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       # taz.de -- Finanzexperte Schick zur Bankenkrise: „System ist nicht stabiler als 2008“
       
       > Die Krise ist nicht vorbei, glaubt Finanzexperte Gerhard Schick – auch
       > wenn sich die Märkte nach der Übernahme der Credit Suisse beruhigt haben.
       
   IMG Bild: Die Übernahme der Credit Suisse durch UBS hält Gerhard Schick für falsch
       
       taz: Herr Schick, müssen sich Sparer und Anleger angesichts der
       [1][Turbulenzen an den Finanzmärkten] Sorgen machen? 
       
       Gerhard Schick: Dazu besteht derzeit in Deutschland kein konkreter Anlass.
       Grundsätzlich aber ist das [2][Finanzsystem weltweit nicht so stabil], wie
       es längst sein müsste.
       
       Nach der Finanzkrise 2008 sind die Regeln verschärft worden. Wieso ist die
       Krise wieder da? 
       
       An der Credit Suisse zeigt sich, dass die Lehren aus der Pleite der
       US-Investmentbank [3][Lehman 2008] praktisch nicht umgesetzt wurden. So
       gibt es kein Gesetz, das Banken verkleinert und auseinandernimmt, obwohl
       wir wissen: Große Banken sind große Gefahren. Alle Banken müssen zwar mehr
       Eigenkapital einsetzen: drei Prozent des Geschäfts, Großbanken vier bis
       fünf Prozent. Doch das ist nicht ausreichend. 95 Prozent des Geschäfts sind
       damit immer noch schuldenfinanziert.
       
       Und wie viel Eigenkapital müsste es sein? 
       
       Mindestens 10 Prozent. Und es müsste Richtung Realwirtschaft gehen, wo im
       Schnitt etwa 30 Prozent mit eigenem Kapital finanziert werden. Der
       Bankensektor ist da unsicher aufgestellt. Und das Ganze funktioniert nur,
       weil die großen Banken im Krisenfall damit rechnen, dass der Staat sie
       wegen ihrer Größe und Bedeutung rettet – wie jetzt in der Schweiz. Dieses
       Problem hat man schon in der Finanzkrise vor 15 Jahren gesehen, ist es aber
       dann nicht angegangen.
       
       Dann ist die Notübernahme der Credit Suisse durch die Konkurrentin UBS
       falsch. 
       
       Sie schafft eine noch größere Bank, die noch gefährlicher für das
       Finanzsystem ist, wenn sie wackelt. Eine Abwicklung wäre richtig gewesen.
       Eine staatliche Plattform hätte statt der UBS die Credit Suisse übernehmen
       und Teile verkaufen können.
       
       Es gibt seit der Finanzkrise 2008 einen Mechanismus, wie Banken in einem
       Krisenfall abgewickelt werden sollen. Warum wird der hier nicht genutzt? 
       
       Möglicherweise aus Angst, dass er nicht funktioniert. Denn große Banken
       haben Hunderte Auslandstöchter in unterschiedlichen Rechtsräumen,
       umfangreiche Bücher voller komplexer Anlagen. Und es gibt eine große Nähe
       zwischen Politik und Aufsichtsbehörden einerseits und Kreditinstituten
       andererseits. Dieses Wir-Gefühl – unsere Banken, unsere Sparkassen –,
       dieser Kuschelkurs ist auch in der deutschen Politik verbreitet. Auch
       Zentralbanken und Kreditinstitute sind sich sehr nahe.
       
       Tatsächlich wiederholen Bundesregierung, Bankenaufsicht und Bundesbank
       ununterbrochen, wie sicher die [4][deutsche Bankenlandschaft] ist. Wie
       schätzen Sie die Branche ein? 
       
       Sie müssen beschwichtigen, Vertrauen schaffen. Aber: Grundsätzlich trifft
       auch Deutschland, was die Institute in den USA quält. Die Zentralbanken
       haben die Leitzinsen wegen der Inflation schnell erhöht. Die
       Kreditinstitute geben die Zinserhöhung nicht vollständig an die Sparer
       weiter, können gleichzeitig höhere Kreditzinsen nehmen, verdienen also
       besser. Aber langfristige, niedrig verzinste Anleihen sind im Wert
       gefallen. Das wird für diejenigen Institute zum Problem, die viele davon
       haben.
       
       Und wie sieht die Lage in der Eurozone aus? 
       
       Die Bankenaufsicht ist inzwischen zentralisiert, das ist gut. Was immer
       noch fehlt, ist eine zentrale europäische Einlagensicherung und
       Bankenabwicklung mit entsprechenden Vollmachten, so etwas wie die FDIC
       (Federal Deposit Insurance Corporation) in den USA. Im Krisenfall sind in
       der EU nationale Behörden und Politiker zuständig. Wir müssen deshalb jetzt
       die europäische Bankenunion vollenden. Das muss Bundesfinanzminister
       Christian Lindner durchziehen.
       
       Gerade Lindners FDP und damit Deutschland bremsen hier. 
       
       Die Bankenverbände sind dagegen, dann ist es oft auch die FDP. Ich hoffe,
       dass die Krise in den USA und die Probleme in der Schweiz den Widerstand in
       Deutschland lösen. Die Erfahrung zeigt, dass Veränderungen im Bankensektor
       nur in Krisenzeiten und bei öffentlichem Druck möglich sind. Also jetzt.
       Wir müssen eine handlungsfähige Institution aufbauen, die europaweit die
       Einlagen sichert, bevor wir sie brauchen.
       
       Bleibt die Credit Suisse ein Einzelfall? 
       
       Die Finanzkrise vor 15 Jahren verlief in Schüben. Erste Hedgefonds hatten
       2006 Probleme, erste Banken 2007, die Öffentlichkeit nahm die Krise erst
       mit der Lehman-Pleite 2008 richtig wahr. Wann und wo es diesmal weitergeht,
       ist zwar nicht seriös einschätzbar. Es nervt aber total, dass Politik und
       Zentralbanken behaupten, alles sei stabil. Faktisch ist das System nicht
       stabiler als 2008.
       
       22 Mar 2023
       
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