung hatte zuletzt
       mit einem Dekret [2][eine Reihe von Auflagen erlassen], die die Arbeit der
       rund einem Dutzend privater Seenot-NGOs im Mittelmeer – darunter viele aus
       Deutschland – stark erschwert. Die Bundesregierung hatte in der
       Vergangenheit mehrfach erklärt, die Seenotretter unterstützen zu wollen,
       und unter anderem pro Jahr bis 2026 zwei Millionen Euro an Zuschüssen für
       diese zugesagt.
       
       1 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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   DIR Christian Jakob
       
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