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       # taz.de -- Klimaschutz in europäischen Metropolen: Das Rennen ums Klima
       
       > Am Sonntag geht es beim Volksentscheid um ein klimaneutrales Berlin. Wie
       > weit sind Paris, Warschau und Madrid?
       
   IMG Bild: In Klimafragen unbedingt besser das Rad fahren. Gilt überall
       
       ## Paris: Nur mit der Bevölkerung
       
       Im Sommer 2024 finden in der französischen Hauptstadt [1][die Olympischen
       Spiele] statt. Da bei diesem Anlass die ganze Welt nach Paris blickt,
       möchte sich die rot-grüne Stadtregierung als Gastgeberin auch
       klimapolitisch von der besten Seite zeigen. Das ist sie sich auch schuldig,
       weil schließlich das internationale Übereinkommen mit den weiterhin
       gültigen Klimazielen den Namen von Paris trägt.
       
       Die Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo hat bei verschiedenen Anlässen
       bekräftigt, dass Paris zusammen mit anderen Städten mit eigenen ehrgeizigen
       Plänen aktiv dazu beitragen wolle, dass die Klimaziele nicht nur
       eingehalten, sondern wenn möglich schon vorher erreicht werden. Paris hat
       seit 2007 einen Klimaschutzplan, der 2018 erneuert und nach einer
       Konsultation der Bürger*innen im vergangenen Jahr erweitert werden soll.
       Gegen den Widerstand der rechten Opposition sind weite Teile der
       Seine-Ufer-Schnellstraße verkehrsfrei geworden.
       
       Im Pariser Rathaus weiß man, dass nur mit der Beteiligung der Bevölkerung
       etwas erreicht werden kann. In diesem Sinn organisiert Hidalgo Anfang April
       auch eine lokale Abstimmung über ein Verbot der zur Miete angebotenen
       „Trottinettes“ (E-Roller), die für viele ein öffentliches Ärgernis geworden
       sind.
       
       Bereits jetzt ist vorgesehen, dass ab 2024 in der Hauptstadt keine
       Dieselfahrzeuge und ab 2030 auch keine mit Benzinmotoren mehr zugelassen
       sind. Seit Jahren gibt es in Paris bereits den Crit’Air-Aufkleber auf der
       Windschutzscheibe der Pkws, entsprechend den Kriterien ihrer
       Umweltbelastung von 0 (für Elektromotoren) bis 5 (für „Dreckschleudern“).
       Bis 2030 soll mit zusätzlichen Restriktionen der CO2-Ausstoß um 40 Prozent
       und bis 2050 um 80 Prozent verringert werden.
       
       Die Olympischen Spiele veranlassen die Stadt, bei neuen öffentlichen
       Transportmitteln und den anfallenden Abfällen exklusiv auf die
       Nachhaltigkeit und Klimaneutralität zu setzen. Viel schwieriger zu
       erreichen sind die Planziele im Bereich der Wärmeisolierung, denn Paris hat
       einen historischen Kern mit Altbauwohnungen, die größtenteils
       Privateigentum sind. Bis 2050 müssten 1 Million Wohnungen modernisiert
       werden, um den Energiekriterien zu genügen. Auch staatliche Subventionen
       und Förderprogramme werden bisher als unzureichend kritisiert, was Hidalgo
       aber nicht hindert, in der Hoffnung auf eine Wiederwahl 2026 ihre
       Klimapolitik als weltweit mustergültig anzupreisen. Rudolf Balmer
       
       ## Madrid: Umweltschutz als Stadtmarketing
       
       Madrid steht auf der [2][EU-Liste der Städte], die große Anstrengungen
       unternehmen, um klimaneutral zu werden. Der konservative Bürgermeister José
       Luis Martínez Almeida, dessen Partido Popular in Koalition mit den
       rechtsliberalen Ciudadanos und der Unterstützung der rechtsextremen Vox
       regiert, hat sich 2050 als Ziel für die Klimaneutralität gesetzt. 2030 soll
       es zu 65 Prozent erreicht sein. Damit läge Madrid 10 Prozent über dem von
       Europa für alle Städte verpflichtend gesteckten Ziel.
       
       „2050 werden weiterhin 1,4 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen, die dann
       mittels ergänzender Maßnahmen wie dem Pflanzen von Bäumen ausgeglichen
       werden“, heißt es in einem entsprechenden Plan der Stadtverwaltung. Große
       Anstrengungen stehen also an. Jedoch, wer in der spanischen Hauptstadt
       lebt, merkt davon nur wenig.
       
       Die Umweltpläne sind derzeit nichts weiter als Marketing. Die bisherige
       Politik Almeidas geht in die entgegengesetzte Richtung. So nahm der
       Rechtspolitiker, der den Wahlkampf 2019 mit autofreundlichen Parolen
       führte, [3][einen Teil der Verkehrsbeschränkungen] seiner linksalternativen
       Vorgängerin Manuela Carmena zurück. Erst als er gerichtlich gezwungen
       wurde, verteilte die Stadtpolizei erneut Strafzettel fürs unberechtigte
       Einfahren in die Innenstadt.
       
       Doch wer ins Parkhaus fährt, darf dennoch weiterhin mit älteren Pkws ins
       Zentrum. Das Fahrverbot für ältere Lieferfahrzeuge wurde – erst einmal – um
       ein Jahr, bis Ende 2023 aufgeschoben. Das gilt für Benziner, die nach 2005
       gebaut wurden, und Dieselfahrzeuge nach 2006. Insgesamt fahren dank der
       Rücknahmen verschiedener Maßnahmen rund 50.000 zusätzliche Fahrzeuge
       täglich in die Innenstadt. Um die Luftverschmutzung dennoch „niedrig“ zu
       halten, wurde eine verkehrsberuhigte Zone rund um den wichtigsten Messpunkt
       eingerichtet.
       
       Und auch mit den Bäumen, die den unvermeidlichen CO2-Ausstoß kompensieren
       sollen, hat es Bürgermeister Almeida nicht. Nach seinen ersten drei Jahren
       im Amt zählt die Stadt statt 400.000 Bäumen 2019 Ende 2022 nur noch
       322.000. Jetzt verspricht Almeida 19.000 neue Bäume. Doch werden sie nicht
       dort gepflanzt, wo sie den Einwohnern Schatten spenden könnten, sondern am
       Stadtrand und entlang von Einfallstraßen.
       
       Und Madrid soll weiter wachsen. Im Norden der Stadt werden Wohngebiete und
       Bürohochhäuser und der höchste Wolkenkratzer Europas entstehen. Diesem
       Projekt müssen – unweit von geschützten Gebieten – 80 Hektar Grünflächen
       und damit über 5.000 Bäume weichen. Reiner Wandler
       
       ## Warschau: Grün sprießt an der Weichsel
       
       „Grün, öko, umweltfreundlich“ sind Worte, die inzwischen völlig geläufig
       sind in Polens Hauptstadt Warschau. Jung und Alt nutzen sie, auch weil es
       immer mehr „grüne“ Angebote gibt. Seit auf dem Dach der Uni-Bibliothek ein
       öffentlicher Garten mit ständig wechselnder Blütenpracht und bequemen
       Liegestühlen lockt, bemühen sich auch Privatinvestoren, energieeffizient zu
       bauen. Sie installieren auf immer mehr Dächern Photovoltaik und legen auf
       mittleren Etagen Terrassen und in Innenhöfen „grüne Oasen“ an. LED-Lampen
       sind inzwischen Standard – bei der Straßenbeleuchtung, in öffentlichen
       Gebäuden wie auch in Privatwohnungen.
       
       Besitzer von Elektro- oder Wasserstoffautos genießen ein paar Privilegien:
       sie dürfen überall in der Stadt kostenlos parken und die eigentlich Bussen
       vorbehaltenen Fahrbahnen nutzen. Damit verbunden ist eine enorme
       Zeitersparnis, denn das stundenlange Im-Stau-Stehen gehört damit ebenso der
       Vergangenheit an wie die zeitraubende Suche nach einem Parkplatz.
       
       Immer populärer wird auch das Car-Sharing. Zumindest in Warschau stehen die
       E-Autos dabei meist in Laufnähe. Nach der Erfahrung von mehreren Stadt- und
       Überlandfahrten damit verzichten viele Warschauer und Warschauerinnen auf
       ihren alten Diesel oder Benziner.
       
       Doch Warschau investiert auch viel Geld in öffentliche Verkehrsmittel.
       Dabei geht es nicht nur um den Ausbau des Liniennetzes von Metro,
       Straßenbahnen und Bussen, sondern auch um Energieeffizienz, Sauberkeit und
       nicht zuletzt Bequemlichkeit. Die noch aus sozialistischer Zeit stammenden
       Schmuddel-Haltestellen gehören weitgehend der Vergangenheit an. Fast
       wünscht man sich, dass eine oder zwei Linien mit historischen
       Straßenbahnen, die über Uraltschienen rumpeln und sich laut quietschend in
       die Kurve legen, erhalten bleiben.
       
       Am sichtbarsten für die meisten Warschauer und Warschauerinnen sind aber
       die vielen Parks und Gärten, neuen Baumalleen und Grünanlagen. Entlang der
       Weichsel sind breite Boulevards zum Spazierengehen, Trampolinspringen und
       Radfahren entstanden.
       
       Die Stadtautobahn, auf der die Autos immer noch mehrspurig direkt an der
       Weichsel entlangrasen, soll in den nächsten Jahren in einem Tunnel
       verschwinden, sodass darüber ein breiter Uferpark entstehen kann. Dann
       könnte man auch vom Garten des wiederaufgebauten Warschauer Königsschlosses
       direkt bis an die Weichsel schlendern. Gabriele Lesser
       
       24 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Russische-Athleten-bei-Olympia/!5916306
   DIR [2] https://op.europa.eu/o/opportal-service/download-handler?identifier=822ee360-c9bf-11ec-b6f4-01aa75ed71a1&format=pdf&language=en&productionSystem=cellar&part=
   DIR [3] /Umweltaktivist-ueber-Verkehr-in-Madrid/!5822029
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
   DIR Reiner Wandler
   DIR Gabriele Lesser
       
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