URI: 
       # taz.de -- Handelsexperte über EU-Afrika-Beziehung: „Die EU sollte Afrika in Ruhe lassen“
       
       > Die Wirtschaftsabkommen zwischen EU und afrikanischen Regionalblöcken
       > schaden dem Projekt einer Afrikanischen Freihandelszone, sagt Boniface
       > Mabanza.
       
   IMG Bild: Der Anbau von Schnittblumen in Kenia für den europäischen Markt verbraucht viel Wasser und Energie
       
       taz: Herr Mabanza, die EU möchte die sogenannten EPAs, die Handels- und
       Investitionsabkommen zwischen der EU und afrikanischen Ländern,
       überarbeiten. Wie finden Sie das? 
       
       Boniface Mabanza: Die Länder Afrikas brauchen die EPAs nicht. Man sollte
       sie einfrieren – keine neuen Verhandlungen, keine Vertiefung. In 10, 15
       Jahren könnten die EU und die afrikanischen Länder dann evaluieren, auf
       welcher Grundlage sie ihre Beziehungen weiterführen. Bis dahin wäre es noch
       möglich, eine Ausnahmeregelung bei der Welthandelsorganisation zu bekommen
       …
       
       … eine Regelung, die es afrikanischen Staaten erlaubt, Zölle auf Importe zu
       erheben, auch wenn ihre Exportprodukte umgekehrt keinen oder nur geringeren
       Zöllen ausgesetzt sind? 
       
       Dabei geht es darum, afrikanische Märkte aufgrund der Asymmetrie der
       Kräfteverhältnisse besser zu schützen. Südafrika ist ein gutes Beispiel.
       Als Teil der Regionalorganisation für das südliche Afrika – SADC – schloss
       es wie fünf andere Mitgliedstaaten mit der EU das erste regionale
       Partnerschaftsabkommen ab. Dieses läuft seit fünf Jahren. Doch das Abkommen
       ist ein Instrument, um partikulare Interessen einer sehr kleinen
       exportorientierten Gruppe zu fördern. Der Exportmarkt ist bestimmt von weiß
       dominierten Farmen, die Früchte, Ethanol oder Wein für den europäischen
       Markt produzieren. Das hat mit den Lebenswirklichkeiten der meisten
       Menschen in Südafrika nichts zu tun. Sie würden in erster Linie für den
       lokalen Markt produzieren, wenn sie Zugang zu Land bekämen. Aber in der
       Konkurrenz mit ausländischen Produkten hätten und haben sie keine Chance.
       
       Haben Sie ein Beispiel? 
       
       Südafrikas Fleischindustrie hat die Konkurrenz von subventionierten
       Importen aus der EU, aber auch aus anderen Weltregionen wie Brasilien und
       den USA massiv geschadet. Viele Unternehmen haben ihre Produktion
       reduziert, Arbeitsplätze sind bedroht. Südafrika darf keine hohen Zölle auf
       Fleischimporte aus Europa erheben aufgrund des
       Wirtschaftspartnerschaftsabkommens.
       
       Aber die EPAs erlauben doch auch Schutzmaßnahmen. 
       
       Theoretisch gibt es Schutzmaßnahmen. Eine davon hat Südafrika genutzt und
       die Importzölle für Hühnerteile aus der EU erhöht. Die EU drohte daraufhin
       mit Sanktionen und schaltete das zuständige Schiedsgericht ein, das dann zu
       ihren Gunsten entschied. Also: In der Praxis funktionieren die
       Schutzmechanismen nicht.
       
       Führen die EPAs denn wenigstens zu mehr Export? 
       
       Das war das Versprechen. Die EU-Kommission bediente das Narrativ, die EPAs
       seien ein Instrument der Entwicklung. Im Vergleich zwischen Ländern, die
       die EPAs unterzeichnet haben, und solchen, die nicht Teil der Abkommen
       sind, kann man nicht sagen, dass die mit Verträgen besser dastehen.
       Mosambik und Sambia haben einen etwa ähnlichen Status, doch betreibt
       Mosambik nach Unterzeichnung der EPAs immer noch nicht mehr Handel als
       Sambia, das keine Abkommen hat. Unsere Beobachtungen sind, dass die meisten
       Länder nicht die Produktionskapazitäten oder Instrumente haben, um von
       diesen Abkommen wirklich Gebrauch zu machen. Die alten Handelshemmnisse,
       die dazu führten, dass diese Länder wenig in die EU exportieren konnten,
       bleiben bestehen.
       
       Welche Handelshemmnisse meinen Sie damit? 
       
       Es geht vor allem um nichttarifäre Barrieren wie sanitäre oder
       Verpackungsstandards.
       
       Was ist die Lösung? Keine Gesundheitsstandards? 
       
       Nein, wo hygienische Standards wirklich dazu dienen, die Gesundheit der
       Konsumentinnen zu schützen, wäre ich der Letzte, der dafür eintreten würde,
       sie abzuschaffen. Viele Studien, auch solche von der UN-Kommission für
       Afrika, zeigen aber, dass diese nichttarifären Standards mittlerweile
       genutzt werden, um protektionistisch zu agieren. Sie werden sozusagen
       instrumentalisiert, um bestimmte Produkte vom eigenen Markt auszusperren.
       Sie stellen besonders für kleine Unternehmen ein Hemmnis dar, die keine
       Kapazitäten haben nachzuweisen, dass sie die definierten Kriterien
       erfüllen. Aber auch die Ursprungsregeln sind ein Problem.
       
       Das müssen Sie erklären. 
       
       Angenommen, Sie produzieren eine Schokolade für den europäischen Markt und
       Sie selbst können die Verpackung nicht in Afrika produzieren. Sie
       importieren sie aus China oder Indien. Hinzu kommt Milch, vielleicht aus
       Brasilien. Dann gilt das Produkt nicht mehr als afrikanisch und verliert
       den präferenziellen Tarifzugang zum europäischen Markt. Hier bräuchte es
       einfachere und flexiblere Regeln, die dem unterschiedlichen
       Industrialisierungs- und Diversifizierungsgrad zwischen der EU und Afrika
       gerecht werden.
       
       Sie sagen, die EPAs spalten den afrikanischen Kontinent. 
       
       Es wird quasi ein [1][Flickenteppich unterschiedlicher Handelsregime] in
       Afrika mit unterschiedlichen Marktzugängen und Schutzmechanismen etabliert.
       Gerade ist der Kontinent in einer neuen Phase. Die Länder Afrikas wollen
       mehr Handel unter sich treiben. [2][Es wird an der panafrikanischen
       Freihandelszone gearbeitet.] Das ambitionierte Ziel ist, dass der
       Binnenhandel in den nächsten 25 Jahren einen Anteil von 50 bis 75 Prozent
       am Gesamthandel erreicht. Dafür muss die Produktivität erhöht werden. Die
       Voraussetzungen dafür müssen in Afrika selbst erfüllt werden, etwa im
       Bereich der Infrastruktur, der Energieproduktion oder bei der beruflichen
       Bildung, um qualifizierte Arbeiter:innen zu haben. Damit der
       Binnenhandel in Afrika gelingen kann, müssen also die EU und andere
       Wirtschaftsräume aufhören, dort zu stören.
       
       Stichwort Energie. Die EU geht gerade viele Energiepartnerschaften mit
       afrikanischen Ländern ein. 
       
       Schon wieder werden afrikanische Länder in die Interessen der EU
       eingewickelt. Es ist schon pervers, wenn europäische Unternehmen in ein
       Land [3][wie Namibia] gehen und dort Ressourcen verbrauchen, um Energie zu
       produzieren für den Export. Angesichts der Energiearmut in vielen
       afrikanischen Ländern ist das problematisch. Also: Werden die Exporte
       privilegiert oder gehört es prioritär zu diesen Projekten dazu, erst die
       Energiebedürfnisse in Afrika zu befriedigen?
       
       Wirtschaftsminister Robert Habeck sagt, es sollen erst die Bedürfnisse vor
       Ort befriedigt werden. 
       
       Ja, das will ich glauben. Logisch wäre, zu realisieren, dass wir diese
       Diskussion führen, weil die EU für ihre Energietransition Energie aus
       Afrika braucht. Die Frage ist aber, wie die EU und Afrika beide davon
       profitieren können. Es wäre an der Zeit, die Wertschöpfungsketten von
       Europa nach Afrika zu verschieben. Das heißt, man produziert nicht Energie
       für Europa, sondern man produziert Energie in Afrika für Afrika – und die
       Technologie und Infrastruktur, derer es für die Verarbeitung von weiteren
       Rohstoffen bedarf, werden nach Afrika transferiert. Es macht doch Sinn, die
       Produktion dahin zu bringen, wo die Rohstoffe und die Energiequellen sind –
       anstatt in einem sehr komplizierten Verfahren Wasserstoff zu verflüssigen,
       um ihn nach Europa zu transportieren [4][und dann wiederum mit Energie zu
       konvertieren]. Diese Debatte wird nicht geführt.
       
       Es gibt durchaus eine Debatte dazu, mehr Produktion in Afrika zu
       unterstützen, aber sie ist tatsächlich immer noch exportorientiert. 
       
       Das ist genau der Punkt. Ich meine eben nicht die Einbettung der
       afrikanischen Ökonomien in globale Lieferketten. Also dass mehr Produkte
       oder Zwischenprodukte vor Ort für den Export hergestellt werden, was zum
       Teil jetzt in China geschieht. Die panafrikanische Freihandelszone wird nur
       funktionieren, wenn sie von unten getragen wird und eine organische
       Komplementarität ermöglicht.
       
       Was genau heißt das? 
       
       Es bedeutet, dass sich die Ökonomien des Kontinents nicht an den externen
       Bedürfnissen orientieren, sondern von den jeweils lokalen Bedürfnissen
       ausgehen. Diese sollten idealerweise von den Nachbarregionen befriedigt
       werden. Zum Beispiel: Aktuell ist es etwa in Kenia so, dass viel Wasser und
       Flächen für den Anbau von Schnittblumen genutzt werden, die nach Europa
       transportiert werden. Die Frage müsste sein, was wäre die beste Nutzung
       dieser Ressourcen Land und Wasser für die Bevölkerung in Kenia? Alles
       andere schafft nur Abhängigkeiten.
       
       Die EU betont, sie will Partnerschaft auf Augenhöhe. Wie würde das
       aussehen? 
       
       Wenn die EU anfängt, über die eigenen Interessen und nicht über die
       afrikanischen Interessen zu sprechen, dann wären die Transparenz und
       Ehrlichkeit da, die notwendig sind, um an einem Ausgleich von Interessen zu
       arbeiten. Es bedeutet für die EU auch, die afrikanischen Länder mal in Ruhe
       zu lassen, damit sie ihre eigenen Strukturen aufbauen können.
       
       Welche Rolle kann die EU bei der Gestaltung einer afrikanischen
       Freihandelszone spielen? 
       
       Die EU und einige ihrer Mitgliedstaaten stecken gerade viel Energie und
       Geld in die Beratung zur Festlegung von Verfahren und Standards für die
       afrikanische Freihandelszone. Das ist der falsche Ansatz, weil sie sich auf
       Schritte konzentrieren, die am Ende des Integrationsprozesses stehen
       sollten. Darüber hinaus kann so ein Ansatz eine Liberalisierungsagenda
       beschleunigen, von der sie selbst profitieren werden. Meiner Meinung nach
       sollte die EU sich darauf konzentrieren, die Schaffung der Voraussetzungen
       zu begleiten, die entscheidend sind, damit eine kontinentale Integration
       von unten gelingen kann.
       
       5 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Freihandel-EU-Afrika/!5371866
   DIR [2] /Panafrikanisches-Freihandelsabkommen/!5605318
   DIR [3] /Energiekooperation-mit-Namibia/!5896715
   DIR [4] /Oeko-Energie-zu-teuer/!5912869
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leila van Rinsum
       
       ## TAGS
       
   DIR Freihandel
   DIR Wirtschaftsabkommen
   DIR EU
   DIR Afrika
   DIR EPA
   DIR China
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR EU
   DIR Entwicklungspolitik
   DIR Energiekrise 
   DIR Wasserstoff
   DIR Entwicklungspolitik
   DIR Afrika
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Geld aus China, Rohstoffe aus Afrika: Speeddating mit Xi Jinping
       
       Beim China-Afrika-Gipfel hofiert Präsident Xi Jinping die afrikanischen
       Staats- und Regierungschefs und inszeniert sein Regime als größten Freund.
       
   DIR Deutsche Importstrategie für Wasserstoff: Produktion im Herzen Afrikas
       
       Um bis 2045 klimaneutral zu werden, setzt Deutschland auf Wasserstoff. Der
       soll unter anderem aus Namibia kommen. Das geht nicht ohne Verwerfungen.
       
   DIR Staatssekretär über Abkommen mit Kenia: „Wir wollen Wertschöpfung vor Ort“
       
       Kenia und die EU beschließen ein gemeinsames Handelsabkommen. Vor allem die
       Klimaschutzziele seien vorbildlich, sagt Staatssekretär Jochen Flasbarth.
       
   DIR EU-Plan für Entwicklungsländer: Zollbonus für Rücknahme Geflüchteter
       
       Der Europäische Rat und die Kommission wollen Zollbegünstigungen an die
       Rücknahme Geflüchteter koppeln. Das Parlament ist empört.
       
   DIR Irland als Zentrum für grünen Wasserstoff: Der Stoff von der Insel
       
       Ökowasserstoff gilt als Hoffnungsträger für die Wirtschaft der Zukunft.
       Auch deshalb wollen Berlin und Dublin künftig enger zusammenarbeiten.
       
   DIR Co-Chefin des Club of Rome über Europa: „Ich nenne das neokolonial“
       
       Mamphela Ramphele ist die Vorsitzende des Club of Rome. Sie kritisiert,
       dass der Green Deal der Europäer koloniale Strukturen nicht aufbricht.
       
   DIR Entwicklungspolitik: Deutschlands neue Afrika-Strategie
       
       Früher galt das investorenfreundliche „Fördern und Fordern“ in der
       Entwicklungspolitik. Was haben die Ampelparteien vor?
       
   DIR Panafrikanisches Freihandelsabkommen: Made in Africa
       
       Am Wochenende soll das Freihandelsabkommen zwischen den 55 Staaten in Kraft
       treten. Auch das Schwergewicht Nigeria ist nach langem Zögern dabei.