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       # taz.de -- Berlin vor schwarz-roter Regierung: Die SPD wechselt die Seiten
       
       > Der Berliner Parteivorstand spricht sich nach langer Debatte für
       > Koalitionsverhandlungen mit der CDU aus. Auch die Union favorisiert wohl
       > Schwarz-Rot.
       
   IMG Bild: Protest am Mittwochabend vor der SPD-Parteizentrale
       
       Berlin taz | Berlin droht nach 2011 erneut eine Koalition aus CDU und SPD.
       Zumindest die Berliner Sozialdemokraten haben am Mittwochabend den Weg
       dafür auch offiziell frei gemacht. Der Parteivorstand entschied mit 25 zu
       12 Stimmen, entsprechende Verhandlungen mit dem Wahlsieger CDU aufnehmen zu
       wollen.
       
       „Wir gehen einen Weg, der dem Wahlergebnis mehr Rechnung tragen kann“,
       sagte im Anschluss an die Sitzung [1][Franziska Giffey, SPD-Parteichefin
       und noch Regierende Bürgermeisterin]. Sie fügte hinzu: „Wir haben
       festgestellt, dass es große inhaltliche Schnittmengen mit der CDU gibt und
       ein großes Entgegenkommen für unsere Themen.“
       
       Giffey verzichtet damit perspektivisch auch auf ihr Amt als
       Regierungschefin: „Ich habe mich entschieden, meinen persönlichen Beitrag
       zu leisten. Ich mache das für Berlin und für die SPD.“ Sie stehe aber
       weiterhin als Senatorin zur Verfügung, wenn die Partei dies wolle.
       
       Nächster Regierender Bürgermeister würde dann CDU-Spitzenkandidat und
       Landeschef Kai Wegner. Seine Partei hatte die Wiederholungswahl am 12.
       Februar mit 28,2 Prozent klar gewonnen. SPD und Grüne landeten, mit
       lediglich 53 Stimmen Unterschied, auf Platz zwei und drei. Die CDU hat
       zuletzt 2001 mit Eberhard Diepgen den Regierenden Bürgermeister gestellt.
       
       Dass es zu Verhandlungen zwischen SPD und CDU kommt, ist nur noch
       Formsache. Die Union will zwar erst am Donnerstagnachmittag entscheiden,
       mit wem sie Koalitionsgespräche beginnt. Allerdings hat sich Wegner nach
       übereinstimmenden Medienberichten vom Mittwochabend ebenfalls für
       Verhandlungen mit der SPD ausgesprochen. Vom Tisch scheint damit eine
       Fortsetzung des bisherigen rot-grün-roten Bündnisses, das trotz Verlusten
       eine deutlich größere Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus gehabt hätte
       als Schwarz-Rot.
       
       Der Beschluss der SPD war umstritten: Das rund 40-köpfige Gremium tagte gut
       vier Stunden lang. „Wir hatten eine intensive und lange Debatte, geprägt
       von Zusammenstehen und Zuhören“, sagte Raed Saleh, Co-Landeschef der
       Partei. In geheimer Abstimmung hätte dann eine Mehrheit von zwei Dritteln
       für Gespräche mit der CDU gestimmt.
       
       Er selbst, so Saleh am Rande, habe lange mit sich gerungen, ob eine
       Koalition mit den Christdemokraten der richtige Weg sei. „Wir haben viele
       Jahre gut mit Linken und Grünen zusammengearbeitet“, betonte Saleh, der
       auch Fraktionschef ist. Er verwies auf die Zeit der schwierigen
       SPD-CDU-Koalition von 2011 bis 2016. „Das waren auch keine leichten Jahre.“
       Jetzt komme es darauf an, welche Ziele man anstrebe und wie man vereinbart,
       sie umzusetzen. Das letzte Wort über einen möglichen schwarz-roten
       Koalitionsvertrag haben allerdings die rund 20.000 Berliner Mitglieder. Sie
       sollen in einem Entscheid darüber abstimmen. Auch das wurde am Mittwoch
       beschlossen.
       
       Mit ihrer Entscheidung vollzieht die Berliner SPD [2][einen wagemutigen
       Schritt]: Sie macht sich zur Juniorpartnerin, obwohl die Verteidigung des
       Roten Rathauses als führende Kraft in einem rot-grün-roten Bündnis nicht
       nur rechnerisch möglich gewesen wäre. In den [3][Sondierungsverhandlungen
       von SPD, Grünen und Linken] war es offenbar gelungen, die meisten
       strittigen Punkte zwischen den drei Parteien auszuräumen: vom weiteren
       Umgang mit dem erfolgreichen Enteignen-Volksentscheid bis hin zur Zukunft
       der Verkehrswende. Die Linkspartei hatte sich bereits am Dienstag für eine
       Fortsetzung der bisherigen Koalition ausgesprochen.
       
       Doch die Stimmung in den Verhandlungen vor allem zwischen SPD und Grünen
       sei angespannt gewesen; man habe Giffey angemerkt, dass sie bei einer
       Fortsetzung des Bündnisses nicht glücklich werden würde, berichten
       Teilnehmende. Die Folge war der Rechtsschwenk der Partei und damit der
       Verzicht auf eine progressive Koalition in der Hauptstadt, die angesichts
       von Klimawandel, Wohnungsnot, massiver Verkehrsprobleme und dem Umgang mit
       dem Enteignen-Volksentscheid vor großen Herausforderungen steht.
       
       ## Abrechnung mit den Grünen
       
       In der Sitzung der SPD am Mittwoch wurde auch mit den Grünen abgerechnet.
       In einem den Teilnehmer*innen vorliegenden Papier heißt es unter
       anderem, dass der bisherige Koalitionspartner „in nahezu allen politischen
       Teilbereichen“ erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner
       Verabredungsfähigkeit habe aufkommen lassen. Giffey sagte dazu: „Besonders
       bei den Grünen wurden an mehreren Stellen unsere vereinbarten Ziele
       relativiert.“ Konkret nannte sie unter anderem den Ausbau des ÖPNV und die
       Schulbauoffensive. „Das sind wichtige Punkte, die wurden nicht mehr so
       ernst genommen, wie wir uns das gewünscht haben.“
       
       Doch auch innerhalb der Berliner SPD gibt es Widerstand gegen das Bündnis
       mit der CDU. Die Berliner Jusos lehnen eine solche Koalition entschieden
       ab. „Die CDU passt nicht zu Berlin und nicht zur SPD“, hatte die Berliner
       Co-Vorsitzende Sinem Tasan-Funke der dpa vor der Sitzung gesagt. „Wir
       werden uns jeder Bestrebung, eine Koalition mit der CDU zu bilden,
       entgegenstellen.“
       
       Ob das Erfolg hat, ist fraglich: Bereits kommende Woche könnten die
       Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD beginnen. Aus der Wirtschaft
       kam schon mal Applaus. Der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller
       (VBKI) erklärte: „Rot-Grün-Rot scheint Geschichte – und das ist gut so für
       unsere Stadt.“
       
       1 Mar 2023
       
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   DIR Bert Schulz
       
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