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       # taz.de -- Historiker über die Märzrevolution: „Ich habe wie im Rausch geschrieben“
       
       > Rüdiger Hachtmanns neuestes Werk untersucht die Märzrevolution in Berlin.
       > Darin geht er auch auf die Bedeutung von Frauen ein.
       
   IMG Bild: Der „Platz des 18. März“ vor dem Brandenburger Tor erinnert an die Märzrevolution 1848
       
       wochentaz: Herr Hachtmann, woher kommt Ihr großes Interesse an der
       Märzrevolution? 
       
       Rüdiger Hachtmann: Ende der 80er-Jahre habe ich angefangen, mich intensiver
       in die [1][Geschehnisse von 1848] einzuarbeiten. Es hat Spaß gemacht, die
       Quellen zu durchdringen und damit die Geschichte ein Stück weit
       „nachzuerleben“. Wenn man sich die zahllosen Flugblätter, Plakate,
       Tagebücher und Briefe aus der Zeit der Revolutionsjahre anschaut, dann
       springt die Lebenslust und das neue, positive Selbstgefühl der Berliner ins
       Auge. 1848 war eine Hochzeit der Satire und der Karikaturen. Ich war so
       fasziniert, dass ich manchmal fast wie im Rausch geschrieben habe.
       
       Sie haben 1997 das Werk „Berlin 1848. Eine Politik- und
       Gesellschaftsgeschichte der Revolution“ veröffentlicht. Worin unterscheidet
       sich das neue Buch? 
       
       Die tausend Seiten des ersten Buches können doch ziemlich abschrecken. Ich
       wollte daher ein überschaubares und zugleich spannendes Buch herausbringen,
       das auch von Schülern gelesen werden kann. Ich bin ausführlicher auf den
       Nachmärz und die politischen Prozesse eingegangen. Es gibt auch längere
       Passagen zu Aspekten, die kaum ins Blickfeld rücken, wenn man an 1848
       denkt. Etwa die Rolle der protestantischen Geistlichkeit und die Bedeutung
       von Frauen während der Revolutionsmonate.
       
       Den Frauen in der Revolution haben Sie ein ganzes Kapitel gewidmet. Welche
       Auswirkungen hatte die Märzrevolution auf die [2][Frauenbewegung]? 
       
       Die Revolution von 1848 war für Frauen in Berlin leider kein Jahr der
       Emanzipation. Frauen aus den Unterschichten wurden zwar nicht in ein
       geschlechtsspezifisches Korsett gepresst und einem bürgerlichen
       Familienmodell verpflichtet. Sie waren auch bei sogenannten Katzenmusiken
       beteiligt, bei denen sie mit Töpfen und anderen Haushaltsgegenständen Lärm
       erzeugten, um unbeliebten Personen aufzuspielen. Viel eingeengter war
       jedoch die Stellung der Frauen in den bürgerlichen Schichten. Für diese gab
       es kaum Raum zur politischen und sozialen Entfaltung. Nach meinem Eindruck
       verschlechterte sich die Stellung der Frauen in dieser Zeit sogar. Nicht
       zuletzt, weil die Verankerung geschlechtsspezifischer Normen auch in den
       unterbürgerlichen Schichten weiter voranging.
       
       Wie konnten bürgerliche Frauen in der Märzrevolution dann überhaupt
       politisch aktiv werden? 
       
       Es waren vor allem vier Ebenen, auf denen bürgerlichen Frauen „erlaubt“
       wurde, öffentlich aufzutreten: Erstens die Fürsorge für die Witwen und
       Waisen der Märzgefallenen, also eine Art nach außen gekehrte „öffentliche
       Mütterlichkeit“. Zweitens durften sie, als schweigsame Gäste auf den
       Parlamentstribünen, aber auch in den politischen Klubs sitzen und zuhören.
       Sie sollten allein durch ihre Anwesenheit den Streit der Männer dämpfen.
       
       Drittens waren Frauen quasi haushälterische Tätigkeiten erlaubt, die
       angeblich ihrem Geschlecht gemäß waren, etwa das Besticken von Fahnen der
       politischen Klubs oder der Bürgerwehreinheiten. Viertens wurden
       „Jungfrauen“, wie es damals hieß, als Dekor gern an die Spitze von
       Demonstrationen gestellt. Ein Frauenklub entstand in Berlin erst im
       Spätsommer. Ein zweiter nach der Spaltung des ersten im Frühherbst. Beide
       Frauenklubs beschränkten sich im Wesentlichen auf vermeintlich den Frauen
       reservierte politische Felder. Sie widmeten sich der Kindererziehung oder
       organisierten Spendensammlungen.
       
       Sie sind Teil der „Aktion 18. März“. Damit setzen Sie sich dafür ein, den
       18. März zum nationalen Gedenktag zu erklären. 
       
       Der 18. März ist ein demokratisches Fundamentalereignis der deutschen und
       auch der europäischen Geschichte, ein zentraler Grundstein der Demokratie.
       Berlin war neben Paris und Wien die dritte Revolutionsmetropole auf dem
       Kontinent. Der erstarkende Rechtspopulismus und die Etablierung autoritärer
       Regime in der EU sind Grund genug, dessen immer wieder zu gedenken. Am 18.
       März, das wird auf dem gleichnamigen Platz vor dem Brandenburger Tor ja
       angesprochen, wurde auch die [3][Pariser Kommune] ausgerufen, und zwar 23
       Jahre später.
       
       Dieser Versuch der Gründung eines basisdemokratischen Staates auf
       kommunaler Basis wurde von der französischen Gegenrevolution mit
       Unterstützung der preußischen Militärführung blutig niedergeworfen.
       Oberflächlich betrachtet war das ein französisches Ereignis. Tatsächlich
       fand die Pariser Kommune in der europäischen Öffentlichkeit einen großen
       und anhaltenden Widerhall, gerade auch in Berlin. Der 18. März macht die
       europäische Dimension der demokratischen Bewegungen sichtbar. Nicht nur
       1848, sondern auch 1871.
       
       Welche Stimmen gibt es gegen einen solchen Gedenktag? 
       
       Es wird gern eingewendet, dies sei eine Art preußische Nabelschau. Das
       Gegenteil ist der Fall. Die Märzrevolution verkörpert die Ablehnung alles
       dessen, was man mit borussischem Militarismus und preußischem
       Obrigkeitsstaat assoziiert, und den entschiedenen Widerstand dagegen. Ein
       Gedenktag, wie ihn die [4][Aktion 18. März] vorschlägt, wäre also dezidiert
       antiborrusisch.
       
       19 Mar 2023
       
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