URI: 
       # taz.de -- Versicherung gegen Elementarschäden: Die nächste Flut kommt bestimmt
       
       > Naturgefahren nehmen zu, auch in Deutschland. Dennoch ist nur die Hälfte
       > aller Wohngebäude dagegen versichert. Eine Reform der Versicherung ist
       > nötig.
       
   IMG Bild: Flutschäden in Altenahr nach der Überflutung 2021
       
       Der Abschlussbericht des Weltklimarats IPCC sagt es deutlich: Der
       Klimawandel wird kurzfristig kaum mehr zu stoppen sein. Klimaschutz und
       Klimaanpassung können erst einmal nur die Schäden für Natur und Menschen
       verringern. Für die nahe Zukunft wird für alle Weltregionen ein Anstieg der
       Naturgefahren prognostiziert, darunter häufigere Überschwemmungen. In
       Deutschland weckt das Erinnerungen an die Flutkatastrophe im Ahrtal vom
       Sommer 2021, eines der schwersten Naturereignisse in der jüngeren
       Geschichte, das Politik und Bevölkerung wachgerüttelt hat.
       
       Deutschland passt sich an den Klimawandel an: Die kürzlich vorgelegte
       Nationale Wasserstrategie und das geplante Klimaanpassungsgesetz sehen mehr
       bautechnische Vorsorge und planerische Maßnahmen vor. Darunter etwa die
       Schaffung von mehr Auslaufflächen für Gewässer. Doch wer oder was rettet
       die Existenz, wenn eine Katastrophe das eigene Haus stark beschädigt oder
       ganz zerstört? Alle Expert*innen sind sich darin einig, dass private
       Wohngebäude flächendeckend gegen Naturgefahren, sogenannte
       Elementarschäden, versichert sein sollten. Doch darüber wird politisch
       gestritten.
       
       Die Ministerpräsident*innen der Länder setzen sich für eine
       Pflichtversicherung gegen Elementarschäden ein, erst kürzlich brachte NRW
       eine entsprechende Initiative in den Bundesrat ein. Bundesjustizminister
       Buschmann lehnt eine Pflicht jedoch bislang ab. Er argumentiert, dass diese
       zwar mit der Verfassung vereinbar sei, wegen aktuell steigender
       Lebenshaltungskosten aber nicht in die Zeit passe. Seine Rechnung ginge
       allerdings nur dann auf, wenn die nächste Naturkatastrophe ewig auf sich
       warten ließe. Die Prognosen des IPCC und auch des [1][Deutschen
       Wetterdienstes] fallen deutlich düsterer aus.
       
       Stand heute ist nur die Hälfte aller Wohngebäude gegen Elementarschäden
       versichert. Viele Bauvorschriften stammen aus einer Zeit vor dem
       Klimawandel und auch die bautechnische Vorsorge an Wohngebäuden ist oft
       unzureichend. Etwa zwei Drittel aller Häuser verfügen nicht über eine
       Rückstauklappe, die bei Überschwemmung das Eindringen von
       Kanalisationswasser verhindert. Daten des Sachverständigenrats für
       Verbraucherfragen (SVRV) zeigen ein ähnliches Bild beim Schutz des Dachs
       vor Sturm- und Hagelschäden. Außerdem wird nach wie vor an zu stark
       gefährdeten Stellen gebaut oder wiederaufgebaut.
       
       Welchen Beitrag könnte eine [2][Reform der Elementarschadenversicherung]
       zur Klimaanpassung leisten?
       
       Oberstes Ziel muss die Schaffung einer flächendeckenden Versicherung aller
       Wohngebäude sein. Denn Naturgefahren, insbesondere Starkregen, können
       überall im Bundesgebiet auftreten, wenn auch mit unterschiedlicher
       Intensität. Diese muss sich in der Höhe der Versicherungsprämie
       widerspiegeln, was individuelle und gesellschaftliche Anreize bietet, um
       bautechnische Vorsorge zu betreiben. Und anders als eine Einheitsprämie
       wären diese auch mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar. Unbedingt
       sollten strenge Bauverbote in besonderen Gefahrenlagen, etwa in
       Gewässernähe, durchgesetzt werden. Mit ausreichend öffentlicher und
       privater baulicher Vorsorge ließen sich auch die Versicherungsprämien
       niedrig halten.
       
       Hätte eine Reform Erfolg und müsste der Staat dann keine ungezielten
       Nothilfen mehr zahlen, würde das die Steuerzahler*innen entlasten.
       Damit stünde auch die Einhaltung der Schuldenbremse durch zunehmende
       Extremwetterereignisse nicht immer wieder zur Disposition.
       
       Der SVRV hat einen Vorschlag für ein solches Versicherungsmodell vorgelegt.
       Kern ist die Einführung einer verpflichtenden Basisversicherung gegen
       Naturgefahren. Der Basisschutz sieht einen hohen Selbstbehalt vor, den
       Eigentümer*innen selbst tragen müssen. Das schafft einen starken
       Anreiz zur Vorsorge. Ähnlich wie in der Kfz-Versicherung könnte der
       Basisschutz auf freiwilliger Basis zu einer „Vollkasko“-Versicherung
       aufgestockt werden.
       
       Anders als der SVRV setzen die deutschen Versicherer in ihrem Reformmodell
       weiter auf eine Lösung ohne Pflicht. Allen bisher nicht Versicherten soll
       die Elementarschadenversicherung an die bestehende Wohngebäudeversicherung
       angehängt werden, per sogenannter Zustimmungsfiktion. Wer nicht
       widerspricht, wird automatisch versichert. Umsetzen ließe sich allerdings
       auch das nur mit einer gesetzlichen Regelung.
       
       Egal ob Pflichtversicherung oder Zustimmungsfiktion: Eine flächendeckende
       Versicherung ließe sich nur per gesetzlicher Regelung schaffen, wie der
       Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) betont. Der
       Gesetzgeber ist in beiden Fällen gefordert und sollte seinen
       Gestaltungsspielraum auch nutzen. Länder wie Frankreich, die Schweiz und
       Spanien machen vor, dass eine starke Regulierung zum Erfolg führt. Politik,
       Versicherer, Verbraucherschützer und andere Akteure sollten daher gemeinsam
       ein konsensfähiges Modell entwickeln.
       
       Auch hier sind noch Fragen offen: Für beide Reformmodelle muss geklärt
       werden, wie hoch der Selbstbehalt angesetzt werden sollte. Sollten Gefahren
       wie Sturmflut und Grundwasseranstieg in den Standardschutz mit einbezogen
       werden? Wie ließe sich ein sozialer Ausgleich für finanzschwache Eigentümer
       von Bestandsbauten ausgestalten? Außerdem müssen Versicherungswirtschaft
       und Politik sich einig werden, in welchem finanziellen Umfang der Staat den
       Versicherern bei Großschadensereignissen beispringen soll
       („Stop-loss-Regelung“).
       
       Und schließlich muss diskutiert werden, wie sich eine reformierte
       Elementarschadenversicherung sinnvoll in Maßnahmen zur [3][Klimaanpassung],
       wie die Nationale Wasserstrategie und das Klimaanpassungsgesetz, einbetten
       ließe. So wird Klimaanpassung zur Gemeinschaftsaufgabe.
       
       24 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Klimawandel-in-Deutschland/!5920174
   DIR [2] /Klimaschutz-in-der-Versicherungsbranche/!5827496
   DIR [3] /Soziologe-Philipp-Staab-ueber-Klimakrise/!5905406
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Groß
   DIR Gert G. Wagner
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Versicherung
   DIR Überschwemmung
   DIR Starkregen
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Sturmflut
   DIR Wasser
   DIR Überschwemmung
   DIR Flut
   DIR Weltklimarat
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Versicherung gegen Elementarschäden: Nötiger denn je
       
       Nur die Hälfte aller Gebäude ist gegen Extremwetter versichert. Eine Reform
       könnte das ändern.
       
   DIR Finanzierung von Klimaschäden: Kollektive Lösungen sind nötig
       
       Dass die Bundesregierung Hilfen zusagt, reicht nicht. Ein Plan zur
       Finanzierung von Klimaschäden muss her. Eine Pflichtversicherung wäre ein
       Anfang.
       
   DIR Sturmflut an der Ostsee: Schäden gehen in die Millionen
       
       Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern erlebten eine außergewöhnlich
       starke Sturmflut. Ein Mensch starb, in Flensburg stand ein Teil der Stadt
       unter Wasser.
       
   DIR Ausstellung über Klimafolgen: Wasser ist museumsreif
       
       Das Hamburger Museum am Rothenbaum untersucht mit „Wasser Botschaften“, ob
       sich indigenes Wissen für modernen Wasserschutz nutzen lässt. Es gelingt.
       
   DIR Versicherung für alle: Pflicht für Elementares
       
       Nach den Überschwemmungen in Deutschland im Juli gingen viele Geschädigte
       leer aus. Verbraucherschützer fordern eine Versicherungspflicht.
       
   DIR Unterstützung für Flutopfer: Keine Versicherung, weniger Hilfe
       
       Bayern bestraft Flutopfer ohne Elementarversicherung, indem es deren Hilfen
       kürzt. In Rheinland-Pfalz dagegen spielt Versicherungsschutz keine Rolle.
       
   DIR Bericht des Weltklimarates: Graduelle Unterschiede
       
       Der IPCC ist alarmiert: Die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad droht
       zu scheitern. Auch der Ansteig des Meeresspiegels könnte sich deutlich
       beschleunigen.