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       # taz.de -- Nachruf auf Peter Weibel: Zwischen Idee und Vorstellung
       
       > Peter Weibel hatte so viele Ideen, dass er an zwei Enden brannte,
       > mindestens. Ein Nachruf auf den Pionier der Aktions- und Medienkunst.
       
   IMG Bild: Vertrag immer wieder verlängert: Peter Weibel
       
       Kann eine virtuelle Person sterben? Als solche hat sich Peter Weibel
       scherzhaft einmal bezeichnet. Er kannte keinen Alltag, führte nach außen
       kein normales Leben. Die Jalousien seiner Wohnung waren stets geschlossen.
       Alles fand bis in die Nacht in den Hallen des ZKM, des Zentrums für Kunst
       und Medien in Karlsruhe, statt und ging ineinander über: Besprechungen,
       Projekte, Künstlerfreundschaften, Veranstaltungen, Publikationen,
       Ausstellungen – meist aus einem Meer flackernder Bildschirme.
       
       Einmal fragte ich ihn, was wäre, wenn der Strom ausfiele, für länger. Er
       hatte keine Antwort parat. Dabei hätte er sagen können, dann würde er
       lesen. Bücher waren sein Ein und Alles, die Medienkunst diente als Mittler
       zwischen Idee und Vorstellung.
       
       Überhaupt war das seine größte Sorge. Ein Jahr bevor er Ende März 2023 aus
       dem Amt scheiden sollte, fragte er sich bereits, wie er wieder zu einer
       Bibliothek kommen sollte, wie sie das ZKM in seiner Zeit als Vorstand des
       Zentrums für Kunst und Medien aufgebaut hatte. Zuletzt plante er in Wien
       seine 120.000 Bände umfassende Privatbibliothek in einem aus Containern
       aufgeschichteten Turm unterzubringen. Leben und arbeiten würde er im
       Aufzug.
       
       Mehrfach war sein Vertrag beim ZKM trotz Altersgrenze verlängert worden. Er
       schien unersetzbar. Noch vor der Smartphone-Ära sagte er „ubiquitious
       computing“ voraus, vor der Öffnung der Museen für Debatten propagierte er
       das Museum als Bereich lebenslangen Lernens. 24 Jahre lang machte er
       unentwegt Programm.
       
       ## Was er alles ermöglichte
       
       Er ermöglichte im ZKM einzigartige Spezialinstitute wie das Labor für
       antiquierte Videosysteme, realisierte englischsprachige wissenschaftliche
       Kompendien zu Ausstellungen wie „CTRL Space“ und „Iconoclash“. „CTRL Space“
       war vom Zeitgeist der 1990er Jahre geprägt und zeigte sich mit der
       [1][allgegenwärtigen Überwachung] auseinandersetzende Kunst, „Iconoclash“
       behandelte intradisziplinär die [2][Krise der Repräsentation.]
       
       Peter Weibel zeigte große Werkschauen von Olafur Eliasson oder [3][Lynn
       Hershman Leeson] und kleinere von Pionieren der Computerkunst sowie
       Präsentationen zum Denken von Jean-Jacques Lebel, Vilém Flusser oder Jean
       Baudrillard. In seiner letzten Kooperation mit Bruno Latour, „Critical
       Zones“, öffnete er sich Fragen des Anthropozäns. In einem seiner letzten
       kuratorischen Statements, „BioMedien“, ging es um KI, die von der Natur
       lernt.
       
       Schon in den ersten Jahren seiner Tätigkeit als ZKM-Chef war klar: Da
       brennt einer an zwei Enden, das ist einer, der viele MitarbeiterInnen
       braucht, um alle seine Ideen realisieren zu können. Deshalb verließen
       Kuratoren, die eigene Schwerpunkte setzen wollten, das ZKM. Digitale Nerds
       hingegen fanden am ZKM einen Ort, um ihrer künstlerischen Forschung
       nachzugehen, sei es im Bereich elektronischer Musik, der virtuellen
       Museologie oder der Crypto-Art und KI.
       
       Doch holte den am 5. März 1944 in Odessa geborenen Wiener Pionier der
       Aktions- und Medienkunst am Ende doch weltanschaulich die Gegenwart ein. So
       sprach er in einem Statement zur Krise in der benachbarten Hochschule für
       Gestaltung für die FAZ von „mediokren Professoren und Professorinnen ohne
       Werk“. Er befürchtete zudem, wie viele seiner Generation, dass
       Identitätspolitik an die Stelle von Qualität treten würde. Wenige Tage vor
       seinem 79. Geburtstag starb Peter Weibel in Karlsruhe. Sein Geist wird so
       schnell nicht weichen. Ein Vierteljahrhundert lang war das ZKM ein
       exterritorialer Raum für Denker und Nerds aus aller Welt.
       
       Carmela Thiele ist Kulturjournalistin in Karlsruhe und arbeitete in den
       ersten Jahren des ZKM mit Peter Weibel zusammen
       
       3 Mar 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Carmela Thiele
       
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