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       # taz.de -- Fußball in den Niederlanden: Homophobie als Nebenwiderspruch
       
       > Als Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung sollen in der Eredivisie
       > Kapitäne die One-Love-Binde tragen. Nicht alle wollen mitmachen.
       
   IMG Bild: Ajax-Kapitän Dušan Tadić mit der One-Love-Binde beim Spiel gegen Excelsior Rotterdam, Oktober 2022
       
       Ajax gegen Feyenoord – wenn am Sonntag in der Johan-Cruijff- Arena der
       Klassiker der Eredivisie angepfiffen wird, steht diesmal besonders viel auf
       dem Spiel: Neun Runden vor Saisonende liegen die [1][Rotterdamer] drei
       Punkte vor dem alten Kontrahenten. Der erste Titel seit 2017 könnte ein
       gutes Stück näherrücken – oder, aus [2][Ajax]-Sicht, das versöhnliche Ende
       einer Saison, die bislang zum Vergessen war.
       
       Im Vorfeld der Partie aber schlägt ein anderes Thema hohe Wellen: die
       [3][One-Love-Binde] ist zurück! Anlässlich des internationalen Tags gegen
       Rassismus und Diskriminierung am 21. März sollen alle Kapitäne im Profi-
       und Amateurfußball des Landes damit auflaufen. Damit „spricht man sich aus
       für Verbindung und gegen Rassismus und Diskriminierung in der
       Gesellschaft“, so ein Statement des niederländischen Fußballverbands. „Wir
       merken, dass es danach ein Bedürfnis gibt“, so ein Verbandssprecher.
       
       Ausgerechnet bei jenem Match, auf das sich am Wochenende alle Augen
       richten, scheint dieses Bedürfnis aber deutlich eingeschränkt:
       Feyenoord-Kapitän Orkun Kökçü hat bereits angekündigt, die Binde nicht zu
       tragen. Nicht etwa, weil er Rassismus und Diskriminierung befürwortet. „Ich
       stehe sowieso hinter dieser Aktion. Ich unterstütze das“, sagte der
       22-jährige Mittelfeldspieler letztes Wochenende im öffentlich-rechtlichen
       TV-Sender NOS. „Aber ich habe doch das Gefühl, dass die One-Love-Binde aus
       einem anderen Grund ins Leben gerufen wurde.“
       
       Das Raunen des Kapitäns hat einen Grund. Schon in der Hinrunde, zum „Coming
       Out Day“ am 11. Oktober, verweigerte er sich einer KNVB-Aktion aus
       religiösen Gründen. „Du musst alle respektieren. Jeder soll tun, was er
       will, aber ich will kein Aushängeschild dafür sein, denn es geht nicht
       zusammen mit meinem Glauben“, erklärte Kökçü damals. Abwehrspieler Gernot
       Trauner übernahm einmalig das Amt. Ajax-Pendant Dušan Tadić trug die Binde
       zwar, versuchte sie aber mit der regulären zu überdecken. Nach anfänglichem
       Zögern will er nun mit von der Partie sein.
       
       Anders sieht es im Fall von Redouan El Yaakoubi aus, dem Amtskollegen bei
       Excelsior Rotterdam. Wie schon im Oktober wird er lieber eine Binde mit der
       Aufschrift „Respect“ tragen. Der Club rühmt El Yaakoubi in einer
       Stellungnahme als „unseren Anführer, in Wort und Tat ein Vorkämpfer von
       Gleichheit und Galionsfigur im Kampf gegen Diskriminierung“, den man gerade
       darum nicht verpflichten wolle, sich in einer Weise zu äußern, „bei der er
       sich nicht wohl fühlt“. Im Herbst hatte El Yaakoubi argumentiert, mit
       seiner Respect-Binde wolle er die Botschaft gerade „noch stärker und alles
       umfassender machen“. Respekt stünde allen zu, „auch Leuten, die das
       vielleicht ein bisschen anders sehen“.
       
       ## Verpasste Chance
       
       Offensichtlich gilt Homophobie den antirassistischen Capitanos als
       ziemlicher Nebenwiderspruch. Zumindest haben sie gravierende Defizite, was
       Intersektionalität betrifft. Oder doch ganz etwas gegen alles, was von der
       heterosexuellen Norm abweicht? Der queere Feyenoord-Fanclub „Roze
       Kameraden“ ist jedenfalls „schwer enttäuscht“, dass Orkun Kökçü „eine
       schöne Geste und ein Signal zunichte macht“. Laut dem Algemeen Dagblad
       versuchte der „Roze Kameraden“-Vorsitzende Paul van Dorst mehrfach
       vergeblich mit dem Kapitän in Kontakt zu kommen.
       
       Mark Boninsegna, als „Feyenoord-Dichter“ in der Fan-Szene bekannt, spricht
       von einer verpassten Chance. „Wenn Kökçü wirklich Respekt für alle
       ausdrücken will, kann er es am Besten mit dieser Binde tun.“ Allerdings
       sieht er auch den Club in der Verantwortung. „Die Binde kam nicht über
       Nacht ins Leben, es gab sie schon, bevor er Kapitän wurde. Da hätte man ihn
       auch vorher fragen können: Stehst du dahinter? Sonst bist du vielleicht
       nicht der richtige Kapitän, denn als solcher bist du auch der Anführer
       aller Supporter.“
       
       Genau hier allerdings scheiden sich die Geister. Denn auf Kökçüs erste
       Weigerung im Herbst wurde er in Sozialen Medien zum Helden erklärt – weil
       er „für seine Kultur“ eintrete und sich gegen das vermeintliche Woke-Diktat
       und die Gender-Ideologie wehre. „Die, die ihn damals feierten, sind die
       ersten, die ihn als Typhus-Muslim beschimpfen, wenn er während des Ramadan
       eine Chance versemmelt“, meint Boninsegna zwar. Ungeachtet dessen aber
       scheint die Ablehnung queerer Gleichberechtigung zur Brücke zwischen
       manchen Muslimen und rechter Fanszene zu taugen.
       
       Im weiteren Rahmen passt diese Entwicklung durchaus ins Bild. Die Katar-WM
       hat einen kulturrelativistischen Blick auf das Thema zwar mit der
       Brechstange, aber durchaus erfolgreich etabliert. Vielfach werden die
       dortigen Binden-Aktionen inzwischen als peinlich, übertrieben oder
       eurozentrisch empfunden. Bundestrainer Hansi Flick sagte zuletzt in einem
       Kicker-Interview, man müsse sich fragen, „inwieweit wir zulassen, dass
       diese Themen der Mannschaft aufgedrückt werden.“
       
       18 Mar 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Müller
       
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