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       # taz.de -- Kunst über Deutschland und Sklavenhandel: Kein Ausweg aus dem White Room
       
       > Der Künstler Cameron Rowland räumt mit der Ausstellung „Amt 45 i“ im
       > Frankfurter Bankenviertel weißdeutschen Rassismus ab.
       
   IMG Bild: ECameron Rowlands „Amt 45 i“ im Tower MMK, Frankfurt, Ansicht
       
       Ein fast leerer Großraum mit weiß getünchten Wänden, eine fußnotenreiche
       Broschüre – das Museum der Zukunft? „Amt 45 i“ heißt die Ausstellung, die
       Cameron Rowland im Tower an der Taunusanlage eingerichtet hat.
       
       So lautet die amtliche Nummerierung der Nebenstelle des Frankfurter MMK im
       Bankenviertel, wo Rowland mit neun Exponaten und einer [1][20-seitigen
       Synthese des Forschungsstands] die deutsche Verwicklung in die
       transatlantische Sklaverei aufzeigt und ohne die man die Ausstellung nicht
       verstehen kann. Dass Deutschland überhaupt als wichtiger Akteur aufgetreten
       ist, dürfte den meisten Besuchern neu sein.
       
       Das Deutsche Reich schien mit dem „Verlust“ seiner Kolonien nach dem Ersten
       Weltkrieg aus dem Schneider, nachdem es sich in „Deutsch-Südwestafrika“
       eines kolossalen (und zu allem Unglück stilbildenden) Völkermords schuldig
       gemacht hatte, der Nachgeborenen erst spät bewusst geworden ist.
       
       Doch einen „German Exceptionalism“ gab es auch schon früher nicht; im
       Deportationsdreieck afrikanischer Zwangsarbeiter auf Plantagen jenseits des
       Atlantiks waren schon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation dessen
       Kaufleute, Bankiers und Wertpapierhändler in nicht geringer Zahl und
       keineswegs nur in Nebenrollen involviert.
       
       Das kann man aus der neueren Forschung, dokumentiert in dem Sammelband
       „Beyond Exceptionalism“ (2021), wissen. Was also trägt Rowland bei, der
       sich daraus reichlich bedient? Er unterlässt zunächst die oft an
       Horror-Folklore oder umgedrehte Kolonialwarenläden erinnernde Darbietung
       von Reliquien dieses Menschheitsverbrechens.
       
       ## Schlichtes Diagramm zur Historie der Commerzbank
       
       Zu sehen bekommt man als Ausstellungsstück Nr. 2 ein schlichtes Diagramm
       aus dem Historischen Museum der Mainmetropole, das die Historie der
       Commerzbank darlegt, ohne die [2][Kolonialgeschäfte mit Hamburger
       Kaufleuten] und Frankfurter Finanziers überhaupt zu erwähnen.
       
       Das Faksimile heißt „Omissions“ und ist programmatisch gemeint: Es sind die
       Auslassungen, die zählen, also das Ungesagte des durchaus Sagbaren über das
       Unsägliche der Versklavung. Weit über den ganzen Stock verstreut sind
       ferner zu sehen ein Webstuhl, ein quer durch den Saal gespanntes Seil, ein
       Häufchen Salz und Pfeffer, eine rostige Hippe, ein großer Zuckerkessel,
       zwei Eimer Oxalsäure.
       
       Diese Kargheit überzeugt: Der Webstuhl diente im 18. Jahrhundert der
       Herstellung von „Osnaburgs“, einer groben Leinenbekleidung aus der
       Niedriglohnregion um Osnabrück, die zu Dumpingpreisen nach Westindien
       exportiert wurde. Die Sklaven mussten sie tragen und waren dadurch als
       solche zu erkennen, wenn ihnen die Flucht gelang; wer teurere Hemden trug
       oder austeilte, wurde bestraft. Salz und Pfeffer wurden in Wunden gerieben,
       die sich die Versklavten zugezogen hatten oder Aufseher ihnen mit
       Peitschenhieben zugefügt hatten.
       
       Dagegen erhob sich Widerstand. Das bei Dunkelheit quer über den Weg
       gespannte Seil, hier unter grellem Neonlicht nachgestellt, brachte die
       Pferde der Reiterpatrouillen zu Fall; die Hippe, mit der Zuckerrohr
       geschlagen wurde, diente für Rache- und Sabotageakte, mit dem
       Reinigungsmittel Oxal wurden Giftanschläge auf Sklavenhalter verübt.
       
       Rowlands Coup soll der als Nr. 6 gezeigte Vertrag zwischen der von ihm
       gegründeten Firma „Bankrott Inc.“ und dem MMK sein. Besiegelt durch deren
       Direktorin Susanne Pfeffer und von den Justiziaren der Stadt Frankfurt
       offenbar für einen Scherz gehalten, meint es Rowland bitterernst.
       
       ## Ein Darlehen der Bankrott Inc.
       
       „Dem Museum MMK für Moderne Kunst wurde von der Bankrott Inc. ein Darlehen
       in Höhe von 20.000 Euro gewährt. Die Firma wurde gegründet, um als
       Gläubiger eine unbefristete Schuld zu halten. Da es sich um ein Darlehen
       auf Abruf handelt, können keine Zahlungen geleistet werden, bis der
       Darlehensgebende die Rückzahlung verlangt. Bankrott Inc. wird die
       Rückzahlung niemals einfordern.
       
       Für die Schulden fallen auf unbeschränkte Zeit Zinsen an. Sie werden jedes
       Jahr um 18 Prozent, den höchsten gesetzlich zulässigen Satz, steigen. Das
       Museum MMK für Moderne Kunst ist eine städtische Behörde – unter dem Kürzel
       ‚Amt 45 i‘. Der Schuldner ist in diesem Fall also die Stadt Frankfurt am
       Main.“
       
       Gläubiger Rowland stellt mit diesem Schriftstück zwei Langzeitfolgen der
       Sklaverei heraus: Erstens die Tatsache, dass Sklavenhalter nach Abschaffung
       der Sklaverei mit skandalös hohen Summen entschädigt wurden, die ins
       Finanzsystem des Globalen Nordens einsickerten und Unternehmen,
       Universitäten, Museen (wie dieses) und Regierungen bis heute alimentieren.
       
       Zweitens fehlt diesem endlos exponentiellen Regress das Gegenstück.
       Nachfahren der Sklaven haben kaum Entschädigungen erhalten, und würde man
       sie in Betracht ziehen, käme eine ähnlich absurde Summe zustande, die
       Frankfurt von Bankrott Inc. fiktiv aufgebürdet werden: 311 Milliarden Euro
       im Jahr 2123.
       
       Wer diese Geschichtslast nicht aushält, dem weist Rowland als
       Ausstellungsstück Nr. 1 diverse Fluchtwege aus der Ausstellung. Sie führen
       durch eine exquisite Büro- und Apartmentinsel in ein Rowland zufolge
       durch Ausbeutung von Sklaven entstandenes Zentrum der globalen
       Finanzwirtschaft, zu dessen Komplizen selbstredend dieses Museum gehört.
       Die Ausstellung soll ein Schlag ins Kontor sein – „Aus diesen Schulden gibt
       es kein Entkommen“, titelte das Kunstmagazin Monopol.
       
       Sehr zweifelhaft ist indes die überidentifizierte Erregung, die das
       offenbar auslöst. Nüchterne Geschichtsschreibung vermeidet dergleichen,
       sofern sie nicht auch in die Falle einer „kritischen Rassentheorie“ tappt,
       die wie in Rowlands Text jede Erwähnung von Weiß-Sein kursiviert und es
       pauschal mit „Anti-Schwarzsein“ gleichsetzt. Der Beitrag des
       Zwangsarbeitssystems auf den Plantagen zur „ursprünglichen Akkumulation des
       Kapitals“ war beträchtlich, aber nicht so dominant und exklusiv.
       
       ## Mindert die Hautfarbe den Wert der Aufklärung?
       
       Mindert die Hautfarbe den Wert der historischen Aufklärung, wenn sie
       überwiegend von „Weißdeutschen“ wie Rebekka von Mallinckrodt, Klaus Weber,
       die den Band „Beyond Exceptionalism“ herausgegeben haben, und anderen
       betrieben wird? Was soll der natürlich auch überwiegend weiße Besucher mit
       einem Satz wie diesem anfangen: „Alle Europäer*innen, die aus der Existenz
       von Schwarzen und Indigenen Menschen Kapital schlugen, waren an der
       Errichtung der Sklaverei beteiligt“? Alle, bis heute?
       
       Das ist so falsch [3][wie die Gemeingut gewordene Etikettierung Immanuel
       Kants] und Johann Friedrich Blumenbachs als Rassisten und die
       Unterstellung, sie beförderten kontinuierliche Rassifizierung. Vielmehr
       hatten sie selbst schon von ihren rassistischen Ansichten Abstand genommen
       und Maßstäbe für deren universalistische Kritik geliefert, die historische
       wie gegenwärtige Formen der Sklaverei nicht-weißer Provenienz
       selbstverständlich mitbetrifft.
       
       Sicher gibt es die Abwehrkämpfe weißer Suprematisten und sie werden
       aggressiver, aber es braucht an einem musealen Nebenschauplatz globaler
       Kämpfe gegen Diskriminierung keine Sippenhaft hellhäutiger Nachgeborener,
       sondern deren so einsichtige wie effektive Solidarität mit Unterdrückten
       und Ausgebeuteten in aller Welt. Zu den Unterdrückern und Ausbeutern zählen
       heute [4][postkoloniale Autokraten] und Oligarchen, was man nicht als
       billige Ablenkung abtun darf. Konsequent betrachtet wie in diesem White
       Room sind auch [5][sie späte Nutznießer der Sklaverei.] Unter diesen
       Kautelen ist die Ausstellung sehenswert.
       
       23 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://cms.mmk.art/site/assets/files/8342/mmk_pamphlet_cameron_rowland_screenreader_optimiert_de.pdf
   DIR [2] /Norddeutsche-Kolonialgeschichte/!5416050
   DIR [3] /Immanuel-Kant-und-der-Rassismus/!5692764
   DIR [4] /Opposition-in-Kamerun/!5821992
   DIR [5] /Restituierte-Benin-Bronzen/!5907410
       
       ## AUTOREN
       
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